Großfrächter
Gerhard Stadler festgenommen

Staatsanwaltschaft wirft dem 75-Jährigen "im wesentlichen betrügerische Krida vor"

Der ehemalige österreichische Großfrächter Gerhard Stadler wurde am Montag festgenommen. Das bestätigte Oberstaatsanwaltschaft Norbert Hauser am Dienstag gegenüber News.at. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 75-Jährigen, der einst ein internationales Firmengeflecht mit mehr als 1000 LKW steuerte, "im wesentlichen betrügerische Krida vor", wie Hauser erklärte. Über eine mögliche U-Haft des ehemaligen Firmenlenkers Stadler, der mittlerweile im Konkurs ist, müsste bis Mittwoch entschieden werden.

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Sozialbetrug - Großfrächter
Gerhard Stadler festgenommen

Durch Sozialbetrug gehen dem Staat jedes Jahr Milliarden verloren, wie im Magazin News vor kurzem zu lesen war - nicht nur in der Gastronomie und am Bau. Von der Spedition bis zum Provinzsportverein: Auf Scheinfirmen und dubiose Abrechnungsmodelle stößt man in vielen Bereichen der Gesellschaft. Die News-Story zum Nachlesen.

Gerhard Stadler, 75, hat sich seinen Lebensabend sicher anders vorgestellt. In guten Zeiten herrschte der Frächter und Spediteur mit seiner Familie über mehr als 30 internationale Gesellschaften, für die mehr als 1.200 Fahrer in über 1.000 Lkw tätig waren. Doch seit Dezember 2012 zerfällt sein Reich: Konkursrichter und Insolvenzverwalter erobern eine Tochter nach der anderen. Im Jänner 2015 wurde sogar die Konkurseröffnung über das Privatvermögen des ehemaligen Selfmade-Millionärs aus Oberösterreich durch das Oberlandesgericht bestätigt. Sein Versuch, sich dem österreichischen Konkursgericht durch eine behauptete Übersiedelung nach England zu entziehen, war vergeblich. Stadler ist empört: Es sei unverantwortlich gewesen, sein Lebenswerk durch eine solch rigorose Vorgangsweise von Finanzamt und Krankenkasse zu zerstören und somit wichtige Arbeitsplätze zu vernichten. Stadlers Niedergang begann spätestens am 13. Oktober 2011. Exakt 13 Monate lang hatten Prüfer das komplexe Firmengeflecht Stadlers unter die Lupe genommen. Bei der sogenannten Schlussbesprechung brach plötzlich hektische Betriebsamkeit aus; insgesamt 89 Millionen Euro an offenen Sozialabgaben sollten die Kontrollore letztlich einfordern. Die ersten Konkurseröffnungen bei Stadler-Gesellschaften erfolgten erst ein gutes Jahr nach diesem Paukenschlag: Zeit genug, um in der Firmengruppe Forderungen abzutreten, Dienstnehmer umzumelden und Millionenwerte innerhalb des Konzerns zu verschieben. Ein Heer von Insolvenzspezialisten und Anwälten bezweifelt die Rechtmäßigkeit dieser Vorgänge. In Gerichtsverfahren werden diese Monate vor den ersten Konkursen durchleuchtet.

Spannend ist allerdings auch die Vorgeschichte der Abgabenprüfung, die den Zusammenbruch des Stadler-Imperiums eingeläutet hat. Das Ergebnis dieser Betriebsprüfung wirft eine Frage auf, deren Beantwortung über den Einzelfall hinaus von Interesse sein muss: Läuft da etwas grundsätzlich schief in einer Branche, in der eine einzige Unternehmensgruppe innerhalb weniger Jahre knapp 100 Millionen Euro an offenen Sozialabgaben schuldig geblieben sein soll? Ist das ein drastischer Einzelfall oder besteht systemischer Handlungsbedarf?

