Wie erkläre ich es meinem Kind?

Warum müssen Menschen flüchten? Solche Fragen überfordern Eltern oft.

Der erste Reflex: Diese Bilder soll mein Kind nicht sehen müssen. Möglichst lange will man es vor Katastrophen, dem Tod, der Grausamkeit von Krieg und Hass beschützen. Eigentlich will man gar nicht darüber sprechen, weil man selbst keinen Rat und keine gültige Antwort hat. Doch dann sehen die Kinder Bilder in Zeitungen und im Fernsehen oder Flüchtlinge am Straßenrand und wollen wissen: Was ist da passiert? Ein neues Kind kommt in die Klasse. Es spricht kaum Deutsch, und seine Mitschüler wissen nur: Es musste flüchten. "Mama, warum?" Wie erklärt man seinen Kindern, was man selbst nur schwer verstehen kann?

von Leben - Wie erkläre ich es meinem Kind? © Bild: © Corbis. All Rights Reserved.

Die Psychologin Sandra Velásquez rät zunächst dazu, "das Kind genau zu beobachten, zuzuhören und herauszufinden, was es genau wissen will". Vor allem bei kleineren Kindern bedeute die Frage eigentlich: "Kann das bei uns auch passieren? Das macht mir Angst." Daher sei es wichtig, nachzufragen: "Was hast du gesehen? Was weißt du darüber?" Velásquez: "Man muss wissen, mit welchem Gefühl das Kind seine Frage stellt." Wichtig sei es dann, die Gefühle des Kindes auch anzusprechen und einen tröstenden Ausweg aufzuzeigen. Zum Beispiel: "Ich weiß, dass dich dieses Bild traurig macht und dass es dir Angst macht. Es macht auch mich traurig. Aber es gibt Erwachsene, die sich darum bemühen, dass es diesen Menschen wieder besser gehen wird."

Die Psychologin Katharina Thiery rät außerdem, "nicht die eigene Agenda und die eigene Betroffenheit abzuarbeiten, sondern kindgerecht nur das, was die Kinder wirklich wissen wollen".

Fühlen, denken, handeln

Fühlen, denken, handeln: In dieser Reihenfolge kann man mit seinen Kindern schwierige Themen besprechen. "Bei kleineren Kindern muss man schauen, dass man möglichst schnell zum Handeln kommt. Diese Kinder halten es schwer aus, zu hören, dass es irgendwo Leid gibt, ohne etwas zu tun", sagt Thiery. Man kann also mit den Kindern überlegen, welche Spielsachen oder welche Kleidung sie hergeben können. Man kann mit ihnen gemeinsam Lebensmittel oder Hygieneartikel einkaufen und zu einer Sammelstelle bringen. "Mit Informationen sollte man bei kleineren Kindern eher allgemein bleiben", meint Thiery. Man könnte etwa sagen: "Hier ist jemand, dem es nicht gut geht, der keine Kleidung und kein Essen hat und der jetzt vorübergehend unsere Hilfe braucht." Auf keinen Fall sollte man Dinge schönreden, "weil die Kinder in der Schule, wenn jetzt vielleicht Flüchtlingskinder in die Klasse kommen, ohnehin erfahren, was los ist".

Ältere Kinder, etwa ab dem zehnten Lebensjahr, können schon abstrakt-logisch denken. Dann kann man sagen: "Stell dir vor, wie das wäre, wenn du von zu Hause weggehen müsstest.""Dann muss man aber unbedingt auch Zeit haben, mit dem Kind diese Situation aufzuarbeiten, und darf es nicht damit alleine lassen", sagt Thiery. "Das Kind sollte ausgeschlafen sein. Man kann so schreckliche Dinge nicht vor dem Schlafengehen besprechen, dadurch bekommen sie Albträume." Mit Kindern dieses Alters kann man auch schon darüber sprechen, was Krieg heißt. Und man sollte auch sie animieren, selbst helfend aktiv zu werden, indem sie etwa Spenden sammeln.

