"Ich, Jedermann"

Dass ein erster, gefragter Schauspieler so bezaubernd altmodisch ist, den Jedermann als Lebenstraum zu benennen: Das geht zu Herzen und macht Mut. Philipp Hochmair umwarb die Rolle seit einer kleinen Ewigkeit. Lang festspielseitig zum Schweigen verpflichtet, öffnet der Schauspieler des Jahres 2024 nun im Gespräch sein Herz

von Philipp Hochmair © Bild: Ricardo Herrgott News

Als wäre das nicht genug, Salzburgs Jedermann und damit der angeblich führende deutschsprachige Schauspieler zu sein! Der Wiener Philipp Hochmair, 50, tritt sein an sich logisches Rollendebüt mit unerbetenem Karacho an: Die sieben Jahre alte Behelfsinszenierung, die Michael Sturminger im Gefolge eines Festspiel-internen Zerwürfnisses auf den Domplatz gestemmt hat, wurde abrupt aus dem Programm gerückt: Zu groß war die Unzufriedenheit des Publikums, zu bedrohlich gestalteten sich die Versuche, schon erworbene Karten zurückzugeben. Beklagenswert ist nur das vorzügliche Ensemble mit Michael Maertens und Valerie Pachner an der Spitze.

Jedermann Wird heuer in Salzburg einer Generalreform unterzogen. Michael Sturmingers Notprovisorium läuft nach sieben Jahren aus, Regie führt der Kanadier Robert Carsen, eigentlich ein Mann der Oper. Auch die Besetzung wurde grundlegend erneuert: Neben Philipp Hochmair verkörpert die Schweizerin Deleila Piasko, 32 und Kusejs "Burg" nach kurzer Zeit abhandengekommen, die Buhlschaft. An ihrer Seite: Andrea Jonasson (Mutter), Christoph Luser (Guter Gesell/Teufel), Joseph Lorenz und Nicole Beutler (Ehepaar Schuldknecht). Premiere ist am 20. Juli.

Aber jetzt kommt der, für den das Stück geschrieben scheint: Hochmair hat dem bescheidenen Werk mit der Band Elektrohand Gottes schon vor Jahren ein furioses, alle Rollen einschließendes Solo zugedacht, so wie vorher und nachher Kafka, Schiller, Goethe und Stifter. Als Tobias Moretti 2018 ernstlich erkrankte, übernahm Hochmair triumphal für fünf Vorstellungen.

Als nach Moretti Lars Eidinger angefragt wurde, fragten viele nach dem Idealkandidaten Hochmair, der die Rolle beinahe altmodisch als Lebenstraum benannte. Hofmannsthal kann sich über seinen auratischen Apologeten jedenfalls nicht beklagen.

Philipp Hochmair wurde am 16. Oktober 1973 als Sohn einer Ärztin und eines Ingenieurs in Wien geboren und am Reinhardt-Seminar von Klaus Maria Brandauer ausgebildet. Als leidenschaftlicher Bühnenschauspieler arbeitete er u. a. am Burgtheater. Mit "Blind ermittelt" und "Vorstadtweiber" etablierte er sich im Fernsehen, als Kriegsverbrecher Heydrich ("Wannseekonferenz") im Kino.

Herr Hochmair, dass ein Spitzenschauspieler den Jedermann als Berufstraum nennt, kann das tatsächlich mehr sein als patriotische Folklore?
Hab ich das? Im Ernst, für meine intensive Auseinandersetzung und Neuinterpretation des Stückes in unterschiedlichen Varianten ist der Domplatz jetzt ein sehr spannender nächster Schritt. Meine feurige Begeisterung für das Stück und das Phänomen "Jedermann" ist über die Zeit nicht erkaltet, im Gegenteil.