"Nicht alles ist so groß und grausig wie der Fall Stadler", sagt Karl Delfs von der Gewerkschaft, der den großen Frächtern seit Jahren auf die Räder sieht. "Wir sind hier mitten im Sozialbetrug. Ich garantiere dem Finanzminister, dass alleine im Güterverkehr für die Gegenfinanzierung der Steuerreform pro Jahr mehr als eine Milliarde zu holen wäre." Auch Sylvia Leodolter, Leiterin der Verkehrsabteilung in der Arbeiterkammer, beziffert den Schaden für Fiskus und Sozialversicherung durch kreative Konstruktionen im Frächtergeschäft mit rund 50.000 Euro pro Lkw pro Jahr. Und selbst Erik Wolf, Geschäftsführer der Sparte Transport bei der Wirtschaftskammer, erklärt: "Fälle wie Stadler verteidigen wir auf gar keinen Fall. Dass es höchst dubiose Geschäftsmodelle gab, steht außer Frage." Um konkurrenzfähig zu bleiben, sei es für Frächter jedoch notwendig, ins Ausland zu gehen.

Ein österreichischer Lkw hat mittlerweile Seltenheitswert auf heimischen Autobahnen. "Ausflaggen" nennt sich die Praxis, mit der heimische Frächter ihre Sattelzüge unter fremder Fahne auf die Reise schicken. Auf der Zugmaschine mit osteuropäischem Kennzeichen sitzen dann Fahrer aus Billiglohnländern, die in Flat-Tax-Paradiesen zur Sozialversicherung angemeldet werden. Die offiziellen Arbeitgeber: allesamt Gesellschaften, die von juristischen Szenekennern nicht selten unter den dringenden Verdacht des Briefkasten-Daseins gestellt werden. Die Ersparnis: In Bulgarien etwa liegt der Mindestlohn bei 1,06 Euro pro Stunde. Das spart nicht nur jede Menge Personalsondern vor allem Lohnnebenkosten, die direkt in Bulgarien abgeführt werden. Österreichische Sozialabgaben? Fehlanzeige - zur Sozialversicherung angemeldet ist der Fahrer ja in Bulgarien.

Doch die Anwendung dieses zumindest auf den ersten Blick kostenmäßig optimierten Systems hat schwerwiegende Nebenwirkungen - für die beteiligten Firmen und Fahrer ebenso wie für die Gesellschaft und die staatlichen Systeme. "Aus den einstigen Helden der Landstraße sind Sklaven der Autobahn geworden", sagt Gewerkschafter Delfs. Am Beispiel Stadler lässt sich ein krankes System besonders gut beleuchten.

Die Fahrer kamen busweise, erst aus Bosnien, dann aus Rumänien und später - als der Ruf der Firma auch in Rumänien bereits restlos ramponiert war - aus Bulgarien. Von Peuerbach in Oberösterreich aus wurden mehr als 1.000 Fahrer auf Tour geschickt, immer gleich mehrere Wochen am Stück, meist ging es Richtung Westeuropa, weit weg von der Heimat. Zwischen den langen Touren lag ein kurzer Urlaub in der Heimat. Mehrere Quellen bestätigen den psychischen und finanziellen Druck, der auf den Lenkern lastete: Systematisch wurden den billigen Fahrern für behauptete Schäden Teile des Lohns abgezogen. Es gab Strafen für Verspätungen, aber auch für zu viele gefahrene Autobahnkilometer.

Führungskräfte Stadlers hatten eigene Straßenkarten und ein EDV-System gefertigt, um abgabenpflichtige Autobahnkilometer zu vermeiden. Ein System, das Ruhezeiten ignoriert - mit Magneten können laut Gewerkschaft moderne Kontrollgeräte manipuliert werden. "Dadurch werden aber auch die technischen Sicherheitssysteme außer Kraft gesetzt", sagt Delfs. "Die Lkw werden zu rollenden Bomben."

Ein System, das auch Opfer forderte: Aktenkundig ist in der Causa Stadler der Fall eines Rumänen, der sich im Raum Würzburg zwischen Zugmaschine und Aufleger erhängte. Ein Vorgesetzter hatte ihm kurz zuvor den Kurzurlaub für seine Hochzeit verwehrt.

Doch das System schlug zurück. Zunächst rächten sich die Sklaven der Autobahnen: Dieseltanks leerten sich, nagelneue Reifen verloren über Nacht Profil, Ladungen lösten sich in Luft auf, ganze Lkw verschwanden.

Den legalen Weg der Abrechnung mit dem Stadler'schen Geschäftsmodell bestritten dann die staatlichen Kontrollore mit der Betriebsprüfung, als Fiskus und Sozialversicherung eine Forderung von 89 Millionen Euro präsentierten. Ausgangspunkt der Nachforderung war die Praxis Stadlers, seine mehr als 1.000 Lkw-Fahrer nach den ausländischen Billiglohnvorschriften zu bezahlen und anfallende Abgaben wie Steuern oder Sozialversicherung in den Billiglohnländern zu begleichen.