Bei Teenagern ins Detail gehen

"Bei etwas älteren Teenagern kann man auch ins Detail gehen, denn sie holen sich ihre Informationen ohnehin. Ich würde etwa das Thema Frauenverfolgung und was das heißt, nicht verschweigen", sagt Thiery. "Man kann durchaus sagen:'Stell dir vor, du müsstest mit deinem kleinen Bruder alleine losziehen und ihn beschützen.'" Jugendliche erwarten von ihren Eltern aber auch, dass diese Position beziehen. "Sie wollen, dass wir etwas tun und uns zumindest erkundigen, welche Initiative es in der Nähe gibt, die wir dann auch wirklich unterstützen."

Das sollten Eltern sich vorher überlegen

Hat man das Gefühl, die aktuellen Ereignisse ansprechen zu müssen, obwohl die Kinder nicht direkt danach gefragt haben, empfiehlt Psychologin Velásquez, dass die Eltern vor den Kindern in kindgerechter Sprache miteinander darüber reden. "Man kann vor den Kindern besprechen, dass es diese schrecklichen Ereignisse gibt und was man gemeinsam tun kann, um zu helfen. Wichtig ist, dass man den Kindern dabei immer Hoffnung und den Trost gibt, dass es Menschen gibt, die helfen." Jedenfalls sollten sich Eltern, bevor sie an das Thema herangehen, überlegen, wie sie selbst dazu stehen und welche Botschaft sie vermitteln wollen. Man könne ruhig auch sagen, dass man im Augenblick selbst keinen Rat weiß, aber man solle dann auch dazusagen: "Ich werde mich informieren, was wir tun können. Denn ich weiß, dass es Menschen gibt, die helfen."

Zu Beginn des Schuljahrs kommen viele Flüchtlingskinder neu in die Schulklassen. Das Unterrichtsministerium rechnet mit rund 5.000 Kindern zwischen sechs und 14 Jahren. "Hier ist es die Aufgabe der Lehrer und Eltern, zu erklären, warum das so ist", sagt Velásquez. Bei jüngeren Kindern etwa so: "In dem Land, wo diese Menschen herkommen, gibt es furchtbaren Streit, und die Menschen tun einander weh. Deswegen mussten diese Kinder gehen, denn sie brauchen einen Ort, an dem sie Ruhe haben. Und wir werden uns alle bemühen, dass sie diese Ruhe finden, indem wir zu ihnen freundlich sind."

Kommentare

Oberon
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Also, ich wollte als Kind immer alles wissen und war ziemlich verhärmt, wenn man mich mit den Worten "dafür bist du noch zu jung, abgespeist hat".
Daher - man sollte auf die geistige Reife eines Kindes Rücksicht nehmen und es entsprechend ansprechen. Ein Kind sollte von klein auf lernen, dass es Menschen gibt, die es mit anderen nicht gut meinen und sehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht...

Oberon
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... sind.
Ein absolutes(!) Einteilen in gut und böse finde ich falsch, aber ich bin auch keine Psychologin. ;-)

neusiedlersee melden

OK, oberon.
Man hat mit Kindern zu reden wie mit Menschen. Ich habe es so gehalten und tue es weiter. Und man hat Kindern Grenzen aufzuzeigen und Regeln aufzustellen - wie auch Erwachsenen, auch wenn sie ihr Land verlasssen. Wer dazu psychologischen Rat braucht ist noch nicht erwachsen. Und Kinder haben nicht im Fernsehen Flüchtlinge zu beobachten.

Oberon
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Was Kinder im Fernsehen zu sehen bekommen, kann man nicht immer beeinflussen. Betrifft Flüchtlinge. Auch wenn Sie einem 8-jährigen Kind sagen, dass Nachrichten nicht angeschaut werden, über Flüchtlinge wird derzeit auch im Vorabend-Programm und auch sonst über den Tag verteilt berichtet. Und das ganz spontan.

Psychologen geben vor Probleme lösen zu können, die es ohne sie gar nicht gäbe.

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