Hugo Portisch: Das bringt uns 2004

Aufschwung in Sicht, aber Angst vor Kriegen und Krisen Konjunktur: Bush wird im Wahljahr die US-Wirtschaft ankurbeln.

Hugo Portisch: Das bringt uns 2004

NEWS: Der Krieg im Irak hat zu schweren Spannungen zwischen den USA und Europa geführt. Muss man mit bleibenden Schäden für die Beziehungen rechnen?
Portisch: Außerhalb der USA hatte man erkannt, dass der Krieg im Irak in Wahrheit
nicht der Bekämpfung des Terrors diente. Hier wurde amerikanische Großmachtpolitik betrieben, begleitet von völlig unakzeptablen Doktrinen der Bush-Administration: das Recht, vorbeugende, präventive Kriege zu führen, wo immer die USA eine Gefahr für sich vermuten; das Übergehen der Vereinten Nationen, die Bush für irrelevant erklärte, falls sie seinen Kurs nicht unterstützten; die Einteilung der Welt mittels „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“. Und die Ankündigung, es keinem anderen Staat zu erlauben, militärisch so stark zu werden wie die USA. Untermauert werden diese Doktrinen durch die Aufhebung des Atomteststopp- und des ABM-Vertrages. Bush lässt neue Atomwaffen bauen und einen Raketenabwehrschild rund um die USA entwickeln.
NEWS: Frankreich und Deutschland distanzierten sich von dieser Politik, aber nicht ganz Europa. Das gab Amerikas Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Möglichkeit, Europa in Alt und Neu zu unterteilen.
Portisch: Da spielten verschiede-ne Motive mit. Schröder lehnte eine deutsche Mitwirkung am Krieg schroff ab, um seine Wahlen zu gewinnen. Chirac hoffte, mit seinem Nein zur US-Politik die geschwächte Führungsrolle Frankreichs in Europa wieder zu festigen. Was ihm teilweise gelang; zumindest profilierte sich Frankreich als Oppositionsführer im UNO-Sicherheitsrat.
NEWS: Auch die Befürworter der Bush-Politik verfolgten eigene Motive.
Portisch: Natürlich. Die Reformstaaten setzen seit ihrer Befreiung vom Kommunismus voll und ganz auf den Schutz der Nato vor eventuellen künftigen Versuchen Russlands, in Ost-Mittel-Europa wieder Einfluss zu gewinnen. Das ist eine historisch begründete Angst. Nur eine von den USA geführte Nato kann diesen Völkern garantieren, dass sie nie wieder, wie so oft in ihrer Geschichte, zwischen Deutschland und Russland geteilt oder von dem einen oder anderen zur Gänze unterworfen werden, wie zuletzt von Hitler und Stalin. Daher war Gefolgschaftstreue angesagt, als Bush rief. England, Spanien, Italien hatten jeder für sich andere Gründe, aber doch einen, der sie vereinte: zu demonstrieren, dass sie sich keinem französisch-deutschen Direktorat unterwerfen lassen.
NEWS: Wie groß ist die Kluft, wie groß der angerichtete Schaden?
Portisch: Nicht so groß, wie man vermutet hatte. Das liegt daran, dass Bush zwar auf Verbündete und die UNO verzichtete, aber sie nun doch alle wieder braucht, da der Sieg im Irak nicht so ausgefallen ist, wie er gehofft hat. Die Situation im Irak wird sich, wenn überhaupt, nur mithilfe der UNO und der Verbündeten der USA stabilisieren lassen.
NEWS: Dennoch bleibt das Verhältnis USA/Europa offenbar weiterhin gespannt, siehe Ausgrenzung des alten Europa von der Teilnahme am Wiederaufbau des Irak.
Portisch: Das war natürlich auf den Wahlkampf in den USA abgestimmt. Die öffentliche Meinung glaubt immer noch, dass Frankreich und Deutschland Amerika in den Rücken gefallen seien, als sie gegen den Irak-Krieg auftraten. Diesem Volkszorn entspricht nun Bush, indem er grob verkündet: Wer nicht mit uns sein Leben riskiert hat, der darf keinen Dollar an amerikanischen Steuergeldern verdienen. Damit hat er sicherlich populistisch
im Wahlkampf gepunktet. Aber auch der deutsche Bundeskanzler Schröder hat in seinem Wahlkampf gepunktet, als er Bushs Kriegsabsicht schroff zurückwies. Das eine wie das andere wird das Verhältnis zwischen Europa und Amerika nicht wirklich stören. Da sind beide Seiten viel zu sehr aufeinander angewiesen. Bush sandte ja auch gleich den früheren Außenminister James Baker als Troubleshooter nach Paris, Berlin und Moskau …
NEWS: … um die drei Länder zu bewegen, auf das Geld zu verzichten, das der Irak ihnen schuldet.
Portisch: Richtig. Paris und Berlin haben sich auch sofort partiell dazu bereit erklärt – aber schon mit dem deutlichen Hinweis, dass sie nun doch darauf zählen, an den lukrativen Aufträgen beim Wiederaufbau des Irak beteiligt zu werden. Die äußerst freundliche Verabschiedung James Bakers lässt mich vermuten, dass er seine Gesprächspartner nicht ohne diesbezügliche Hoffnungen zurückgelassen hat.

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