Finanzamt und Gebietskrankenkasse vertreten in den noch immer nicht abgeschlossenen Verfahren die Ansicht, dass alle Stadler-Gesellschaften in Osteuropa von der Firmenzentrale in Oberösterreich aus einheitlich gesteuert wurden, weshalb der Konzern auch in Österreich seine Abgaben hätte abführen müssen. Außerdem seien die Fahrer alle von Österreich aus disponiert worden.

Gerhard Stadler stellt den Vorwurf des Sozialbetrugs massiv in Abrede und lässt über seinen Anwalt ausrichten: Er fühle sich von Gebietskrankenkasse und Finanz hintergangen, weil 15 Jahre nichts beanstandet wurde und plötzlich Sozialabgaben, die im Ausland ja beglichen wurden, in Österreich nachgefordert wurden.

Die vom Gericht in den Konzerngesellschaften eingesetzten Masseverwalter haben das System durchleuchtet und beurteilen die Causa ähnlich wie die Abgabenprüfer. Es heißt u. a.:"Die Auslandsgesellschaften in Tschechien, Polen, Bulgarien (...) wurden ausschließlich zu dem Zweck gegründet, ausländische Dienstnehmer dort formell anzumelden (...) Dienstgeber war jedoch die Stadler-Gesellschaft (...) in Peuerbach (...) Die Auslandsunternehmen sind de facto Briefkastenfirmen."

Ist Stadler nur ein schwarzes Schaf? Oder haben die Prüfer da in ein Wespennest gestochen? Unterhalten auch andere österreichische Frächter Briefkästen im Ausland? Ein Kriminalist spricht von kriminellen Elementen, die in dieser Branche tätig seien. Gewerkschafter Delfs meint: "Es ist bemerkbar, dass in Österreich nach wie vor zum Schein ausgeflaggt wird. Diese Konstrukte werden genützt, um in Österreichs rechtswidrig zu transportieren." Die Polizei aber sei machtlos. Sie könne zwar rein technische Kontrollen der Fahrzeuge vornehmen, im Gegensatz zu Deutschland jedoch keinen lückenlosen Überblick über die Frachtpapiere fordern. Um die vielen Millionen für den Finanzminister und die Steuerzahler an Land zu ziehen, die nach Einschätzung von Branchenkennern im Speditionsbereich auf der (Transit-)Strecke bleiben, müssten die Kontrollbehörden mit umfassenden Befugnissen ausgestattet werden. Ähnlich wie in Deutschland, wo ein Bundesamt für Güterverkehr etabliert wurde.

Im Fall Stadler jedenfalls hätte es nicht einmal einer neuen Kontrollbehörde bedurft, um dem ruppigen Frächter-Fürsten Einhalt zu gebieten. In einem der Konkursverfahren des Konzerns berichtete ein fassungsloser Insolvenzverwalter dem Gericht: Eine der zentralen Stadler-Firmen "verfügte trotz eines Umsatzvolumens von ca. 170 Millionen Euro nie über Gewerbeberechtigungen". Dieser Umstand zumindest hätte der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen auffallen können.

Wie ein Orden zur Steuerehrlichkeit zurückfand

Es gibt für die Finanz auch an unerwarteter Stelle etwas zu holen. Dafür bräuchte der Finanzminister freilich zusätzliche Prüfer, die mit größeren Kompetenzen ausgestattet werden. Eine Selbstanzeige eines katholischen Ordens aus dem Jahr 2012 belegt dies nachdrücklich. Der seit Jahrhunderten den christlichen Werten verschriebene Orden der Barmherzigen Brüder listet in dieser Steuerbeichte als mögliche Täter sogar hohe Würdenträger des eigenen Konvents auf.

Die Vorgeschichte: Ende 2011 waren Ungereimtheiten in den Abrechnungen, der Kontoführung und der Buchhaltung des vom Orden betriebenen und vom Provinzial vertretenen Kurhauses in Schärding öffentlich bekannt geworden. Zunächst wurde von der Ordensleitung noch gemauert. Es dauerte allerdings nicht lange, bis Reue und Umkehr einkehrten. Wenige Monate nach den ersten Medienberichten brachte der Steuerberater für den klösterlichen Konvent Selbstanzeige beim zuständigen Finanzamt in Wien ein. In diesem Schreiben listen die Ordensbrüder - quasi in einem Akt fiskalischer Selbstgeißelung - ihr Sündenregister penibel auf.

