"Die Kunst war seine Heimat!"

In poppiger, flächiger Buntheit, meist schemenhaft und gesichtslos, begegnete Robert Hammerstiel (2020) in seiner Malerei intuitiv und emotional der Menschheit. Stets im Fokus: deren Würde. Dabei erzählen seine Bilder eine Geschichte - seine Geschichte. Uns erzählt sie sein Sohn.

von Kunst - "Die Kunst war seine Heimat!" © Bild: Martin Vukovits / Contrast / picturedesk.com

"Für meinen Vater war es einzig die Malerei, die gezählt hat - und damit hat er sich in der heimischen Szene ohne Frage ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen", bewundert Robert F. Hammerstiel seinen Vater. Ebenfalls außer Frage steht die Tatsache, dass Vater-Sohn-Beziehungen nicht zwingend die einfachsten sind, man - vice versa - nicht für alles Bewunderung ernten und immer und überall konform gehen kann. Erhöhtes Diskussionspotenzial bietet sich vor allem dann, wenn sich beide Generationen der bildenden Kunst verschrieben haben. Dabei aber grundlegend verschiedene Wege beschreiten. Denn der Unterschied zum Vater ist weit signifikanter als das kursive F., das zwischen Vor-und Nachnamen des Jüngeren prangt: "Mit Neuen Medien aufgewachsen und entsprechend sozialisiert, habe ich einen völlig anderen Zugang zur zeitgenössischen Kunst als mein Vater, der eine deutlich traditionellere, handwerklichere Herangehensweise gewählt hat", führt der mit dem F., der in seiner Fotografie, Videokunst und Installation einem klaren Konzept folgt, aus. Robert Hammerstiel hingegen war ein intuitiver, von Emotionen geleiteter Autodidakt, der die Ideologie eines Konzepts stets ablehnte. "Mein Vater hatte kein Konzept, weit wichtiger war für ihn der Inhalt seiner Werke -er hat immer aus dem Bauch heraus gemalt." Doch all der Unterschiede zum Trotz, lässt sich im Werk der Hammerstiele ein gemeinsamer Nenner festmachen -die Arbeit am Existenziellen.

© RFH Die Maserung des Holzes gibt die Erzählung des Bildes vor - ein Novum

Der Mensch im Mittelpunkt

Denn der Mensch spielt in Robert Hammerstiels Werk nicht bloß eine zentrale Rolle, nein, vielmehr steht er seit jeher - von kürzeren, immer wiederkehrenden Exkursen in die Landschaftsmalerei einmal abgesehen - im Mittelpunkt seines Schaffens. Und das über sämtliche Werksgruppen, von denen es im Oeuvre Hammerstiels einige gibt, hinweg: "Aus Ermangelung an Materialien war die Zeichnung in jungen Jahren seine erste künstlerische Station, ehe er durch sein Studium bei Robert Schmitt den Holzschnitt für sich entdeckte und ihn mit seinem Pioniergeist auf meisterliche Art weiterentwickelte", so F. Hammerstiel. Das Besondere: "Mein Vater hat als Erster die Maserung des Holzes in seine Arbeit miteinfließen lassen. Astlöcher wurden zu den Gesichtern seiner Gestalten - das Holzstück hat gewissermaßen die Erzählung des Bildes vorgegeben." Ein Novum, mit dem er wenig später erstmals reüssierte. Ein Wandel, der Ende der 80er seinen Höhepunkt erreicht: Hammerstiel emanzipierte sich radikal von seinem detailreicheren, von düsterer Palette gezeichneten, grafischen Frühwerk -setzte fortan einen stark farbigen Akzent, der ihm letztlich den Weg in die Riege der arriviertesten österreichischen Künstler ebnete. Mit dem markanten, künstlerischen Wandel verändern sich auch Hammerstiels Gestalten.

© RFH Hammerstiels grafisches Frühwerk war von düsterer Palette

Dass sich Robert Hammerstiel in seinem Gesamtwerk über all die Jahre der Menschheit und deren Würde verschrieben hat, rührt übrigens nicht von ungefähr. Denn wie der eigene Sohn, kam auch Hammerstiel durch väterliche Inspiration zur Kunst. Die Sensibilisierung durch den Vater, einen Ikonen malenden Bäcker, erschließt sich den wissenden Betrachterinnen und Betrachtern auf den zweiten Blick: Obwohl die Gestalten seiner Malerei ganz ohne dekorative Ornamentik, Schrift und Binnenlinien, die physiologisches Detail verleihen, auskommen, verortet man in der Formsprache seiner späteren, flächigen Menschdarstellung, die sich einzig auf deren äußere Kontur besinnt, Parallelen zur Ikonenmalerei. Die klare Bildsprache seiner Figuren, die stets einem strengen Bildaufbau folgt und die Menschenwürde als zentrales Element versteht, ist Zeugnis dieser frühkindlichen Einflussnahme.