Aber waren das Faszinierende an Ihrer Einmannfassung "Jedermann Reloaded" nicht die vielen Rollen, die Sie verkörpert haben? Ich bin mir nicht sicher, ob der Teufel oder der Tod nicht die dankbareren Rollen sind als der larmoyante Titelprasser.
Klar ist es faszinierend, in die vielen Rollen zu schlüpfen. Und dass ich mich jetzt auf die Hauptfigur konzentrieren kann, macht das Ganze sehr spannend. In dem Stück geht es für mich vorrangig um das Sterben. Das ist das größte Thema für uns alle, denn von einem Moment auf den anderen kann das Leben zu Ende sein. Die Frage, wie lange man leben und was man noch alles erleben darf, ist sicher die Hauptfrage. Aber im Wesentlichen geht es ums Leben, das im Angesicht des Sterbens als ein fehlgeleitetes von Jedermann erkannt wird, weil es zu äußerlich und oberflächlich war. Unsere Gesellschaft träumt von ewiger Jugend und ewigem Glück, das relativiert sich alles im Augenblick des Sterbens Auch in zwei anderen meiner Monologe ist der Tod ein zentrales Thema. Dem "Prozess" von Kafka und Goethes "Werther". Beide spiele ich schon länger als "Jedermann Reloaded". Und diese drei Stücke passen sehr gut zusammen, denn die zentrale Frage war für mich: Wie kann man diesen Moment, bewusst zu sterben, mit den Zuschauern teilen?

Wie kommt es, dass ein junger Mensch, der in der vollen Pracht des Lebens steht, sich so intensiv mit dem Sterben auseinandersetzt?
Gute Frage. Ich bin in der Nähe des Ottakringer Friedhofs groß geworden und habe dort viele Begräbnisse beobachtet und miterlebt. Als Zivildiener im Altersheim habe ich einige Leute in den letzten Lebensstunden begleitet. Das ist schon ein besonderer Kontrast, wenn man am Anfang des Lebens steht und den Tod so vis-à-vis erlebt.

Sind Sie denn sicher, dass Hofmannsthal mit dem Stück auf derselben literarischen Höhe wie Kafka und Goethe agiert?
Sagen wir mal so: Hofmannsthal hat ein mittelalterliches Fragment eines Morality Play zu Ende gestrickt und es damit auch "reloaded". Wie ein Maler, der ein gotisches Bild 500 Jahre nach dessen Entstehung fertigstellt. Oder jemand, der eine gotische Kathedrale ein halbes Jahrtausend später zu Ende baut. Denken Sie zum Beispiel an die neugotische Votivkirche in Wien. Das war damals modern, alte Formen neu zu verwenden. In so einem Kontext muss man den "Jedermann" sehen. Goethe und Kafka haben die Sprache ihrer Zeit definiert. Aber beim Theaterstück "Jedermann" findet etwas anderes statt. Ein mittelalterliches Fragment wird im mittelalterlichen Stil 500 Jahre später neu zusammengefügt und in einem neuen Kontext gezeigt. Wenn man es in dem Zusammenhang liest, hat es eine Wahrhaftigkeit. Eine sehr eigenwillige Künstlichkeit! Daher kam meine Idee, den Text als Song zu begreifen, und so ist als Crossover aus Theater und Rockkonzert "Jedermann Reloaded" entstanden. Nachdem ich jetzt bald zehn Jahren mit meiner Band damit auf Tour bin, ist es nun eine spannende Herausforderung, am Domplatz etwas ganz anderes zu machen.

Philipp Hochmair
© (c) Stephan Brückler JEDERMANN RELOADED. In einem furiosen Solo spielte Philipp Hochmair sämtliche Rollen der Hofmannsthal'schen Devotionalie

Waren Sie eigentlich gekränkt oder enttäuscht, dass nach Ihrem Einspringen für Tobias Moretti Lars Eidinger gefragt worden ist? Jeder hat damit gerechnet, dass Sie der Nächste sein werden.
Im Leben ist es doch oft so, wenn man denkt, jetzt sei der natürliche Moment gekommen, passiert nichts, und wenn man es gar nicht erwartet, kommt es plötzlich dazu ... meine Großmutter würde jetzt sagen: "Unverhofft kommt oft."

Eidinger befand, dass der Jedermann heute längst nicht mehr so eine Reputation habe wie früher. Er verglich das Stück mit einer Rosamunde-Pilcher-Verfilmung.
Ich respektiere seine Perspektive, aber ich teile sie nicht, weil dieses Stück österreichisches Kulturgut ist, das tradiert sein will und das eine große Kraft besitzt.

