ISIS-Extremisten rufen in
Irak und Syrien "Kalifat" aus

Radikalsunnitische Organisation ernennt Chef Baghdadi zum "Anführer aller Muslime"

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Kämpfe - ISIS-Extremisten rufen in
Irak und Syrien "Kalifat" aus

Die irakische Armee versucht nun mit Hochdruck, die Oberhand in den von ISIS-Kämpfern kontrollierten Gebieten zurückzugewinnen. In der seit Tagen umkämpften Stadt Tikrit bombardierten Kampfhubschrauber am Montag Stellungen der extremistischen Gruppierung, offenbar aber zunächst ohne die Extremisten zurückzudrängen.

Ein Sprecher des Militärs warnte, von dem Kalifat gehe eine Bedrohung für die ganze Welt und nicht nur für die Region aus. Er verwies darauf, dass die radikal-sunnitische, extremistische Terrorgruppe "Islamischer Staat im Irak und in der Levante" (ISIS/ISIL) weltweit dazu aufrief, ihrem Kalifat Treue zu geloben. Die Erklärung der Extremisten richte sich somit nicht nur an die Staaten der Region, sondern alle Länder (der Welt, Anm.), sagte Kassim Atta der Nachrichtenagentur Reuters.

Weite Teile unter Kontrolle der Extremisten

Tikrit ist die Geburtsstadt des früheren Machthabers Saddam Hussein. Kämpfer der bisher als ISIS bekannten Gruppe nahmen die Stadt auf ihrem Vormarsch nach Bagdad ein. Am Wochenende gelang es der Armee nach eigenen Angaben, die Universität wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Bei den Rebellen, die von Anhängern des Sunniten Saddam sowie sunnitischen Stämmen unterstützt würden, lasse der Kampfgeist nach, erklärte das Militär weiter.

Viele Sunniten, die unter Saddam das Sagen hatten, fühlen sich nun von der Regierung unter dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki unterdrückt. Das irakische Militär konnte bisher der vor drei Wochen eingeleiteten ISIS-Offensive nicht viel entgegensetzten. Allerdings gelang es mit Hilfe schiitischer Milizen, den Vormarsch auf die Hauptstadt zu stoppen. Weite Teile des Landes befinden sich aber noch unter Kontrolle der Extremisten.

Irakische Armee rüstet auf

Mit der Ausrufung eines Kalifats pünktlich zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan versuchte die ISIS am Wochenende, ihre Macht zu zementieren. Die Extremisten nennen sich fortan nur noch Islamischer Staat und haben ihren Anführer Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen ernannt. Diesen Titel trägt gewöhnlich ein Nachfolger des Propheten Mohammed - mit Anspruch auf die Führung aller Muslime. Neben Gebieten im Irak kontrolliert die Gruppe auch Teile des benachbarten Syriens. Ihr erklärtes Ziel ist die Bildung eines grenzübergreifenden islamischen Staats.

Russland hat gebrauchte Kampfflugzeuge in den Irak geliefert, mit denen der Golfstaat seine Schlagkraft erhöhen will. Sie würden in den kommenden Tagen einsatzbereit sein, erklärte die Führung in Bagdad. Insgesamt wurden fünf Maschinen des Typs Suchoi-25 bestellt.

"Die Ankündigung der ISIS wird vermutlich den Kampf zwischen den Jihadisten intensivieren und die Kluft zwischen der ISIS und den anderen aufständischen Sunniten im Irak verstärken", sagte Fawaz Gerges, Experte für den Mittleren Osten an der London School of Economics.

Jihadismus im Umbruch

Beobachtern zufolge dürfte sich auch Al-Kaida herausgefordert fühlen. Der Islamismus-Experte Charles Lister sagte, die Ausrufung des Kalifats sei wahrscheinlich das wichtigste Ereignis im internationalen Jihadismus seit den Anschlägen vom 11. September 2001. Die Erklärung habe in der ganzen Welt Auswirkungen, weil sich Al-Kaida-Verbündete und unabhängige Gruppen nun für oder gegen den Islamischen Staat der ISIS entscheiden müssten.

Islamische Gelehrte aus aller Welt lehnen das von der Terrorgruppe ISIS ausgerufene Kalifat ab. In ihren Botschaften verkünden sie, kein Muslim sei verpflichtet, dem selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi seine Loyalität auszusprechen. ISIS wird von vielen Gelehrten als unislamisch bezeichnet, weil sie den Tod von anderen Muslimen in Kauf nimmt. So nannte der marokkanische Gelehrte Umar al-Haddushi laut al-Baghdadi einen "vom Glauben abgefallenen".

ISIS war ursprünglich ein Ableger der Al-Kaida. Die noch radikalere Gruppe hatte sich aber mit der Führung des Extremistennetzes überworfen.

Skepsis gegenüber militärischen Maßnahmen

In Syrien feierten Extremisten offenbar das neue Kalifat. Per Kurznachrichtendienst Twitter wurden unter anderem Bilder von einer Parade in der nordsyrischen Provinz Rakka veröffentlicht. Zu sehen waren Menschen, die die schwarze Fahne der sunnitischen Islamisten-Gruppe aus Autofenstern heraus schwenkten und Gewehre in die Luft hielten. Die Echtheit der Bilder konnte zunächst nicht bestätigt werden.

Skeptisch zu den Erfolgschancen eines militärischen Vorgehens gegen die radikal-sunnitische Terrorgruppe ISIS im Irak äußerte sich der außenpolitischen Berater der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Dieses Problem ist nur politisch lösbar, weil es politische Ursachen hat", sagte Christoph Heusgen am Montag.

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