Die kleine Figur meines Kanzlers

von Fakten - Die kleine Figur meines Kanzlers © Bild: Profil Walter Wobrazek

Andere Politiker wollen eine elegante Raubkatze, Werner Faymann wollte das nette Kugelgürteltier. Der damalige Verkehrsminister entscheidet sich 2008 für Gürteltier Gordy als sein Patentier im Schönbrunner Zoo. Gordy ist Faymann sympathisch, auch wegen jener Eigenschaft, die dem aufstrebenden SPÖ-Politiker besonders gefällt: „die Einkugelfähigkeit dieses Tieres“. Ein Jaguar hätte wohl auch nicht zu Werner Faymann gepasst. Faymann, ein Pragmatiker der Macht, kein wilder Bursche oder egozentrischer Visionär mit riskanten Ideen, sondern einer, der im Ernstfall auch darauf setzt: Einkugelfähigkeit.

Acht Jahre später ist Bundeskanzler Faymann wohl auch dank dieses Talents noch immer da. Trotz diverser Krisen in seiner Kanzlerzeit, trotz 19 roter Wahlniederlagen unter seiner Verantwortung, trotz dauerkritischer Zeitungskommentare. „Wie lange noch?“, fragt sich das Magazin „Profil“ schon im Juni 2015 auf dem Titelblatt. Jedenfalls viel länger, als viele spekuliert hatten, schon jetzt ist Faymann länger an der Spitze als die ÖVP-Kanzler Leopold Figl oder Wolfgang Schüssel. Auch wenn dem angeschlagenen Faymann nach dem Buhkonzert seiner Genossen bei der 1.-Mai-Feier auf dem Rathausplatz ein düsterer Montag droht, sprich: ein Krisentreffen des höchsten Gremiums seiner SPÖ mit ungewissem Ausgang – diverse kolportierte rote Gegenkandidaten von Manager Gerhard Zeiler bis SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder müssten sich zuerst einmal aus der Deckung wagen und offen ihr Interesse bekunden. Sonst bleibt Werner Faymann doch noch, Motto: Einkugelfähigkeit.

Einer aus der Mitte des Volkes

Der 56-jährige Politiker bringt eine Grundanlage mit, die Teil seines Erfolgs und gleichzeitig wohl auch sein größtes Problem als Regierungschef ist. Faymann ist ein Mann aus der Mitte des Volkes, eher der Typ tüchtiger Durchschnittspolitiker, der sich jedoch als Kanzler zu weitaus Höherem aufgeschwungen hat, als man ihm je zugetraut hätte. Dort, in den obersten politischen Sphären des Landes, trägt er an dieser zu großen Rolle. Der verbindliche Kanzler als klassischer Vertreter einer Mittelklasse, die Angst hat, all das Erreichte vielleicht wieder zu verlieren – so ein Regierungschef ist erst einmal für viele nicht unsympathisch, er stößt sie nicht mit der Demonstration der eigenen Großartigkeit ab, wie zum Beispiel Faymanns Amtsvorgänger Alfred Gusenbauer; doch so ein Bundeskanzler ist wohl für viele auch nicht die charismatische Führungspersönlichkeit, die sie vorbehaltlos respektieren. Ein Widerspruch in sich, den Faymann immer schwerer auflösen kann. Die kleine Figur meines Kanzlers, mit diesem Bild ringt er.

Werner Faymann
© News/ Ian Ehm

Früher war das Leben mit der Partei vielleicht anstrengend für ihn, so unerbittlich wie im Bundeskanzleramt war es allerdings nicht. Faymann hat sich von Jugend an in seiner SPÖ hochgearbeitet, so, wie es sich dort gehört. Verbindlich, ambitioniert, pragmatisch, nie zu kantig und im Gegensatz zu Gusenbauer, seinem Freund aus den Tagen bei der Sozialistischen Jugend, mit hoher sozialer Intelligenz ausgestattet. Schon früh umgibt er sich also mit Leuten, die zusammenhalten, allen voran die Parteifreunde Doris Bures und Josef Ostermayer – heute ist aus dem Zusammenhalt von damals eine Schicksalsgemeinschaft geworden, die sich vor aufsässigen Genossen und lästigen Berichterstattern im Kanzleramt einbunkert, sagen wir es einmal so: eher das Gegenteil von sozial intelligent.