Sollte nur ein Österreicher dieses österreichische Kulturgut spielen, wie Sie den Jedermann ja nennen?
Der Schauspieler, der dafür am besten geeignet ist, sollte ihn spielen Hier geht es um künstlerische Freiheit und Weiterentwicklung. Kunst sollte immer aus ihrer Zeit heraus entstehen. Wenn wir eine diverse Gesellschaft sein wollen, soll sich das auch in der Theaterkunst zeigen! Hautfarbe oder Nationalität spielen keine Rolle. Es gibt Zeiten in meinem Leben, da bin ich sehr viel im Ausland unterwegs und nur noch mein Pass erinnert mich an Österreich. Über die "Vorstadtweiber", "Blind ermittelt" und natürlich das Einspringen am Domplatz 2018 hab ich mich mit Österreich wieder stärker verbunden gefühlt. Ich will immer in die Welt hinaus und arbeite international.

Mit Ihrem enorm geschätzten Lehrer Klaus Maria Brandauer verbindet Sie jetzt der Jedermann.
Ihm zu begegnen, ist immer eine große Freude! Als wir beide zeitgleich in Salzburg 2018 eingesprungen sind - er in der "Zauberflöte" -, sind wir uns bei den Festspielen natürlich in die Arme gelaufen. Aber dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis hat sich längst in eine schöne Erinnerung verwandelt. Und es ist wirklich spannend, dass wir zeitversetzt diese Erfahrung nun miteinander teilen können.

Was war denn Ihre erste Reaktion auf das Angebot aus Salzburg?
Ich bekam eine verschlüsselte Nachricht. Die war für mich Freude und Irritation gleichzeitig, weil ich sie nicht gleich zuordnen konnte ...

Nämlich?
Man bat mich, zu einer Besprechung nach Salzburg zu kommen. Ohne weiteren Kommentar. Und wie das weiterging, ist ja hinlänglich bekannt.

»Es wäre schön, wenn Kickl 'Jedermann' sieht und geläutert nach Hause geht«

Robert Carsen inszeniert, Sie kennen das Stück aber besser als jeder andere. Können Sie ihm Ihre Ansichten dazu nahelegen?
Ich habe meine Erfahrung mit dem Stück gemacht und Robert Carsen hat seine! Ich bin offen und süchtig nach Neuem und interessiere mich grundsätzlich für die Arbeit guter Regisseure und Teams.

Kennen Sie Deleila Piasko, Ihre Buhlschaft, haben Sie schon mit ihr gearbeitet?
Wir haben uns bei der Berlinale 2023 kennengelernt, aber dass wir uns so in Salzburg wieder begegnen würden, hätten wir uns nicht gedacht.

Philipp Hochmair
© © 2023 Jan Friese Philipp Hochmair mit der neuen Buhlschaft Deleila Piasko

Wie hat Ihnen die Inszenierung, die jetzt aus Qualitätsgründen abgesetzt worden ist, gefallen?
Ich konnte in der Zeit leider nicht nach Salzburg kommen, aber die Ausschnitte, die ich im Fernsehen gesehen habe, haben mir gut gefallen! Vor allem die Mischung aus echtem Leben und inszeniertem Theater: als zu den gespielten die echten Klimaaktivisten ins Spiel kamen. Auch was ich von Michael Maertens' Interpretation gesehen habe, hat mir sehr gut gefallen! Das war so natürlich und gelassen. Aber wie es im Ganzen war, kann ich leider nicht beurteilen.

Die meisten im Publikum haben die Produktion abgelehnt.
Das habe ich mitbekommen, aber ich kann das nicht kommentieren, weil ich die ganze Inszenierung nicht kenne.

Haben Sie nur für ein Jahr einen Vertrag?
Nein, nicht nur für eines ...

Fühlen Sie sich jetzt in einer gewissen Weise am Ziel?
Ich bin jetzt in einer positiven Vorspannung auf den bevorstehenden Probenprozess und kann mit Vorfreude in die Zukunft schauen.

