Helga Rabl-Stadler: "Ich habe für die Zukunft einfach keine Zeit"

Dass Helga Rabl-Stadler nach 26 Jahren tatsächlich die Salzburger Festspiele verlässt, glauben bis heute nicht alle. Sie selbst verdrängt in unablässiger Hochaktivität das gleichwohl Unwiderrufliche. Im Interview hält sie leidenschaftlich Rückschau.

von Kultur - Helga Rabl-Stadler: "Ich habe für die Zukunft einfach keine Zeit" © Bild: Sebastian Reich/Trend
Helga Rabl-Stadler wurde am 2. Juni 1948 in Salzburg geboren. Ihr Vater war der ORF-Generalintendant Gerd Bacher. Nach ihrem Jusstudium war Rabl-Stadler Journalistin. Von 1983 bis 1990 war sie Nationalratsabgeordnete der ÖVP, von 1988 bis 1994 Präsidentin der Salzburger Wirtschaftskammer. 1995 wurde sie Präsidentin der Salzburger Festspiele.

Bundespräsidentin will sie nicht werden. Das stellte Helga Rabl-Stadler, 73, via News gleich klar, als der steirische Landeshauptmann ihre Kandidatur für Herbst 2022 warm befürwortete. Schützenhöfer war keineswegs der Erste gewesen, aber dem Argument der scheidenden Salzburger Festspielpräsidentin war nichts entgegenzusetzen: Warum soll sie es sich verschlechtern, wo doch jeder flehentlich ihren Verbleib im persönlichen Traumjob erbittet? Nichts da. Nach 26 Jahren ist es vorbei, und da hat sie schon ein Jahr angehängt. Tatsächlich wollte sie 2020 zum Hundertjahrjubiläum gehen, doch das fand auf Geheiß eines zweitklassigen Virus nur per Notvariante statt. Und selbst die war eine Großtat historischer Dimension: Während alle anderen zusperrten, zeigten die Festspiele, was mit Genie und Weitblick möglich ist.

Als die stellvertretende ÖVP-Vorsitzende, Besitzerin des Salzburger Modehauses Resmann und ehemalige "Kurier"-Journalistin 1995 ins Amt gelangte, war die Häme nicht zu überhören, und der konfliktfrohe Intendant Gerard Mortier rieb mit dem Bihänder auf. Alsbald zeigte sich indes, dass sie die Gene ihres Vaters, des Medienvisionärs Gerd Bacher, im Überfluss ins Amt gerettet hat. Und keineswegs sind es nur die 150 Millionen Euro an Sponsorengeld, die sie für das Spektakel lukriert hat: Mittlerweile hat sie fünf Intendanten überstanden und pflegt mit dem sechsten, Markus Hinterhäuser, endlich die ideale Partnerschaft. Leider nur bis 31. Dezember. Dass die Änderung des Kirchenrechts zwecks Seligsprechung zu Lebzeiten schon angebahnt wäre, wird seitens der Erzdiözese Salzburg allerdings dementiert.

Sie gehen gerade durch ein endloses Spalier betrübter Zuwendung. Erleichtert oder erschwert Ihnen das den Abschied?
Es erleichtert ihn, weil es mich in meiner Meinung bestätigt: Man soll gehen, wenn das noch bedauert wird. Ich hätte mir nie erhofft, dass ich einmal unter Standing Ovations gehen darf. Ich gehe auf der Straße buchstäblich durch ein Spalier, und Mails und SMS kommen auch von Menschen, deren Freundschaft ich mir nicht erwartet habe.

Sie entfalten allerdings eine Höchstbetriebsamkeit, die den Verdacht weckt, Sie würden das Bevorstehende eher verdrängen.
Da werden Sie schon recht haben. Ich war schon immer eine Meisterin der Verdrängung. Ich tue jetzt so, als würde ich noch ewig bleiben. Ich rede mit jedem Sponsor und bin gerade besonders erfolgreich. Wir haben zum ersten Mal wieder fünf Hauptsponsoren, und ich habe soeben alle Verträge verlängert, so dass, wer immer mir nachfolgt, nicht um das Budget bangen muss.

