"Ringstraße des Proletariats"

Peter Pelinka über das heiße Thema Gemeindebau

von Peter Pelinka © Bild: NEWS

Ein Prachtboulevard feiert runden Geburtstag: vor 150 Jahren ließ der Kaiser die Befestigungsanlagen rund um die Wiener Innenstadt schleifen. Zug um Zug entstand die Ringstraße mit prunkvollen Palais, Parks und öffentlichen Gebäuden – unter anderem Staatsoper (1869), Parlament (1874), Universität (1884), Burgtheater (1888) und zwei großen Museen (1889/91). Als größtes städtebauliches Projekt wurde sie Aushängeschild eines selbstbewussten Bürgertums, Symbol einer durch Zuwanderung rasch wachsenden europäischen Metropole. Die Wohnungsnot blieb aber. Fast ein Drittel der einen Million Einwohner hatten 1900 keine Wohnung oder nur eine winzige, welche sie mit Bettgehern teilten, "natürlich" ohne Fließwasser und WC.

1894 wurde die nächste Befestigungsanlage geschliffen, jene zwischen den Vorstädten innerhalb Wiens und den Vororten außerhalb. An die Stelle des Linienwalls trat der "Gürtel". Vor allem entlang eines Abschnitts, des Margaretengürtels, entstand zwischen 1919 und 1933 die "Ringstraße des Proletariats" in Form mehrerer Gemeindebauten. Das "Rote Wien" ließ nach dem Prinzip "Licht, Luft und Sonne" insgesamt 380 kommunale Bauten mit 65.000 Wohnungen errichten, gerade auch für die Nachfahren jener Zuwanderer aus Böhmen und Mähren ("Ziegelböhm"), welche die "andere" Ringstraße erbaut hatten. Beiden sind nun Ausstellungen gewidmet, der prächtigen etwa eine im Jüdischen Museum, der alternativen eine im Karl-Marx-Hof.

Gemeindebau(ten) ist auch heute ein heißes Thema: Bis 2030 werden in Wien zwei Millionen wohnen, der Bau- und Wohnraum wird knapp. Für 20.000 entsteht die Seestadt Aspern, sie allein wird nicht reichen. Wohnbaustadtrat Michael Ludwig setzt dazu mit privaten Partnern auf geförderte Smart-Wohnungen, "sanfte" Stadterneuerung und– wohl nicht zufällig im Wahljahr – auch auf neue Gemeindewohnungen. 2.000 werden nun gebaut, die ersten am ehemaligen Aua-Gelände in Oberlaa. Nach dem alten Ziel der "Ringstraße des Proletariats": "qualitätsvolles Wohnen nicht nur für wenige Privilegierte" (Ludwig).

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