Das im Auftrag der Brüder selbst verfasste klösterliche Schwarzbuch der Abgabenhinterziehung liest sich wie ein verschollenes Kapitel aus Dantes Inferno.

Der Orden unterhielt neben der offiziellen Buchhaltung still und heimlich über Jahre hinweg einen sündigen zweiten Rechnungskreis, vulgo Schwarzgeldkassa, inoffizielle Bezeichnung: "Holzkassa". In diese flossen durchaus systematisch verschiedenste Einnahmen: Die Gästeabholung beispielsweise wurde bar kassiert - und nicht zur Gänze in die Buchhaltung aufgenommen, sondern teilweise in die Schwarzgeldkassa verschoben. Auf diese Art wurde Umsatzsteuer hinterzogen.

Indische Staatsbürger waren im klösterlichen Kurbetrieb ab dem Jahr 2004 als Masseure beschäftigt. Diesen Schlüsselarbeitskräften wurden allein in den Jahren 2008 bis 2011 in Summe 109.586 Euro von ihren Löhnen für Wohnung und Verpflegung abgezogen und in die Schwarzgeldkassa einbezahlt.

Der eigenmächtig und illegal steuerbefreite Barverkauf von Tees und Cremen fiel zwar betragsmäßig kaum ins Gewicht, er mag dem Finanzminister heute jedoch als Argument für die lückenlose Einführung der Registrierkassenpflicht dienen. Wenn sogar ein Orden der Versuchung nicht zu widerstehen vermag, muss diese für den sündigeren weltlichen Gastwirt von vornherein im Keim erstickt werden.

Die Verwendung des schwarzen Geldes des Ordens liest sich ebenfalls wie ein prosaisches Sündenregister gemeiner Steuerhinterzieher: Mit der geheimen Kasse wurden zum größten Teil Personalausgaben schlicht und einfach schwarz beglichen. Überstunden, Kosten für Aushilfskräfte, Weihnachtszuwendungen für Mitarbeiter - eine der Steuerfahndung durchaus nicht unbekannte, gleichwohl verbotene Praxis.

Durch derartige Praktiken entsteht tatsächlich neues steuerliches Unrecht: Durch Bezahlung außerhalb der ordnungsgemäßen Lohnverrechnung und mit Schwarzgeld werden vorgeschriebene Abgaben wie Sozialversicherung und Lohnsteuer verkürzt und hinterzogen. Die schwarze Auszahlung von Überstunden und Entlohnung von Aushilfskräften ist in vielen Branchen gängige Praxis - in diesem Bereich sind österreichweit laut vorsichtiger Expertenschätzung für die Finanz mindestens 100 Millionen Euro zu holen.

Mit ihrer Selbstanzeige kehrten die Barmherzigen Brüder reuig zur Steuerehrlichkeit zurück -wenn auch relativ spät und erst nach der öffentlichen Berichterstattung über die Missstände hinter den Klostermauern. Überraschend ist, dass die Steuersünden nicht früher bekannt und gebeichtet wurden: Aus dem Schreiben des Ordens an das Wiener Finanzamt geht hervor, dass nicht nur zwei leitende Ordensmänner als mögliche Täter genannt werden, sondern fünf Mitarbeiter des Konvents zumindest teilweise über die laufende Steuerhinterziehung Kenntnis gehabt haben mussten.

Ein genereller Lösungsansatz: Sollte es dem Finanzminister gelingen, die Zahl der Finanzprüfer deutlich zu erhöhen, könnten bei den Kontrollen verstärkt Dienstnehmer der durchleuchteten Unternehmen befragt werden. Eine ergiebige Informationsquelle sind nach den Erfahrungen der Steuerfahndung übrigens auch frisch geschiedene Ehepartner.

Diese wären den Prüfern im Fall des katholischen Männerordens der Barmherzigen Brüder als mögliche Auskunftspersonen aber wohl eher nicht zur Verfügung gestanden.