© Julia Stix Helga Rabl - Alexander Pereira, 2012

Ihr Vertrag läuft bis 31. Dezember. Gehen Sie da noch mit dem Intendanten auf die traditionelle Welttournee zu den Freundeskreisen?
Leider eher nicht. Markus und ich hatten es vorgehabt, aber die Pandemie hat unsere Reisepläne durchkreuzt. Wenn etwas möglich ist, machen wir aber zumindest Wien, München, Hamburg, Berlin, London und Paris, wo wir einen neuen Freundesverein haben. Auf jeden Fall werde ich im Herbst keinen Urlaub machen, sondern noch das Finanzielle abschließen und ein paar Dinge finalisieren, die ich angestoßen habe.

Und am 1. Jänner?
Da ich nicht weiß, wie man mich behandelt, wenn ich nicht mehr Präsidentin bin, gehe ich jedenfalls ins Neujahrskonzert, das ich jedes Jahr besucht habe. Oft war ich auch am Vorabend in der "Fledermaus". Sonst weiß ich gar nichts, ich habe für die Zukunft einfach keine Zeit. Ich bin zum Beispiel heute seit halb acht im Haus.

Dass Sie sich komplett zur Ruhe setzen könnten?
Das weiß ich wirklich selber noch nicht. Ich habe mich stets über meinen Beruf definiert und nicht, so sehr ich sie liebe, als stolze Mutter zweier Söhne. Daher steht mir ein totaler Wechsel bevor. Ich bin eine Riesenleserin. Aber jetzt muss ich lernen, wie das ist: Lesen ohne den Zwang oder die Möglichkeit, das Gelesene zu verwerten. Lesen im Wissen, dass niemand mehr darauf neugierig ist, was ich von dem Buch halte.

Sie übernehmen kein Amt mehr?
Sicher nicht.

Bundespräsidentin wollen Sie auch nicht werden?
Diese Frage habe ich auch Ihnen schon so oft negativ beantwortet, dass ich die Antwort verweigere.

Was ist denn nun das Anforderungsprofil für den Nachfolger?
Diese Persönlichkeit muss sich über eines klar sein: Die Festspiele waren nie eine bloße Theaterneugründung. Sondern eine Angelegenheit der europäischen Kultur mit künstlerischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Ich zitiere Hugo von Hofmannsthal. Die Substantive und Adjektive, die gewählt wurden, um die Festspiele zu beschreiben, müssten demjenigen oder derjenigen klarmachen, welche Verantwortung ihn oder sie erwartet: Eine Weltkunstzentrale wollte Max Reinhardt, eine Begeisterungsgemeinde sah Bazon Brock, ein Leuchtturmprojekt und einen Gedächtnisort Jan Assmann. Diese Persönlichkeit darf dann nicht zulassen, dass die Festspiele eine bloße Aneinanderreihung von Events sind. Sondern sie muss Markus Hinterhäuser darin unterstützen, hier das Epizentrum des Besonderen zu ermöglichen. Und es geht um den Spagat zwischen Verwurzelung in der Region und internationaler Ausstrahlung. Daran habe ich lange gearbeitet. Unter Karajan hatte die Bevölkerung den Eindruck, da schwebt im Sommer eine Wolke der Reichen und Schönen über ihr, die sie nichts angeht. Das haben wir schon mit Mortier richtiggestellt. Gleichzeitig darf man aber nicht provinziell werden.

Aber Karajan war ja selbst der ideale, weil geborene Übersalzburger!
Natürlich! Aber gleichzeitig wurde von seiner Umgebung die Arbeit in der Stadt selbst vernachlässigt. Von einem Genie konnte man das nicht erwarten. Aber heute hat der Präsident auch die Aufgabe, für das Programm zu werben. Natürlich hätte die lokale Wirtschaft am liebsten ausverkaufte Vorstellungen, die jedem gefallen. Die wären allerdings rasch nicht mehr ausverkauft, wenn man sich danach orientiert.