Abseits der Bühne sehe ich derzeit wenig Grund zur Freude. Kriege, Wahlen in Europa, Österreich und in den USA, Umfragen, die Leuten wie Trump und hier Kickl nicht wenig versprechen ...
Das viele Leid durch den fortdauernden Ukraine-Krieg und jetzt auch noch den nicht zur Ruhe kommenden Nahostkonflikt geht mir sehr nahe. Hinzu kommt das zunehmend schwierige wirtschaftliche Umfeld mit steigender Inflation und Arbeitslosigkeit und eine große politische Hilflosigkeit gegenüber der Bewältigung des Klimawandels. Irgendwie markiert das alles eine Art Zeitenwende. Immer mehr Menschen geht es nicht gut damit! Das bewirkt, dass die rechten Kräfte immer stärker werden. Ein Albtraum. Es geht darum, rechte Populisten wie Herbert Kickl nicht an die Macht kommen zu lassen, da die humanistischen Werte, die mich und viele andere leiten, in seiner Partei tatsächlich nicht vertreten sind. Mir sitzt noch der Schock der Regierungsbeteiligung von HC Strache in den Gliedern, der zum Glück mit dem Ibiza-Video-Skandal sein Ende fand. So etwas darf einfach nicht wieder passieren!

Philipp Hochmair
© Ricardo Herrgott News Philipp Hochmair, seit Kurzem 50, ist der Jedermann, als den ihn jedermann seit vielen Jahren gesehen hat

Sie sagten mir einmal, Sie würden Strache gern spielen. Wäre auch Kickl vorstellbar?
In der Verfilmung der Ibiza-Affäre von Christopher Schier hat Andreas Lust HC Strache bravourös dargestellt. Und mich als Schauspieler reizt es natürlich auch, solche Charaktere darzustellen. Ob Kickl als Filmheld taugt, ist zu bezweifeln. Straches absurder Werdegang war aus filmischer Hinsicht durchaus amüsant.

Und wenn Kickl in Ihre Vorstellung kommt?
Es wäre natürlich schön, wenn er das Stück sieht, geläutert wird und als ein anderer nach Hause geht.

»Depardieu ist ein Jahrhundertschauspieler, leider oft in nicht nachvollziehbaren Zuständen«

Was sagen Sie denn zur Demontage von Gerard Depardieu? In Frankreich soll er aus der Ehrenlegion gekickt werden, das Schweizer Fernsehen streicht ihn aus dem Programm.
Depardieu, ein Jahrhundertschauspieler, ist nur traurigerweise in den letzten Jahren oft in nicht nachvollziehbaren Zuständen.

Unterscheiden Sie zwischen Künstler und Privatmensch?
Die Zeiten und Perspektiven ändern sich. Ein Schauspieler hat Vorbildfunktion. Vielleicht wurde das früher etwas lockerer gesehen. Wir müssen uns als Schauspieler immer wieder mit dem Bösen auseinandersetzen und als Künstler mit dem Feuer spielen dürfen, aber gleichzeitig muss man dazu Stellung beziehen und Haltung zeigen. Im Film "Die Wannseekonferenz" habe ich mich mit dem Massenmörder Reinhard Heydrich intensiv beschäftigt, teile aber seine Ideologie in keiner Weise. Und das muss man, denke ich, ganz klar formulieren, damit das auf keinen Fall falsch verstanden wird.

Sie sagten vorher, Sie seien in Wien sehr beschäftigt. Sind Sie schon im Gespräch mit Stefan Bachmann, dem designierten Burgtheaterdirektor?
Ich habe 2023 zwei neue Folgen "Blind ermittelt" sowie in Bad Gastein den Piloten zu einer neuen ZDF-Reihe ("Der Geier") gedreht. Auch im kommenden Jahr stehen einige nationale und internationale Filmprojekte auf dem Programm, weshalb ich über ein fixes Theaterengagement leider nicht nachdenken kann.

Wo ist Ihr nächster Einsatz?
Ich bereite mich gerade auf eine Rolle in einer französischen Serie vor, die jetzt ab Jänner in Frankreich gedreht und vielleicht sogar in Österreich zu sehen sein wird. Ein spannendes Projekt.

Und wie wäre es mit der Leitung eines Hauses? Mit der "Josefstadt", die in absehbarer Zeit frei wird?
Darüber hab ich noch gar nie nachgedacht. In zehn Jahren vielleicht? (Lacht.)

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 1+2/2024 erschienen.