Am Beispiel Ritzing: Was sich im Fußball abspielt

Noch im Jahr 2014 zählte Tomáš Jun zu den bestbezahlten Fußballspielern des Landes. Als Kapitän der Wiener Austria verdiente der Stürmer etwa eine halbe Million Euro pro Jahr. Brutto, Prämien inklusive. Für einen absoluten Topstürmer in Österreich keine ungewöhnliche Gage. Immerhin schoss der 32-Jährige für diverse Nationalmannschaften seines Heimatlandes Tschechien in 84 Spielen insgesamt 45 Tore und wurde 2002 Unter-21-Europameister. Mit solch einer sportlichen Vita hat ein Legionär heutzutage wirtschaftlich ausgesorgt. Jedenfalls könnte er es sich leisten, dem Fußballsport nur mehr zum Zeitvertreib nachzugehen. Das ist auch eine mögliche Erklärung für das jüngste burgenländische Fußballmärchen: Seit dem 3. Jänner 2015 nämlich taucht dieser Tomáš Jun regelmäßig auf der Sportanlage Ritzing auf und schnürt seine Fußballschuhe zum Mannschaftstraining. In Ritzing also, einer burgenländischen Kleingemeinde mit zuletzt gezählten 868 Einwohnern. In der Regionalliga Ost, dritte Leistungsstufe.

Die umtriebigen Vereinsverantwortlichen meldeten ihren neuen Star im Jänner 2015 auch voller Stolz beim burgenländischen Fußballverband an. Großer Schönheitsfehler: als Amateur. Als Spieler also, der nach dem Regulativ des Österreichischen Fußballbundes für seine Tätigkeit keine "höheren entgeltwerten Leistungen erhält, als zur Deckung seiner Aufwendungen tatsächlich notwendig sind". Will heißen: Der Amateurspieler Tomáš Jun dürfte ein wenig Aufwandsentschädigung für Fahrtkosten abrechnen. Mehr nicht. Amateur ist Amateur.

Der Amateursport ist in Österreich ein Bereich, in dem für eine Vielzahl ehemaliger Spitzensportler viel Geld zu holen ist, obwohl sie offiziell bloß aus Spaß an der Freude ihre Körper ertüchtigen. Szenekenner bezeichnen vor allem die Praktiken in den beiden Klassen unterhalb der beiden Bundesligen als Verhöhnung des Finanzministers. "Ich habe in der zweiten Liga Spieler nicht bekommen, weil sie in der dritten Liga mehr Geld verdient haben", sagt ein ehemaliger Klubchef. "Natürlich schwarz, gemeldet als Amateure."

Management by Chaos, Buchhaltung by Schuhschachtel: Gönner und Mäzene, Dorfkaiser und Regionalkönige unterliegen im Amateurbereich zumeist nicht nur dem Kick des Emotionssports, sie leben oftmals auch ihre Eitelkeit aus. Auf regionaler Ebene taugt ein sportliches Kräftemessen mit einer Kampfansage gegen den Nachbarort problemlos zur Abbildung in einer Bezirkspostille. Jeder Stuss ein Treffer. Im wahrsten Sinn des Wortes.

Es lohnt es sich deshalb, den Blick auf Ritzing zu richten. Auf einen Klub, der noch vor Kurzem insolvent war. Der seinen Gläubigern Millionen schuldig blieb - und praktisch zeitgleich den Fußballstar Tomáš Jun präsentierte, um mit diesem, frisch saniert und gerichtlich entschuldet, den Weg nach oben anzutreten. Ein Rückblick: Am 28. Juli 2014 ist über den Sportclub Ritzing die Insolvenz eröffnet worden. Vielsagend liest sich im Antrag des Vereins die "Ursache des Vermögensverfalls", also der Grund für die Zahlungsunfähigkeit. Vertreten durch Obmann Harald Reiszner, geben die Sportsfreunde bei Gericht zu Protokoll: Es habe "Auffassungsunterschiede hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Komponente verschiedener Spielerverträge" gegeben, berichtet Reiszner, das habe zu einer "Nachbelastung von über 300.000 Euro" geführt. Konkurs also. Wegen der bösen Krankenkassa.

Es überrascht nicht, dass die Zahl der SC-Ritzing-Fans in der burgenländischen Gebietskrankenkasse überschaubar ist: News liegen Urkunden vor, aus denen sich kreative Entlohnungspraktiken ableiten lassen, die bei humorlosen Abgabenprüfern auf eher eingeschränkte Akzeptanz stoßen. Da werden zum Beispiel einem Kicker 1.200 Euro netto Fixum plus Punkteprämien und Kosten für Wohnung angeboten; die abgabenrechtliche Realität stellt ein offizielles "Bruttogehalt pro Monat" von knapp 780 Euro dar.