Seine beste und prägendste politische Zeit erlebt Faymann nach ersten Schritten als Gemeinderatsabgeordneter und Geschäftsführer der Mietervereinigung ab Mitte der Neunzigerjahre. Der smarte Wohnbaustadtrat gilt damals als Kronprinz von Wien und rote Personalreserve für den Bund. Er hat keine Feinde in der Partei, ja nicht einmal die Opposition kritisiert ihn wirklich, er hat die beste Marketingstrategie der Stadtregierung und die einflussreiche „Kronen Zeitung“ schon da als enge Verbündete. Faymann interessieren nur die Themen, mit denen er in die „Krone“ kommt, sagen seine Kritiker damals. Allerdings nie offiziell, denn da ist schon klar: Faymann wird noch mehr.

Prince Charles der Wiener SPÖ

Als Mieterschützer ist man beliebt bei den Wählern, als Inseratenspender für die Wohnbeilagen in fast allen Medien ist man gern gesehen bei den Zeitungen. „Der Standard“ beschreibt das Erfolgsrezept Faymanns damals so: „Mit leuchtendem Beispiel und Auge geht da bekanntlich Werner Faymann voran, der sich regelmäßig mit um sein Porträt gruppierten Gemeindebauten in der Kronen Zeitung als Stadtrat von nebenan längst zum Pendant der Frau von nebenan emporgearbeitet hat.“ Gasometer, Donaucity, Wienerberg, unter Stadtrat Faymann passiert viel im Wohnbau der Stadt. Zu heiklen Themen außerhalb seines Ressorts äußert sich der Politiker so gut wie gar nicht. Immer vorsichtig, immer taktisch geschickt.

»Faymanns Erfolgsrezept als Wohnbau-Stadtrat: Zu heiklen Themen außerhalb seines Ressorts äußert er sich so gut wie nicht«

Dem Publikum gefällt das, so gut, dass Bürgermeister Michael Häupl 2007 wohl auch nicht unglücklich ist, als sich der ehrgeizige Stadtpolitiker als Verkehrsminister der Regierung Gusenbauer aus seiner kleinen SPÖ-Welt verabschiedet – zu dem Zeitpunkt ist Faymann schon 13 Jahre in der Stadtregierung. Eine Art Prince Charles der Wiener Sozialdemokratie, immer in Warteposition für die Thronfolge nach dem ewigen Regenten, Michael Häupl. Und der sitzt ja bis heute im Rathaus, unverdrossen, als eigentlich Mächtiger in der SPÖ.

Im Verkehrsministerium macht Faymann dann einfach weiter, was er gut kann: Sachpolitik, Marketing in eigener Sache, Taktik. Die tragende Nebenrolle auf der größten Bühne des Landes, der Herr Minister, liegt ihm. Die Inseraten-Informationskultur pflegt man auch hier, von großen Staatsunternehmen wie den Bundesbahnen gibt es ja immer was Tolles zu berichten. Da bekommt man Lust auf mehr. Faymann löst im Sommer 2008 Alfred Gusenbauer ab, zuerst als SPÖ-Chef, dann als Kanzler. Die Lebensfreundschaft zwischen den beiden Politikern zerbricht, ein Kollateralschaden auf dem Weg ins Kanzleramt.