»In Salzburg hält sich jeder für den geeignetsten Festspielpräsidenten«

Nun will man ja Karajan, der ein bescheidener Nazi-Opportunist war, seinen Platz wegnehmen ...
Ich halte es für falsch, nicht zwischen Werk und Persönlichkeit zu unterscheiden. Heute war Ruth Beckermann bei uns und wollte den Karajan-Platz und den Karl-Böhm-Saal abschaffen. Das ist für mich ausgeschlossen. Beide waren große Künstler, die politisch geirrt, aber keine Verbrechen begangen haben. Ich verstehe Südafrikaner, die keine Statuen ihrer Peiniger dulden wollen. Aber Karajan? Es ist typisch, dass er zwei Mal der Partei beigetreten ist. Dem war alles egal, er wollte dirigieren. Das ist vielleicht verwerflich, aber er war in kein Verbrechen involviert. Ich finde es viel wichtiger, den jetzt bestehenden Antisemitismus gemeinsam zu bekämpfen.

Muss Ihr Nachfolger Salzburger sein?
Er oder sie muss hier leben. Albert Moser, der unter Karajan Präsident war, hat sich einmal in der Woche mit dem Chauffeur die Briefe zur Unterschrift nach Wien bringen lassen, und im Juli war er auf Kur. Das geht nicht mehr. Man hat Teil dieser Gesellschaft zu sein, und wer erklärt, im Sommer tue sich endlich etwas in Salzburg, begeht eine Gemeinheit gegenüber der Camerata, dem Mozarteumorchester, dem Landestheater ...

Namen für die Nachfolge möchten Sie keine kommentieren?
Sicher nicht.

Aber muss Ihnen eine Frau nachfolgen?
Man muss sich schon fragen, ob in der heutigen Zeit ein Dreierdirektorium nur aus Männern bestehen soll. Wenn sich eine männliche Lichtgestalt nähert, lasse ich mit mir reden. Aber kennen Sie eine?

Sie nicht?
Nächste Frage, bitte.

Muss diese Person mit der Politik kooperieren oder die Kunst vor ihr in Schutz nehmen?
Beides. Ich versuche, bei den politischen Parteien den Konsens durchzusetzen, dass Kunst systemrelevant ist. Das ist ja gerade im vergangenen Jahr ziemlich gelungen.

Gehen wir jetzt weit in die Vergangenheit. Als Sie 1995 Präsidentin wurden, hat man Sie als ÖVP-Politikerin, Unternehmerin und ehemalige Journalistin ausgelacht. Haben Sie sich damals überhaupt qualifiziert gefühlt?
Als mein Vorgänger auf eigenes Betreiben hin ausgeschieden ist, traute ich mir diese Managementposition zu. Ich hatte Jus studiert, war erfolgreiche Journalistin und Kauffrau und habe sechs Jahre lang die Salzburger Wirtschaftskammer als Präsidentin und Finanzreferentin geführt. Ich kannte das Salzburger Biotop und liebte die große, weite Kulturwelt. Und ich wollte einem so tollen Intendanten wie Mortier und einem so wunderbaren Konzertchef wie Hans Landesmann, der das Gustav Mahler Jugendorchester und Wien Modern gegründet hatte, ehrlich zur Seite stehen. Also hat man mir auch gleich das Kartenbüro umgehängt. Alles war zunächst ruhig, ich war ja mit den Stimmen der SPÖ gewählt worden. Der große SPÖ-Kunstminister Scholten war mit mir bei Kanzler Vranitzky im Parlament, noch bevor ich, immerhin als stellvertretende Parteichefin, meinem eigenen Obmann Busek etwas gesagt habe! Vranitzky konnte nicht glauben, dass ich für Salzburg alles hinwerfen wollte. Aber als er es geglaubt hat, sagte er: "Na, dann machen Sie es."

© Fritz Schuster Helga Rabl-Stadler und Peter Ruzicka, Salzburger Festspiele 2005

Aber freundlich ist man Ihnen nicht begegnet.
Auch nicht in der Stadt, schon einmal als Frau, was heute nicht mehr so ginge. In Salzburg hält sich jeder für den geeignetsten Festspielpräsidenten.