Kein Einzelfall. Ein Arbeitsgericht beleuchtete bereits 2009 in einem Prozess die Ritzinger Anmeldungs-und Abrechnungspraxis. Am Ende kommentierte der Richter in seinem schriftlichen Urteil, in welchem dem ehemaligen Trainer die Ansprüche auf Basis der tatsächlich vereinbarten 2.400 Euro netto zugesprochen wurden, die Ritzinger Fußballwelt: Die Anmeldung bei der Krankenkasse mit nur 800 Euro brutto pro Monat "widerspricht völlig den tatsächlichen Verhältnissen und dient nur zu deren Verschleierung." Das schriftliche Urteil outet den Vereinschef Reiszner überhaupt als Feind jeglicher schriftlicher Verträge: Er unterschreibe solche aus "steuerlichen Gründen" nicht.

Einem so kreativ geführten Amateurverein kann dann schon einmal der Lapsus eines kleinen Konkurses passieren. Bei genauerer Betrachtung überraschen allerdings die Dimensionen des finanziellen Bauchflecks, den der SC Ritzing unmittelbar vor der Verpflichtung von Tomáš Jun hingelegt hat: Aus dem Bericht des Masseverwalters ergeben sich Schulden in der Höhe von 3,164 Millionen, von denen immerhin rund 905.000 Euro anerkannt wurden. Vor allem die im Konkursverfahren angemeldeten Abgaben der öffentlichen Stellen dürften Steuerzahler erzürnen: Die Gemeinde fordert 44.000 Euro, das Finanzamt 108.000 Euro, und die leidgeprüfte Gebietskrankenkassa meldet rund 245.000 Euro an. Quasi zum Drüberstreuen muss der Insolvenzausfallgeld-Fonds teilweise die offenen Löhne bezahlen. Immerhin werden rund 347.000 Euro netto an ausstehenden Spielergehältern angemeldet. Eine stolze Summe für einen Amateurverein, der in einer Amateurliga zum Fußballspielen antritt.

Ritzing-Obmann Reiszner wollte - trotz mehrerer Versuche - keine Stellungnahme zu den Aktivitäten abgeben.

Ist das Ritzinger Gagen-und Abgaben-Desaster außergewöhnlich oder symptomatisch für den Amateurfußball?

Karl Irndorfer, Chef der Agentur Conir, hat seine Doktorarbeit "Strukturreform des österreichischen Fußballs. Der Ball ist rund, das Geld ist schwarz" 2013 als Buch publiziert. Die Kurzfassung: Allein in den Ligen 2 bis 5 gehen dem Staat pro Jahr bis zu 100 Millionen verloren.

Die "Vereinigung der Fußballer" stellt der Bundesliga seit der Einführung eines Kollektivvertrags und eines strengeren Lizenzierungsverfahrens ein gutes Zeugnis aus. In den Amateurligen jedoch liege vieles im Argen. Vorsitzender Gernot Zirngast: "Das Problem sind die vielen Legionäre, die zu den Spielen in den Unterklassen anreisen. Die tun das nicht nur, weil Österreich so schön ist, sondern weil sie hier gutes Geld verdienen."

Der SC Ritzing jedenfalls drängt mit allen Mitteln in den Profifußball: Robert Hochstaffl, bis 2002 für das Management und den späteren 50-Millionen-Euro-Konkurs von Fußballmeister FC Tirol mitverantwortlich, firmiert beim SC Ritzing als Sportdirektor. Es ist wohl auch Hochstaffls Wirken zu verdanken, dass sich der frisch sanierte Sportclub aus Ritzing mittlerweile bei der wirtschaftlichen Aufnahmeprüfung zur Bundesliga ernsthafte Chancen ausrechnet. Mitte März musste der Verein die Lizenzunterlagen inklusive sämtlicher Vertragsverhältnisse zur genauen Begutachtung überreichen.

Beinahe zeitgleich wurde übrigens der burgenländische Verband ersucht, den Status von Starspieler Jun zu verändern. Aus dem Amateur wurde über Nacht dann doch ein Profi.Damit alles seine Richtigkeit hat.

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