Koalition: "Wenig Sinn,
die Reißleine zu ziehen"

In den letzten Wochen geisterte vermehrt ein kleines Neuwahlgespenst in der heimischen Politlandschaft umher. News.at hat bei Politexpertin Kathrin Stainer-Hämmerle nachgefragt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für Neuwahlen wirklich ist.

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Innenpolitik - Koalition: "Wenig Sinn,
die Reißleine zu ziehen"

Mit langsamen Lockerungen und sinkender Bedrohungswahrnehmung verliert auch die Regierung ein wenig an Grip bei der Bevölkerung. Muss sie sich etwas Neues einfallen lassen, um beliebt zu bleiben?
Die Regierung hat vor kurzem das Prinzip der Eigenverantwortung der Länder verkündet. Diese Regionalisierung bedeutet aber nicht, dass die Landeshauptleute das Vergnügen haben, die Lockerungen zu verkünden. Sie müssen quasi die „Daumenschrauben“ anziehen. Die Bundesregierung gibt also weitgehend alles frei und die Länder die Länder sind dabei die „Bösen“. Das war kommunikativ ein genialer Schachzug.

»Sebastian Kurz ist sehr selbstbewusst, aber nicht größenwahnsinnig«

Sie haben in unserem letzten Gespräch gemeint, dass Bundeskanzler Kurz ideologisch sehr pragmatisch sein kann. Passt dieser Schwenk von der autoritären Vaterrolle zu mehr Eigenverantwortung der Länder?
Das hat nicht so viel mit Ideologie zu tun als damit, wie viel man von Föderalismus hält. In diesem Kontext ist Sebastian Kurz für mich schwer einzuordnen, weil er immer wieder einen Stadt-Land-Vergleich anstellt, aber doch in vielen Politikbereichen eher für das Zentralisieren war. Gut erkannt hat man seine ideologische Flexibilität mit der Aussage „Koste es, was es wolle“ nach bester Kreisky-Manier.

Seit geraumer Zeit geistert ein kleines Neuwahl-Gespenst herum. Ist das tatsächlich so aus der Luft gegriffen, wie die beiden Regierungsspitzen indirekt beteuert haben?
Einer der beiden Koalitionspartner müsste für vorgezogene Wahlen den Tisch verlassen, dafür braucht er einen guten Anlass, um dies zu begründen. Das könnte bei den Grünen öfters der Fall sein als bei der ÖVP, da muss man noch abwarten, wie stark sie mit Klimaschutz und der zuständigen Ministerin Gewessler nach der Coronakrise punkten. Die Grünen haben ja höheren Druck von außen, weil der Eindruck entstanden ist, dass sie sich unterordnen und eine grüne Handschrift im Regierungsprogramm fehlt. Aber die Umfragen sind für sie noch beruhigend.

Bei der ÖVP ist es so, dass man annehmen könnte, Kurz spekuliere mit einer Absoluten. Aber so leichtsinnig wird er nicht sein. Sebastian Kurz ist sehr selbstbewusst, aber nicht größenwahnsinnig. Man hat ja auch gesehen, dass seine Beliebtheitsspitzen in Umfragen sehr schnell wieder zurückgegangen sind. Taktisch hat eine Neuwahl es für die ÖVP wenig Sinn, denn mit wem wollte Kurz dann noch koalieren?

»Es hätte für ÖVP und Grüne wenig Sinn, jetzt die Reißleine zu ziehen«

Nach dem Aufreiben von Rot, Blau und theoretisch eben Grün wäre ja nur noch eine Alleinregierung für die ÖVP vorstellbar. Das wäre ein gewagter Poker, oder? Eine Koalition mit den Neos?
Ja, nach einem kurzen Umfrage-Hoch von 48 Prozent haben sich die Zahlen der ÖVP sehr schnell wieder hinunterbewegt in realistische Regionen. Es hätte für ÖVP und Grüne wenig Sinn, jetzt die Reißleine zu ziehen, zumindest den Umfragen zufolge. So wie es Schüssel damals gemacht und die Freiheitlichen noch einmal damit gedemütigt hat, dass sie ein billigerer Koalitionspartner waren, das zeichnet sich nicht ab.

Und für die Grünen wäre es ja umso schwieriger, weil die Wahrscheinlichkeit sehr hoch wäre, weniger Stimmen als bei der letzten Wahl zu bekommen…
Bei den Grünen würde es – das ist jetzt sehr spekulativ - eher darauf hinauslaufen, Werner Kogler zu stürzen. Die Achse Kurz-Kogler funktioniert ja relativ gut und die Frage ist daher eher, ob die Partei diese Kogler-Linie verlassen und wieder in Opposition gehen würde. Würde die Regierung platzen, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie wieder in eine Koalition zurückkehren.