Auch Mortier ist sofort in Opposition zu Ihnen gegangen.
Stimmt nicht! Wir kannten einander schon vor seiner Ernennung. Aber nach drei Jahren in Salzburg ist er plötzlich unruhig geworden, weil überall Landesmanns Konzertprogramm bewundert wurde. Da wollte er ihn und mich weghaben, das Direktorium abschaffen, selbst Intendant und Präsident in einem werden und alle anderen auf die zweite Ebene verfrachten. Als das nicht durchging, kamen die schrecklichen Sachen, eine Dirndlverkäuferin aus der Getreidegasse als Präsidentin Es tut mir heute noch weh, und wenn wir darüber reden, muss ich aufpassen, dass meine Stimme nicht zittert. Im Festspielhaus waren wir nur durch ein Büro getrennt, da war alles ruhig. Aber wenn er im Ausland war, kamen plötzlich in "Le Monde" die bösartigen Interviews.

Haben Sie Mortier nach seinem Abgang noch einmal gesehen?
Ja, wir haben uns auf meine Initiative hin versöhnt, bevor er traurig an Krebs gestorben ist. Ich hatte all die Beleidigungen geschluckt, weil ich der Meinung war und bin, dass er der richtige Mann für die Festspiele war.

Warum?
Weil er den ästhetischen Nachholbedarf nach Karajan gedeckt hat. Er hat umgerührt, es gab keine Tabus. Das war für die Festspiele, deren Konzept darin bestand, Karajan nicht zu verärgern, immens wichtig. Wir haben einander übrigens kurz vor der Diagnose bei der Eröffnung des neuen Linzer Musiktheaters getroffen. Alexander Pereira hatte damals gerade seinen vorzeitigen Abgang aus Salzburg an die Mailänder Scala bekannt gegeben, Markus Hinterhäuser war noch zwei Jahre an die Wiener Festwochen gebunden. Und, stellen Sie sich vor: Mortier hat mir angeboten, diese beiden Jahre mit mir interimistisch zu übernehmen! Das zeugt zwar einerseits vom Realitätsverlust, aber andererseits auch von seiner Verbundenheit mit Salzburg, wo er den Höhepunkt seiner Karriere erlebt hatte.

Nach Mortier kam 2002 Peter Ruzicka, eine Alleinerfindung der Wiener Philharmoniker. Während seiner Intendanz wurden in Salzburg Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Nina Stemme und Anja Harteros der internationalen Opernwelt bekannt. Er musste auf Betreiben des roten Bürgermeisters Schaden wegen parteipolitischer Rivalitäten nach fünf Jahren gehen. Habe ich das richtig geschildert und irre ich, wenn ich diese fünf Jahre, in denen auch Martin Kušej Schauspielchef wurde, als schwer unterschätzt bezeichne?
Sie irren nicht. Nicht jeder, der ein Amt hat, macht eine Ära. Ruzicka aber war eine Ära. Abgesehen von den sängerischen Entdeckungen hat er die künstlerische Wiedergutmachung an verfolgten und verbotenen Künstlern wie Zemlinsky, Wellesz und Korngold, dessen Renaissance wir eingeleitet haben, auf den Weg gebracht. Wie gut uns das in den USA getan hat! Im Jubiläumsjahr 2006 haben wir alle 22 Mozart- Opern aufgeführt und die Mozart-Kompetenz nach Salzburg zurückgeholt, nachdem schon Karajan mit Wagner und Verdi die Aufmerksamkeit ein wenig von Mozart abgezogen hatte. Ich habe mich in der Ära Ruzicka jedenfalls gut von den konfliktreichen Mortier-Jahren erholt. Und da ich Ruhe hatte, konnte ich auch tun, was ich gut kann: Freunde für die Festspiele rekrutieren, Mäzene, Sponsoren, Vorträge halten ...

Wie viel haben Sie in diesen 26 Jahren denn an Land gezogen?
Gut, dass Sie mich erinnern, das möchte ich gern noch erheben lassen. Es waren jedenfalls über 150 Millionen Euro.

