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Mehrsprachigkeit: Vorteile und Vorurteile

Mit der europäischen Flüchtlingskrise kommen nicht nur viele Menschen über die Landesgrenzen, sondern mit ihnen auch viele neue Sprachen. Themen wie Mehrsprachigkeit, Identität und sprachliche Integration gewinnen somit noch mehr an Bedeutung – und liefern Stoff für hitzige Stammtisch-Diskussionen. Warum Mehrsprachigkeit unsere Identität aber nicht gefährdet und die Forderung „Deutschpflicht in der Schulpause“ nur die halbe Miete ist.

von MULTIKULTI © Bild: shutterstock

Multikulti und Mehrsprachigkeit gelten weltweit als Normalfall, Gruppen wie die Identitären sehen dadurch aber die „ethnokulturelle Identität Österreichs“ gefährdet. Auch die schwarz-blaue Koalition in Oberösterreich stellt sich gegen Mehrsprachigkeit und fordert eine Deutschpflicht in den Schulpausen. Der Bund lehnte diese, passend zum Schulbeginn vor ein paar Tagen, jedoch strikt ab, da es ein Eingriff in das Privatleben der Schüler sei und somit nicht vertretbar ist. Doch selbst wenn die Forderung durchgesetzt worden wäre – lässt sich dadurch wirklich unsere „nationale Idenität“ retten? Und woher kommt dieser Begriff eigentlich?

Die Welt im Wandel

Europa befindet sich in einer Phase der Veränderung. Nationalstaaten mit einem relativ hohen Grad an kultureller Einheitlichkeit wandeln sich durch Migration und Globalisierung zu einem komplexen, internationalen Gebilde mit vielen unterschiedlichen Kulturen und Sprachen. Doch bereits zur Zeit der Donaumonarchie lebten zahlreiche Nationen und Sprachgemeinschaften in Koexistenz. Als die Nationalstaaten im 19. Jahrhundert entstanden, kam der Muttersprache eine besondere Funktion zu, nämlich die als Symbol kollektiver Zugehörigkeit zu einer Nation. Es galt der Leitsatz „Ein Staat – eine Sprache“.

»Mehrsprachigkeit ist weltweit der Normalfall «

Einsprachigkeit war Ausdruck nationaler Identität und galt daher als idealer Zustand eines Menschen. „Und das, obwohl zahlreiche historische Untersuchungen zeigen, dass bereits im Mittelalter die Mehrsprachigkeit ein wichtiges Charakteristikum Europas war. Heutzutage ist Mehrsprachigkeit jedoch der Normalfall, weltweit ist die Mehrheit der Menschen mehrsprachig, beherrscht also mehr als nur eine Sprache“, erklärt Sprachwissenschaftlerin Stefaniya Ptashnyk

Mehrsprachigkeit als Tor zu neuen Kulturen

Die Vorteile, die sich aus gelebter Mehrsprachigkeit ergeben, sind Untersuchungsgegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Laut diesen sind multilinguale Personen beispielsweise klar im Vorteil, wenn es darum geht eine zusätzliche Sprache zu erwerben. Und auch wenn Englisch ausreichen mag, um sich auf der ganzen Welt zu verständigen, lässt sich eine Kultur erst dann ganz verstehen, wenn man die dazugehörige Sprache kennt. Inuit haben beispielsweise dutzende Bezeichnungen für „Schnee“, Südostasiaten über 200 Bezeichnungen für „Reis“. Laut Jutta Limbach, der ehemaligen Präsidentin des Goethe-Instituts, wird daher nur derjenige Brücken zwischen den verschiedenen Kulturen schlagen können, der sich mit den anderen Menschen zu verständigen mag.

Mehrere Sprachen, mehrere Identitäten, mehr von der Welt

Mehrsprachigkeit bietet also viele Vorteile, doch gefährdet sie unsere Identität? Die Sache mit der Identität verhält sich ähnlich wie die der sprachlichen Integration. Wer eine neue Sprache lernt, verliert damit nicht automatisch seine alte. Genauso kommt es bei erfolgreicher Integration nicht zum Verlust der Herkunftsidentität, sondern zu einer Erweiterung – zu sogenannten Patchwork-Identitäten. Sowohl auf der Seite der Neuankommenden als auch auf der Seite der Aufnahmegesellschaft.

»Integration verlangt eine Ausgeglichenheit zwischen den Kulturen«

Integration heißt, sich in diese Gesellschaft einzufügen und die neue Landessprache zu lernen. Integration heißt aber auch, dass die Aufnahmegesellschaft die Werte und Herkunftssprachen der Migranten respektiert und diese in ihrer Mehrsprachigkeit wahrnimmt. „Die sprachliche Integration“, so Ptashnyk, „soll die Bewahrung der Herkunftssprache nicht ausschließen. Natürlich stellt Migration Gesellschaften vor viele neue Herausforderungen. Dennoch sollte man in Mehrsprachigkeit nicht immer nur Gefahren und Probleme sehen, sondern auch das gemeinsame Potential für alle in der Gesellschaft.“

Der Linguist Georges Lüdi kommentiert die Deutschpflicht folgendermaßen: „Wer Deutsch auf dem Pausenhof fordert, muss sich bewusst sein, dass diese Forderung nur einen Teil der Bedürfnisse abdeckt. Denn Integration bedeutet nicht die völlige Assimilation, sondern verlangt eine Ausgeglichenheit zwischen den Kulturen.“ Wer immer noch motschgert: Sollte in Wien Deutsch als Pausensprache eingeführt werden, sind fremde Sprachen trotzdem noch omnipräsent. Denn gerade das Wienerische ist stark geprägt von slawischen, ungarischen, italienischen, französischen und jiddischen Sprachen. "Motschgern" kommt übrigens aus dem Ungarischen und bedeutet "Wie eine Katze raunzen".

Kommentare

Amadeus222 melden

Tja, Theorie und Praxis passen nicht immer zusammen. Leider findet in vielen VS schon keine Kommunikation mehr statt, da die Kinder lieber in ihrer Sprache sprechen als in Deutsch. Dann hat man 2-8 Gruppen die leider nicht miteinander sprechen und spielen. Auch keine Möglichkeit als Lehrer zu vermitteln wenn sich 2 Gruppen beschimpfen, oder wenn man selbst beschimpft wird.

parteilos melden

ja da haben sie recht, aber unsere Gutmenschen denken noch immer das es Gut ist wie sie es machen. Ehrliche Lehrer sagen dir das Gegenteil--

Henry Knuddi
Henry Knuddi melden

miassen jetzt tiroler dt. lernen, detto die rätoromanen, die latiner, die kroaten, romas, uvm

giuseppeverdi melden

Nein die von Ihnen aufgezählten Volksgruppen brauchen das nicht lernen, aber Sie sollten das dringend tun Stockenboier!

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