Es ist noch die Zeit der Verbindlichkeit und Werner Faymann ist der Kanzler der Verbindlichkeit. „Genug gestritten“, damit gewinnt er die Neuwahlen gegen die ÖVP und befriedet die gekränkten Genossen da draußen, deren Kritik sein Vorgänger Gusenbauer noch als „das übliche Gesudere“ abqualifiziert hatte. Mit seiner effektiven Art lächelt Faymann jedenfalls drei ÖVPChefs weg – Wilhelm Molterer, Josef Pröll, Michael Spindelegger. Auch wenn schon in der Zeit mit seinem Vizekanzler Pröll erste Risse im einstigen Erfolgsimage des SPÖ-Politikers sichtbar werden. Man weiß nicht, was Faymann will, außer Kanzler zu bleiben, schimpfen die Pröll-Strategen damals und versuchen, ihren Chef als bürgerlichen Visionär zu verkaufen. Funktioniert auch fast, bis zu Prölls Rückzug 2011.

Werner Faymann adaptiert sich und lernt dazu, er wird etwa als Kanzler von einem EU-Skeptiker zum überzeugten Europäer, doch die für ihn neue Hauptrolle auf dieser Bühne ist gnadenlos. Zu viel Text, zu viel Druck, zu viel Scheinwerferlicht für den Mann, der im roten Wien noch Hoffnungsträger und Freund der Medien war. Die politische Welt hier ist zu groß für ihn. Keine großen Vorzeige-Bauprojekte, sondern nur Baustellen. 2011 wird gegen den Kanzler wegen Untreue und Amtsmissbrauch ermittelt, weil er in seiner Ministerzeit Staatsunternehmen zu Inseraten in Boulevardzeitungen angehalten haben soll, die dann wiederum positiv über Faymann berichteten. Die Ermittlungen werden eingestellt, dennoch eine schwierige Situation für den Regierungschef. Genauso unangenehm wie jene ORF-„Sommergespräche“ mit „ZiB_2“-Anchorman Armin Wolf 2012, in denen bekannt wird, dass Faymann, dessen Lebenslauf ein (nicht abgeschlossenes) Jusstudium ausgewiesen hat, einst keine einzige Prüfung absolviert hatte. Die insistierenden Fragen des Interviewers , was Faymann denn in den Jahren zwischen Matura und Einstieg in den Gemeinderat beruflich genau getan habe, zeigen einen Kanzler, der sich schwertut, einfach auszusprechen, was er ja auch sagen könnte: Ich war eben schon von Jugend an Politiker, wie viele andere Funktionäre, und das ist auch gut so – die Kränkung über dieses Interview sitzt bei Werner Faymann so tief, dass er bis heute die „ZiB_2“ so gut wie möglich meidet, wie andere kritische Interviews auch.

Verbindlichkeit war gestern

Heute ist die Zeit der Verbindlichkeit in der Politik vorbei, heute prägen Staatschefinnen wie Angela Merkel die großen politischen Debatten in Europa. Pragmatiker wie Werner Faymann können sich nicht mehr so profilieren, der SPÖ-Chef hat unter dem Eindruck der großen Flucht schon seinen Kurs in der Asylpolitik geändert und verschärft; wenn er unter dem Druck mancher Parteifreunde auch noch sein Dogma von der Abgrenzung zur FPÖ aufgibt, wäre von seinen Grundhaltungen als Kanzler nichts mehr übrig.

Vielleicht wäre es gerade jetzt nicht ganz uninteressant für die SPÖ-Spitze, sich die Grundhaltungen der möglichen Kanzler- Konkurrenz anzuschauen. Zum Beispiel das Credo Gerhard Zeilers. „Einen Chef braucht man nicht, wenn die Sonne scheint. Einen Chef braucht man vor allem, wenn es regnet. Er muss den Regenschirm aufspannen“, sagt Zeiler in Claudia Reiterers Buch „Der Popcorn-Effekt“. Klingt ein wenig wie die Antithese zu jener Politik, die Werner Faymann gerne macht.

Kommentare

Dass dieser Mann keinen Stolz hat, verwundert mich. Man soll doch selber initiativ genug sein und zurücktreten, wenn man sieht, dass der Karren verfahren ist, und nicht warten bis man hinausgeschmissen wird.
Das ist der Unterschied zu Leuten in der Wirtschaft. Die Politiker glauben immer sie wären unentbehrlich. Merke Faymann, die Friedhöfe sind voll von unentbehrlichen Menschen.

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