Die Erholung anno Ruzicka konnten Sie jedenfalls brauchen, denn dann kam nach endloser, durch Parteienhader blockierter Suche der frühere Schauspielchef Jürgen Flimm ins Amt. Seine Zuneigung zu Ihnen war in meiner Erinnerung überschaubar.
Ja, es war eine sehr schwierige Zeit. Ich habe Jürgen Flimm wegen seiner engen Beziehung zu Harnoncourt und zur österreichischen Literatur besonders geschätzt. Kaum war er allerdings Intendant, bekam er Angebote, die ihn mehr gelockt haben, ein deutsches Kulturhauptstadtprojekt und die Übernahme der Berliner Staatsoper mit Barenboim. Das hat unsere Beziehung schnell getrübt.

»Der gesellschaftliche Wandel ist besorgniserregend. Es geht nur noch um Gier und Entertainment!«

Dann war der Nachfolger so gut wie klar: Markus Hinterhäuser hatte als Konzertchef das Niveau der Festspiele hoch oben gehalten. Hinterhäuser wurde aber blockiert.
Über Details darf und werde ich keine Auskunft geben, zumal man mich ja nicht einmal zum Mitglied der Findungskommission gemacht hat. Ich wollte selbstverständlich Markus haben und war fassungslos, dass man ihn als Fünfzigjährigen für zu jung erklärt hat.

Jedenfalls kam statt Hinterhäuser der Zürcher Intendant Pereira. Aber nicht für lang, er hat schnell hingeschmissen, kaum dass die Mailänder Scala nach ihm gerufen hatte.
Das war anders: Er ist vorzeitig an die Scala abgegangen, weil man in Salzburg nicht schon im ersten Jahr seinen Vertrag verlängern wollte. Aber wir verdanken ihm auch viel: Er hat Cecilia Bartoli überredet, die Pfingstfestspiele zu übernehmen und diese von einem schwierigen, kleinen Nebenschauplatz zu einem eigenständig funkelnden Juwel zu machen. Und er hat die Ouverture spirituelle erfunden. Diese Woche geistlicher Musik vor der eigentlichen Eröffnung, noch dazu in Räumen wie der Kollegienkirche, hat dieses ewige Gerede, ob die Gräfin Bumsti noch vor dem Grafen Poldi eingetroffen ist, in der Bedeutungslosigkeit versenkt.

Als Pereira weg war, haben Sie für die Übergangsjahre 2015 und 2016 mit dem Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf übernommen, weil Hinterhäuser an Wien gebunden war. Da gehört doch einiges an Kaltblütigkeit dazu, ein Weltunternehmen quasi durchzuimprovisieren. War das nicht deprimierend?
Nein. Sven hat sich in die Sache hineingeworfen, als wäre er für die nächsten 20 Jahre bestellt. Er kannte sich mit der Steuerabschreibung genauso aus wie mit den Opernbesetzungen. Er hat nur leider eine Nichtbeziehung zu den Medien entwickelt, die ihm und den Festspielen nicht guttat. Jedenfalls hat er einen der für mich besten "Jedermänner" zustande gebracht, mit dem Duo Crouch und Mertes.

Und dann endlich Hinterhäuser. Steht sein Verbleib über 2026 bei irgendjemandem infrage?
Überhaupt nicht. Alle lieben ihn, und er kann etwas Wunderbares: Er kann so gut Menschen für seine Ideen begeistern. Ruzicka hat seinerzeit Stockhausen geholt. Niemand ist hingegangen, da sagte Ruzicka, wer Stockhausen nicht zu schätzen weiß, ist selber schuld. Markus verkauft auch spröde Dinge. Außerdem ist er in finanziellen Dingen total verlässlich. Er wird nie ein Budget überschreiten, und wenn einmal Mehrbedarf bestand, haben wir das gemeinsam freundschaftlich gelöst. Dass sich der künstlerische Direktor seiner ökonomischen Verantwortung bewusst ist, schätzt auch das Kuratorium sehr. An Markus' Sessel sägt niemand.

Auch nicht der pensionierte Münchner Operndirektor Bachler, wie verbreitet wurde?
Keine Spur. Das ist lächerlich.

Warum geht denn, das Sprechtheater ausgenommen, die Ära Hinterhäuser so glückhaft auf?
Er kam sehr spät für die Funktion dran. Er ist gleichsam ein Speicher für interessante Projekte und gute Musik. Er kommt aus einem sehr gebildeten Elternhaus und schöpft aus dem Vollen seines Wissens. Und dazu kommt noch die Fähigkeit des Verkaufens. Wenn er will, setzt er das Seine durch.

