Der Luxus der Leere

Inside Sacher. Österreichs Wohnzimmer für Reich und Schön öffnet wieder seine Pforten - und das, obwohl Tourismus verboten ist. Wie funktioniert diese kleine Welt, wenn die große im Lockdown ist? Reportage aus dem Innenleben eines verwaisten Wahrzeichens.

von Hotel Sacher - Der Luxus der Leere © Bild: Matt Observe

Mächtige Wellen, deren Spitzen sich kräuseln, und über dem Meer ein gewaltiger Sturm: "Strand von Helgoland" nennt sich das Ölbild des Stimmungsimpressionisten Robert Russ, das den Blickfang des zentralen Salons bildet.

Das Sacher, es schlug stets Wellen: Die große weite Welt ging hier aus und ein, Königin Elisabeth II. von England war bereits im Haus am Ring zu Gast, ebenso Sharon Stone, Justin Bieber, Naomi Campbell oder Anna Netrebko. Doch nun ist die große weite Welt im Lockdown, das Meer auf dem Ölbild wirkt öd und leer -und im Salon herrscht beklemmende Stille. Und dennoch: "Wir sperren am 10. Jänner wieder auf", sagt Sacher-Chef Matthias Winkler.

© Matt Observe/News DAS WOHNZIMMER WIENS. Der Salon ist die Drehscheibe zwischen Entree, Bars und Restaurants. Solange die Welt steht, sitzt hier kaum wer

Der internationale Tourismus liegt zwar noch auf unabsehbare Zeit im Corona-Koma, aber immerhin, eine Handvoll Geschäftsreisender habe in den vergangenen Tagen um Zimmer und Suiten angefragt. Derzeit sind es weniger als zehn potenzielle Buchungen, und betriebswirtschaftlich, räumt Winkler ein, mache das logischerweise gar keinen Sinn. "Jetzt geht es in erster Linien darum, auf dem Markt zu bleiben und Präsenz zu zeigen."

140 Personen - 105 in Wien und 35 in der Dependance in Salzburg -musste das Sacher noch im Herbst des Vorjahres kündigen, das Wiener Wahrzeichen schien gewaltig zu wackeln. Doch nun fährt die Herberge für Gekrönt, Reich und Schön der tristen Gesamtlage zum Trotz wieder hoch. "Die Institution wird es genauso wie Sachertorte, Mozartkugeln und Lipizzaner immer geben", ist Regisseur Robert Dornhelm, der den Historien-Zweiteiler "Das Sacher" drehte und selbst zu den Stammgästen gehört, überzeugt.

© Matt Observe/News DAS SACHER ECK. Sonst tummeln sich hier Touristen aus aller Herren Länder, leer wirkt das Kaffeehaus bizarr wie eine Kulissenlandschaft ganz ohne Schauspieler

Doch wie ist es, diese feudale Parallelwelt zu bespielen, wenn sie weitgehend menschenleer bleibt? Wie ist es, in diesem absurden Theater der Träume zu arbeiten, wenn keiner da ist, dem sie erfüllt werden könnten?

Nach Ende des ersten Lockdowns im Frühjahr hatte das Sacher bis Weihnachten durchgehend geöffnet, das Personal hat mit dem Luxus der Leere also schon einschlägige Erfahrungen. "In letzter Zeit sind auch Tränen geflossen", sagt eine der Mitarbeiterinnen. "Aber es sind die kleinen Dinge, die uns dabei helfen, uns in diesem Alltag zurechtzufinden."

Matthias Winkler, 51, Direktor

© Matt Observe/News DER DIREKTOR. Matthias Winkler ist, wie er sagt, derzeit eher als Psychologe gefragt. In Wien mussten 105 Personen gekündigt werden, in der Salzburger Dependance 35

"Spätestens mit Einsetzen der Reisewarnungen war klar, dass die Buchungen für die kältere Jahreszeit nicht anspringen werden. Da mussten wir als Unternehmer reagieren, die Organisationseinheiten anpassen - und reduzieren. Die Reaktion von außen war ein Mix aus Respekt, Einsicht aber auch Häme: ,Wir kommen zu euch nach Wien und Salzburg, um euch zu unterstützen', zeigten sich viele Gäste solidarisch. Vereinzelt war aber auch zu hören:,Endlich erwischt es die Reichen. Wer vorrangig auf internationalen Tourismus setzt, dem geschieht das schon recht.' Wer langfristig Erfolg hat, hat offenbar auch Neider. Und auch wenn sich das einige anders zusammenreimten -das Sacher steht wirtschaftlich solide da, ich kann ausschließen, dass der Familienbetrieb verkauft wird.

