Der Nazi in meinem Kopf

Philip Kerr: Jetzt ist sein Ermittler Bernie Gunther zurück.

Der Mann ist ein Exzentriker, aber einer mit Charakter. Elf Jahre lang war Bernie Gunther Spitzenmann der Berliner Kripo. Bei Hitlers Machtergreifung hat er den Dienst quittiert und sich als Privatdetektiv im noblen Adlon-Hotel niedergelassen. Nun befiehlt ihn der SS-Obergruppenführer Heydrich, eines der markantesten Scheusale des Reichs, zurück in den Dienst: Sein Adjutant wurde in Prag ermordet.

von Interview - Der Nazi in meinem Kopf © Bild: ©Stephane GRANGIER / CORBIS

Gunther ist eine der markantesten Ermittlergestalten unserer Zeit. Nach traumatischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und dem frühen Tod seiner Frau hat ihn ein von sarkastischem Humor befeuerter Selbstzerstörungstrieb in ein gefährliches Naheverhältnis zu Alkohol und Suizidgedanken gebracht. Gunther ist also einer jener defekten Serien-Kommissare, wie sie in heutigen Kriminalromanen obligat sind. Aber er hat Charakter, Eigenleben und zudem faszinierende politische Kontur.

Seinem Erfinder, dem Schotten Philip Kerr, 58, verhalf er daheim schon 1989 zum Durchbruch. Der studierte Philosoph ersann seinen Ermittler, als er für die Londoner Agentur Saatchi & Saatchi noch Werbetexte dichtete. Drei Fälle in Serie ließ Kerr seinen Kommissar abarbeiten, dann wandte sich der Vater dreier Kinder von seiner Schöpfung ab, verfasste Thriller, Science-Fiction-Romane und Jugendbücher aus dem Fantasy-Genre.

Nach 15 Jahren hat er seinen Helden nun ins literarische Leben zurückgeholt. Mit NEWS sprach er über Lasten und Lehren der Geschichte, "Arbeit macht frei“ und olympischen Opportunismus.

NEWS: Darf man Ihren Kommissar als Ihr Alter ego lesen?
Kerr: In gewisser in Hinsicht ist er das. Ich versuche durch sein Verhalten zu verstehen, wie die Nazis überhaupt so stark werden konnten.

NEWS: Wofür steht Bernie Gunther? Er ist kein Mitglied der NSDAP, hilft Juden und steht trotzdem in der Gunst des Kriegsverbrechers Heydrich.
Kerr: Das ist ja auch sein größtes Problem, dass er für einen so schlauen und gefährlichen Mann arbeiten muss. Gunther steht irgendwo in der Mitte zwischen Gut und Böse. Er sieht, dass sein Land in der Hand von Gangstern an den Rand der Zerstörung geführt wird, und das in einem sinnlosen Krieg. Er ist ein anständiger, loyaler Patriot, der auch im Ersten Weltkrieg diente. Dort tat er Dinge, von denen er wünscht, er hätte sie niemals getan. Seine Schuld quält ihn. Durch ihn versuche ich, ein Gefühl für das Dilemma zu bekommen, das die Deutschen und auch viele Österreich erlebt haben müssen. Soll man sich als loyaler Patriot so einer Regierung beugen? Früher standen in meinem Land die Deutschen und Österreicher nur für die Bösen, die Engländer für die Guten. Das ist natürlich Unsinn.

NEWS: Ein ÖVP-Politiker führt den Schreckensspruch "Arbeit macht frei“ immer noch auf seinem Haus. Wäre so etwas in England möglich?
Kerr: Unglaublich! Bei manchen könnte man ja noch Unwissenheit durchgehen lassen, aber ein Politiker sollte die Geschichte kennen. Das ist nicht zu entschuldigen. Aber Dumme gibt es überall. Irgendwelche Idioten, Politiker, Berühmtheiten. Sogar Mitglieder der Royals haben schon eine SS-Uniform getragen (Prinz Harry 2005 auf einem Maskenfest, Anm.). Manche haben den Hitlergruß vorgezeigt und fanden das auch noch lustig. Der englische Humor ist eben sehr speziell, und trotzdem muss man wissen, dass man damit viele Menschen verletzen kann.

NEWS: Was interessiert einen gebürtigen Schotten am Berlin der Nazi-Zeit? Müssten Sie sich nicht eher dem Sherlock-Holmes-Autor Conan Doyle verbunden fühlen?
Kerr: Den habe ich doch auch gelesen. Ich selbst bin im Schottland der Sechzigerjahren aufgewachsen. Da spielte der Krieg überhaupt keine Rolle, aber in meinem Kopf, da war er ständig. Ich habe viel darüber gelesen, sogar in Comics. Und Berlin übte auf uns Engländer immer eine Faszination aus, von John Le Carré bis David Bowie.