© Franz Neumayr Präsidentin Helga Rabl-Stadler und Intendant Markus Hinterhäuser, Salzburger Festspiele 2020

Kommen wir zum Gesamtüberblick über Ihre 26 Amtsjahre. Ist der kulturelle Gesamtbefund der Gesellschaft in dieser Zeit nicht verheerend gesunken?
Ja, der gesellschaftliche Wandel ist besorgniserregend. Es geht nur noch um Gier und Entertainment! Oder ist es ein Zufall, dass so viele gute Künstler aus Litauen kommen? Dort gibt es noch eine Basis-Musikbildung. Jeder singt in einem Chor, und in dieser Gesellschaft, in der es noch viel Armut gibt, ist es das Schönste, einen Abend im Theater zu verbringen und selbst zu musizieren. Die Eventisierung von Kunst und Kultur, verschärft durch die mediale Explosion im Internet, gefällt mir gar nicht. Aber so negativ wie Sie sehe ich die Situation trotzdem nicht. Corona hat uns doch klargemacht, dass Kunst und Kultur nicht nur eine Deko sind, wie auch die Politiker dachten.

Eben! Oder hat sich die Politik in dieser Zeit etwa um die Kultur gekümmert? Die Festspiele haben wegweisende Präventionskonzepte vorgelegt, aber alles blieb zugesperrt.
Aber wir durften letztlich spielen und haben mehr Förderung bekommen als die Kunstbetriebe in Deutschland, und es ist auch schneller gegangen. Jetzt ist mehr Zusammengehörigkeitsgefühl nötig. Immer haben die Institutionen auf das Trennende geschaut. Das Theater in der Bundeshauptstadt hat auf die Landestheater heruntergeschaut, die Landesopernhäuser waren voller Neid auf die Staatsoper, und was ist schon ein Seefestival? Da ist etwas Gutes passiert. Und die Staatssekretärin will hier mit einer Kulturstrategie einsteigen! Ich werde mich dafür jedenfalls engagieren.

»Ein Dreierdirektorium nur aus Männern? Wenn sich eine männliche Lichtgestalt nähert, lasse ich mit mir reden. Aber kennen Sie eine?«

Da hätten wir doch schon Ihr nächstes Amt!
Moment! Ich beteilige mich gern an entsprechenden Aktivitäten, aber ich will keinen Job, um Gottes willen.

Wollen wir fast schon am Schluss dem Salzburger SP-Bürgermeister Schaden ein freundliches Wort widmen? Er war kein Guter, aber er wurde verurteilt und soll jetzt bis zur Altersarmut gepfändet werden, weil er Schulden der Stadt an das Land weitergereicht hat - also sie ohne jede Selbstbereicherung innerhalb der öffentlichen Hand transferiert hat. Verfährt man mit ihm nicht sinnlos grausam und rachsüchtig?
Schaden war anfangs kein Fan von mir und hat bei der erstmaligen Verlängerung meines Vertrages sehr unfreundliche Bedingungen gestellt. Aber wir haben dann gut zusammengearbeitet, und ich konnte ihn für die Festspielpartei, die einzige, die mich interessiert, gewinnen. Mir tut das Herz weh, dass einer, der so aufs Geld geschaut hat, so verurteilt wurde, als hätte er die Stadt geschädigt. Ich halte auch immer Kontakt zu ihm.

Ihre größte Enttäuschung in diesen 26 Jahren?
Das Verhalten von Gerard Mortier. Die Verletzung habe ich auch heute noch nicht überwunden.

Und der größte Glücksmoment?
Als wir das umgebaute Haus für Mozart mit "Nozze di Figaro" wiedereröffnet haben und Harnoncourt mit der Akustik zufrieden war. Sie müssen sich das vorstellen: Ich hatte 40 Prozent der Kosten durch Sponsoren eingebracht. Und ein Wort von Harnoncourt hätte alles zunichtegemacht.

Das Interview erschien ursprünglich im News 34/2021.