Ich rechne damit, dass es fünf bis sechs Jahre bis zur vollständigen Normalisierung dauern wird, die müssen und werden wir durchtauchen. Wir befinden uns wie die gesamte Branche in einer schwerwiegenden Krise. Dass sie für uns existenzgefährdend sein könnte, schließe ich aber aus. Das Haus hat schon schwierigere Krisen durchgestanden: Als die Familie Gürtler das Haus übernahm, war das Hotel pleite.

»Ein Mix aus Einsicht, Respekt - aber auch Häme«

Und auch wenn es betriebswirtschaftlich momentan wenig Sinn hat: Wir öffnen am 10. Jänner wieder. Wir sind ein touristischer Leitbetrieb, ein ganz besonderer Platz, an dem kein Gästewunsch mit Nein beantwortet werden soll. Ich denke schon, dass wir einer der vielen Botschafter für Österreich sind, auf die man international schaut. Zudem werden die großen Hotelketten jetzt auch für Geschäftsreisende öffnen - da müssen auch wir als einziges familiengeführtes Fünfsternhotel der Stadt Flagge zeigen.

Den Personalabbau habe ich, so unumgänglich er war, als fürchterlich empfunden: Die meisten der Betroffenen haben sich einmal bei uns beworben, haben bei uns eine Ausbildung durchlaufen und sich bei uns weiterentwickelt, ich kenne und schätze jeden Einzelnen persönlich.

Diese Länderspiele wechselseitiger Reisewarnungen im Sommer und Herbst schadeten unserem Tourismus ebenso wie die schwarzen Schafe vom Donaukanal und in den Nachtclubs. Ob Wien sicher ist? Ich kann Ihnen nur eines sagen: Das Sacher ist einer der sichersten Plätze in der Stadt, bei uns werden wöchentlich an die 300 Mitarbeiter auf das Virus getestet.

Ich führe momentan unzählige Gespräche, bin derzeit in erster Linie als Psychologe gefragt. Natürlich ist diese ganze Situation auch für mich belastend -sagen wir so: Die Taktfrequenz meiner Radtouren durch den Wienerwald, bei denen ich den Kopf freibekomme, hat zugenommen. Woran ich glaube? An das, was Stefan Zweig einmal so formulierte:'Jede Krise ist ein Geschenk des Schicksals an die schaffenden Menschen.' Und ich glaube an das großartige Sacher-Team, an jeden einzelnen Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin."

Nada Foit, 42, Supervisorin

© Matt Observe/News DIE SUPERVISORIN. Fröhliche Miene zum ernsten Spiel: Nada Foit
»In letzter Zeit sind auch die Tränen geflossen«

"In letzter Zeit sind auch Tränen geflossen, die Kündigungen haben uns als gesamte Sacher-Familie getroffen. Aber trotzdem war da, so seltsam das klingt, auch so etwas wie Erleichterung -darüber, dass ausschließlich das Virus daran schuld war und in keinem einzigen Fall Fehler oder schlechte Leistungen. Ab und zu ein aufmunterndes Lächeln für die Kollegen, die ehrliche Frage ,Wie geht es dir?' - derzeit sind es die kleinen Dinge, die uns dabei helfen, uns im Alltag mit so wenig Gästen zurechtzufinden."

Andreas Keese, 35, Vizedirektor

© Matt Observe/News DER VIZEDIREKTOR. Andreas Keese ist im Sacher der zweite Mann hinter Winkler
»Das alles hier erschien mir zunächst wie eine andere Welt«

"Ich komme aus bescheidenen Verhältnissen, das alles hier erschien mir zunächst wie eine andere Welt: Als ich mit Mitte 20 zum ersten Mal da war, habe ich mich vor Ehrfurcht nicht weiter als zur Engelsstatue mit den Rosen im Foyer vorgewagt. Ich bin nach wie vor davon überzeugt: Dieses Haus ist für Österreich und seine Geschichte fast so repräsentativ wie der Stephansdom. Die Leute kommen hierher, um sich einen Traum zu erfüllen, nicht jeder kann sich ein Zimmer leisten, aber immerhin eine Torte und eine Melange. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich hier nach so kurzer Zeit Direktor sein könnte. Noch weniger allerdings konnte ich mir vorstellen, welche Aufgaben da angesichts der täglich eintrudelnden Hiobsbotschaften - Reisewarnungen, Ausfall der Messen, Ausfall der gesamten Ballsaison - auf mich zukommen würden. Nun müssen wir kreativ sein und schauen, wie und wo wir neue Umsätze generieren können - in einem großartigen Team."

