"Ich will leben"

Der einstige Koloss ist von fettem Braten auf frisches Gemüse umgestiegen

Eine Banane baumelt zwischen Jeanshosen an der Garderobe, ein Berg Kräuterteepackungen klettert neben der Abschwasch die Küchenwand hinan. Und im Bücherregal im Wohnzimmer haben es sich drei Vollkornbrote gemütlich gemacht. "Jetzt schauen Sie in den Kühlschrank", bittet Hermes Phettberg und präsentiert dessen Inhalt. Mehr vitaminreiche Vielfalt ist in Wien wohl nur noch auf dem Naschmarkt zu finden: Gurken, Karotten, Chilischoten, Birnen, Äpfel und Ribiseln. Phettberg, dessen Waage einst bei 150 Kilo schlappmachte, hat zwar fast zwei Drittel seiner Körpermasse verloren.

von Hermes Phettberg - "Ich will leben" © Bild: NEWS/Nina Strasser

Die Faszination für Lebensmittel hat er aber behalten. Solange sie gesund sind. Der ehemalige "Koloss von Gumpendorf", dessen Einnahmen als ORF-Moderator der legendären "Nette Leit Show" der 90er-Jahre zur Gänze seiner Fresssucht zum Opfer fielen, ist nach drei Schlaganfällen geläutert. "Ich will leben", sagt der 59-Jährige. "Ich will leben. Ich will leben."

Der Wassertrinker.
Zehn verschiedene Schachteln und Dosen mit Medikamenten nehmen den Großteil seines Esstisches ein. Vieles, etwa das Mittel zur Blutverdünnung, muss er wegen seiner angeschlagenen Gesundheit nehmen. Manches, wie die homöopathischen Kapseln für Haut, Haare und Nägel, schluckt Phettberg freiwillig. Lästig zwar, aber noch lästiger sind ihm die Wasserfluten, mit denen er das Sortiment hinunterspülen muss. So muss sich der Geschwächte dreimal die Stunde auf den Weg zur Toilette machen. Die drei Stockwerke hinunter auf die Gumpendorfer Straße nimmt er nur selten in Angriff.

Schrei nach Liebe.
Auf Phettbergs Couch türmen sich die Zeitungen. Den Inhalt muss er sich vorlesen lassen. Anders geht es nicht mehr. Nach wie vor schreibt er seine wöchentliche Kolumne für die Stadtzeitung "Der Falter". Wer aber dem "Elenden", wie er sich selbst bezeichnet, die E-Mail-Adresse zukommen lässt, erhält jeden Sonntag verlässlich ein "Gestionsprotokoll". Mit Tippfehlern zwar, die er sehr bedauert, dafür beschreibt es seine Woche ausführlich. Das ist auch sein Ruf nach draußen, zu den Verbliebenen von ehemals 250.000 ORF-Sehern, die zur Geisterstunde seinen Gesprächen mit Prominenten von Manfred Deix bis Marcel Prawy lauschten. "Ich stehe so gerne im Mittelpunkt", sagt er. "Vergesst mich bitte nicht."

Jeansboy gesucht.
Auf einem Teller trocknen die Reste seines Mittagsmahls, das täglich der Hilfsdienst "Essen auf Rädern" liefert. Diesmal gab es Zucchinicremesuppe, Penne mit Sojasugo und grünen Salat. Den Nachtisch, die zuckersüße Kuchenschnitte, gibt Phettberg der Dame von der Volkshilfe mit, die sich regelmäßig um ihn kümmert. Mit der Hausarbeit habe er es ohnehin nie gehabt, gesteht er. Jetzt, wo die Feinmotorik der Finger abhanden kam, sei es ihm nicht einmal mehr möglich, die Waschmaschine auf "40 D" zu stellen. Auch eines der vielen Opfer, das die Schlaganfälle von ihm gefordert haben.

Aber: All das Deprimierende, das Hermes Phettberg in den vergangenen Jahren widerfahren ist, hat ihm die Lust am Leiden nicht genommen. Nach wie vor erquickt es den homosexuellen Masochisten, mittels Handschellen an eine vom Türrahmen hängende Eisenkette gelegt zu werden. Am liebsten von einem hübschen Jüngling in engen Jeans. Doch ein solcher hat sich schon lang nicht mehr eingefunden. "Aber über frische Weichseln freue ich mich auch", sagt er, nach wie vor unvergleichlich.

Kommentare

Spiegelbild der Gesellschaft Die Medien sollten sich wesentlich wichtigeren Theman annehmen als sich über das Leben eines völlig gebrochenen Menschen auszulassen. H Phettberg ist mit dem Verlauf seines Lebens genug gestraft, man sollte ihm nicht auch noch die masochistische Freude bereiten Hohn und Spott über ihn und sein Lustleben zu verbreiten, auch wenn viele Menschen heutzutage gerade darin ihre Erfüllung finden.

Ein echt bemitleidenswerter Mensch. Da sieht man, was der "Großstadtdschungel" aus einem machen kann.

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