NEWS: Gibt es eine Faszination des Bösen, insbesondere der Nazis? Die Welt starrt gerade auf gefundene Himmler-Briefe.
Kerr: Da wird noch mehr gefunden werden, denn diese Zeit hört nie auf. Auch Bilder wie jetzt bei dem Sammler Gurlitt in München werden weiter auftauchen.

NEWS: Wie sehen Sie als Engländer die Restitution von Kunstwerken? Etwa die Forderung nach Restitution des Klimt’schen Beethoven-Frieses?
Kerr: Wenn man nachweisen kann, dass ein Kunstwerk unter Zwang verkauft oder gar geraubt wurde, muss man natürlich restituieren. Aber diese Fälle werden immer schwieriger, je länger sie zurückliegen.

NEWS: Im Roman geht es auch um die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf, die in der Nazi-Zeit groß wurde. Können Sie die Nähe von Künstlern zu Diktaturen verstehen? Die Wiener Philharmoniker arbeiten noch immer ihre Nazi-Vergangenheit ab.
Kerr: Die Musik entschuldigt sehr viel. Aber es muss furchtbar für Orchestermusiker gewesen sein, so viele Kollegen zu verlieren, die nicht mehr auftreten durften oder Schlimmeres. Für mich jedenfalls wäre das sehr schwierig gewesen. Aber es ist etwas anderes, Beethoven zu dirigieren oder Werke eines Regimeverherrlichers zu spielen. Andererseits: Was ist mit Picasso? Niemand spricht darüber, dass er in Paris gearbeitet hat, als auch die Nazis dort waren. Wer weiß, ob sie nicht auch in seinem Atelier angefragt haben?

NEWS: In einem früheren Roman ging es um die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, speziell um die Frage, ob Amerika teilnehmen soll. Amerika nahm teil, weil man angeblich keine Indizien für Repressalien gegen Juden fand. Hätte ein Boykott Hitlers Aufstieg verhindern können?
Kerr: Das ist absolut richtig. Es war für viele schon damals klar, dass in Deutschland Juden diskriminiert wurden. Wäre Amerika weggeblieben, hätten auch Frankreich und Großbritannien nicht teilgenommen. Das wäre für die Nazis eine finanzielle Katastrophe gewesen, denn sie hatten viel Geld in die Spiele investiert. Und Hitler wäre dumm dagestanden. Wussten Sie, dass derselbe Mann, Avery Brundage, der 1936 für die Teilnahme Amerikas eintrat, Präsident der Olympischen Spiele war, als 1972 in München die Anschlägeauf die israelischen Athleten verübt wurden? Der ließ damals weiter spielen. Das hätte er nicht dürfen. Danach hätte es überhaupt keine Spiele mehr geben dürfen.

NEWS: Soll man also Sotschi boykottieren?
Kerr: Olympische Spiele dienen doch nur zu Propagandazwecken. Was da von Liebe und Völkerverbindung geredet wird, ist nur noch ein Albtraum für jede Security.Ein Boykott hätte hier keinen Sinn. Putin ist kein netter Mann und tat sich mit der Verhaftung der "Pussy Riots“ keinen Gefallen., Aber dass er die Greenpeace-Aktivisten eingesperrt hat, verstehe ich. Russland ist ständig von Terroristen bedroht. Wer garantiert, dass in einem verrückten Haufen, der eine Ölplattform stürmt, nur Umweltschützer sind?

NEWS: In "Böhmisches Feuer“ agiert der Held als Whistleblower. Er verrät einem amerikanischen Journalisten, was an der Ostfront passiert. Brauchen wir Leute wie Snowden?
Kerr: Snowden ist fehlgesteuert, falsch informiert. Ich unterstütze nicht, was er tut.

NEWS: Bei Ihnen lesen die Nazi-Generäle Agatha Christie. Haben Sie denn etwas gegen Ihre berühmte Kollegin?
Kerr: Nein, auch ich habe sie gelesen. Kriminalromane waren damals in Deutschland einfach sehr populär. Hermann Göring las Dashiell Hammett, und Heydrich bekam seinen Job bei Himmler nur, weil auch er Kriminal- und Spionageromane las. Er hatte zuvor seinen Posten bei der Marine wegen einer Liebesaffäre verloren. Als er dann bei Himmler vorsprach, konnte er sein Wissen aus den Krimis anwenden. Das ist doch Ironie!

NEWS: Wieviele Morde müssen in einem guten Krimi geschehen?
Kerr: Grundsätzlich gilt: Brich jede Regel. Die größte Herausforderung wäre es, einen Kriminalroman ohne ein einziges Verbrechen zu schreiben.

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