»Mein Vater hatte kein Konzept - er hat aus dem Bauch heraus gemalt«

Robert F. Hammerstiel

Beziehung als Narrativ

Und obwohl Hammerstiel in seinen malerischen Abbildungen über die Jahre immer weiter abstrahiert, bleibt der ikonografische Anspruch unangetastet: Zumeist finden sich seine Gestalten, denen der Drahtseilakt zwischen Abstraktion und Figuration gelingt, in komplexen Szenarien wieder -es ist deren Interaktion, die zum Narrativ seiner Werke wird. "Seine gesichtslosen, schemenhaften Menschen sind keine figuralen Schablonen ohne Ausdruck -im Gegenteil: die Botschaft liegt in der Beziehung der Menschen zueinander. Meist zeigen die Darstellungen Szenen der Zuneigung oder Ablehnung."

Nicht selten thematisiert er damit Erlebtes. Und erlebt hat Hammerstiel so einiges: Geboren in Werschetz, im heutigen Serbien, setzen die Kriegsgeschehnisse der glücklichen Kindheit des Sohnes deutscher Auswanderer ein jähes Ende - was folgte, war eine Zeit voller Leid und Gewalt, die letztlich in einem Internierungslager ihren tragischen Höhepunkt fand, ehe der Mutter mit ihm und seinem Bruder 1947 die Flucht nach Österreich gelang. "Für meinen Vater war die Zeit im Lager, zu vierzigst eingepfercht auf 20 Quadratmeter, ein Elementarerlebnis, das ihn und damit seine Kunst maßgeblich geprägt hat", berichtet F. Hammerstiel von den väterlichen Erzählungen.

© RFH Hammerstiels Werk erhält Ende der 80er einen farbigen Akzent

Kosmopolit mit Weitblick

In Österreich wird das niederösterreichische Pottschach im Bezirk Neunkirchen auf Lebenszeit zu seiner neuen Heimat -oder vielmehr zu seinem Lebensmittelpunkt. Denn Heimat im klassischen Sinne gab es für Hammerstiel keine: "Mein Vater war ein vollkommener Kosmopolit", so der Sohn. "Pottschach war sein Lebensmittelpunkt -das Gartenatelier, ein Ort der Begegnung, an dem Kunst und Kommunikation, die zwei wichtigsten Dinge in seinem Leben, stattfanden, war sein Zuhause. Die Kunst, das Atelier, war seine Heimat."

Seine kosmopolitische Weltanschauung öffnete dem autodidaktischen Künstler, der sich anfangs mit Schwerstarbeit im Stahlwerk die Kunst finanzierte, die Welt -seine diversen internationalen Studienreisen führten Hammerstiel von Europa aus über den Mittleren Osten bis in die USA. 1988 machte er dort, genau genommen in New York, seine bahnbrechendste Entdeckung -mit etwas kunsthistorischer Verspätung stieß er auf die Pop Art, die sein Werk fortan maßgeblich beeinflusste. Sie war der Impulsgeber für die Erweiterung der bis dato düsteren Farbpalette des Frühwerks um starke, kräftige Farben. Der feine, grafische Strich wich nun dem flächigen Farbauftrag. "Die Farbe war es, die meinen Vater in ihren Bann gezogen und begeistert hat", so F. Hammerstiel. "Bei der europäischen Malerei entstanden durch Übermalung stets Farbabstufungen, die er bei der Primärfarben-Malerei in den USA so nicht vorfand. Da war ein Rot, ein Rot und sonst nichts -das hat ihn fasziniert." Und doch war Farbe für ihn mehr als Buntheit: "Er hat ihr Charakteristika zugeordnet und sie mit Bedeutung aufgeladen -so war beispielsweise Blau für ihn mit kühl und distanziert gleichzusetzen, während Rot für ihn Annäherung symbolisierte." Geschickt bediente er sich so einzelner Elemente dieser farbgewaltigen Kunstrichtung, ohne sich ihr je unterzuordnen. "Denn das Konzept der Pop Art -das des Vorgefertigten, des Reproduzierbaren -hat ihn nie interessiert", unterstreicht F. Hammerstiel, dessen Vater bis zu seinem Tod 2020 der Intuition die Treue schwur. Genau sie und Hammerstiels emotionale Herangehensweise waren es, denen er und wir letztlich diesen völlig neuartigen Zugang zur Malerei verdanken.

© ALINA PARIGGER / APA / picturedesk.com Als zweiter Künstler gestaltete Hammerstiel 2007 die Ringturmfassade - neben Personalen im Leopold Museum und der Albertina ein weiteres Ausstellungshighlight

KULTURTIPP: Aktuell zeigt die Galerie Artecont (1., Opernring 21) noch bis 29. Februar Hammerstiels Werke. artecont.at

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 5/2024.