Geraldine Bathan, 53, Roomservice

© Matt Observe/News DAS STUBENMÄDCHEN. Geraldine Bathan kam von den Philippinen, mit ihrem Einkommen im Luxushotel unterstützte sie ihre große Familie daheim. Hier in Österreich, sagt sie, sei das Sacher ihre Familie
»Hier in Österreich ist das Sacher meine Familie«

"Es ist schwierig, das Hotel so leer zu sehen, und es macht mich auch manchmal traurig. Aber jetzt müssen wir alle zusammenhalten wie eine Familie: Ich weiß, was es bedeutet, sich gegenseitig zu unterstützen, auf den Philippinen habe ich eine Familie mit elf Geschwistern. Hier in Österreich ist das Sacher meine Familie."

Wolfgang Buchmann, 62, Portier

© Matt Observe/News DER PORTIER. Wolfgang Buchmann lernte an der Rezeption seine Frau kennen

"Seit 1. Oktober 1983, seit gut 37 Jahren, arbeite ich hier an der Rezeption. Auch meine Frau hat hier gearbeitet, ich habe sie eingeschult, nun sind wir sind seit 35 Jahren verheiratet - wenn ich sage, dass das Sacher meine zweite Familie ist, so ist das sicherlich mehr als eine Phrase.

Für mich hat 'Dienen' nichts Schlechtes, auch wenn es so einen negativen Beigeschmack hat: Es macht mir Freude, anderen Menschen Wünsche zu erfüllen, ich sehe das durchaus als eine Art sportlicher Herausforderung - die äußern ihre Bedürfnisse ja nicht, um uns zu ärgern.

»Momentan ist da so ein Gefühl nervöser Anspannung«

Einmal hat mich ein Stammgast angerufen, ein Wiener, der schon seit Langem im Ausland lebte: Seine alte Tante sei verstorben, nun wisse er nicht, wie er aus der Ferne die Trauerfeierlichkeit organisieren solle. Ein wunderschönes Begräbnis wünsche er sich für die Tante und ein Grab, auf das, im Gegensatz zu ihrer alten Stadtwohnung, oft die Sonne scheint - da habe ich mich um ein Grab auf dem Grinzinger Friedhof gekümmert.

Momentan ist da so ein Gefühl nervöser Anspannung -nie hätte ich damit gerechnet, was das Virus auf uns für Auswirkungen hat. Ich habe das Gefühl, es müssten jeden Moment die Türen aufgehen und Menschenmassen hereinströmen, um auf mich einzusprechen. Aber man darf die Dinge emotional nicht zu nahe an sich herankommen lassen, sich stattdessen mit noch mehr Ruhe und Sorgfalt um jene Gäste kümmern, die da sind - vielleicht ist das auch eine Art Ersatzhandlung. Wir desinfizieren hier sogar die Kugelschreiber, tragen auch im Backhouse- Bereich Maske, das ist unsere Art, dem Virus entgegenzuwirken. Manchmal fühle ich mich hier wie der Papa, der nüchtern und beruhigend auf die Kolleginnen und Kollegen einwirkt."

Ajri Mislimi, 51, Butler

© Matt Observe/News DER BUTLER. Ajri Mislimi kamen die Tränen, als er das Hotel zum ersten Mal leer sah
»Ich frage mich noch immer, ob das alles wahr ist«

"Ich frage mich noch immer, ob das alles wahr ist -jeden Tag war das Haus voll mit lachenden Gästen, die das Leben genießen. Wenn ich mit meiner Uniform und dem Zylinder vor dem Haupteingang gestanden bin, haben mich während einer Schicht bis zu 300 Leute fotografiert. Natürlich war das manchmal unangenehm, weil viele einfach abdrückten, ohne zu fragen. Aber jetzt geht es mir ab. Als ich während des ersten Lockdowns einmal kurz da war, um etwas abzuholen und alles leerstand, sind mir die Tränen gekommen, da bin ich sofort wieder nach Hause gefahren. Ich bin so gerne das freundliche Gesicht des Sacher -und ich glaube ganz fest daran, dass schon bald wieder Touristentrauben vor mir stehen und ihre Handys zücken."

Der Beitrag erschien ursprünglich in der News-Ausgabe 01/2021.