Beide Regierungspartner dürften momentan eher nicht von Neuwahlen profitieren. Die Opposition auch nicht?
Paradoxerweise auch nicht. Am ehesten würde die ÖVP von der selbstverschuldeten Schwäche der FPÖ profitieren können, indem sie noch einmal ein paar Prozentpunkte von den Freiheitlichen holen würde. Die SPÖ würde sich nicht wahnsinnig stark erholen, die könnte zurzeit froh sein, das letzte Wahlergebnis noch einmal zu schaffen. Nach Prozent oder Mandaten würde es momentan schon kleine Verschiebungen geben, realpolitisch von den Machtverhältnissen aber nicht.

»Offensichtlich ist in der SPÖ jegliche Kompetenz verschwunden«

Wer soll der ÖVP derzeit überhaupt das Wasser reichen können? Wie kann man sich diese Dominanz noch erklären?
Man muss schon festhalten, dass Österreich aus gesundheitlichem Aspekt betrachtet gut durch die Krise gekommen ist, den wirtschaftlichen wird man erst später bewerten können. Ich glaube, dass wir am Ende auch dort nicht so schlecht dastehen werden. Das spielt definitiv eine Rolle.

Über die Freiheitlichen brauchen wir nicht zu reden. Gerade wer sich zuletzt den Auftritt von Norbert Hofer in der ZiB 2 angesehen hat, wird erkennen, dass die Freiheitlichen sich nahe an der Realitätsverweigerung bewegen. Das ist fast schon wie eine Satire, aber sicher keine Aufarbeitung ihrer eigenen Skandale.

Auch die SPÖ beschäftigt sich hauptsächlich mit dem eigenen Innenleben, wenngleich auf einem anderen Niveau. Der Plan und die Motivation für die nächsten zwei Jahre sind hier gar nicht zu erkennen. Parteichefin Rendi-Wagner spricht die falschen Themen zum falschen Zeitpunkt an, bei den wichtigen Inhalten scheint sie untergetaucht oder falsch beraten. Offensichtlich ist in dieser Partei jegliche Kompetenz verschwunden, sowohl inhaltlich als auch handwerklich, das muss man leider so sagen.

Um wieder zur Regierung zurückzukommen: Gibt es in und nach der Coronakrise noch gefährliche Bruchstellen im Regierungsprogramm?
Die Grünen müssen sich im Programm ein bisschen mehr wiederfinden. Das 1-2-3-Klimaticket scheint jetzt geglückt, nachdem ihnen die Entwicklung im Kulturresort ohnehin schon ordentlich entglitten war. Daraus haben sie vermutlich gelernt, dass sie Gewessler jetzt nicht auch noch in die Wüste schicken dürfen. Nämlich auch die ÖVP, dass sie die Grünen ein bisschen mehr leben lassen müssen – und das geht nur im Klimaschutz.

Mit dem Rücktritt von Ulrike Lunacek hat die ÖVP jedenfalls auch verstanden, dass man besser auf den Koalitionspartner achten muss. Eine Zerreißprobe wird allerdings Wien, da sitzen die Grünen wirklich zwischen den Stühlen. Das wird keine leichte Situation.

Glauben Sie, dass die Wien-Wahlen auf die Regierung abfärben werden?
Stellen Sie sich vor, es gibt eine Mehrheit gegen Ludwig von ÖVP, Grüne und Neos. ÖVP und Neos wären bei dieser Konstellation sofort dabei und dann würde auf die Grünen schon auch Druck ausgeübt werden, das rote Wien zu beenden.

Glauben Sie, dass die aktuelle Regierung eine volle Legislaturperiode durchhalten wird?
Schwer zu sagen: Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass sich alles ganz schnell ändern kann. Ich würde es mir natürlich wünschen, dass Koalitionen einfach auch lernen müssen, miteinander dann doch irgendwie zurechtzukommen als die Lösung der Wahl zu suchen, wo der Regierungsbetrieb sehr lange lahmgelegt ist.
Wenn man den Sinn der Verlängerung der Legislaturperiode auch irgendwie begründen möchte, dann sollte man sich schon einmal bemühen. Nicht funktionieren wird es allerdings, wenn die Koalitionspartner weiterhin auf dem beharren würden, was im Regierungsprogramm verhandelt worden ist. Das würde im Zuge der Coronakrise nicht funktionieren, das hat man auch am Budget gesehen – und so gesehen sind auch andere Teile des Programms als Altpapier zu betrachten.

Zur Person: Kathrin Stainer-Hämmerle ist Politik- und Rechtswissenschaftlerin sowie Fachhochschul-Professorin. Sie unterrichtet Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten in Villach.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.