"Manchmal sind
Amokläufe vorhersehbar"

Psychologe Hoffmann über typische Täterprofile von Amokläufern und was sie antreibt

Der Psychologe Jens Hoffmann vom Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt über das typische Täterprofil von Amokläufern, was sie antreibt und wie man solche Taten mit einem Frühwarnsystem verhindern kann

von Fakten - "Manchmal sind
Amokläufe vorhersehbar" © Bild: Benjamin Schenk Foto Studio Hirch D- 64283 Darmstadt

Was ist Amok?
Hoffmann: Amok ist erst mal ein Begriff, der für viel Verwirrung sorgt. Denn eigentlich verbindet man mit Amok, dass jemand plötzlich ausrastet. Tatsächlich ist es in den meisten Fällen genau das Gegenteil. Amok ist ein geplanter und gezielter Versuch einer Mehrfachtötung anderer Menschen.

Gibt es ein typisches Täterprofil?
Hoffmann: Wir haben alle Amokläufe von 2000 bis 2014 ausgewertet und kommen auf zwei Gruppen von Amoktätern. Eine große Gruppe plant die Tat und ist vorbereitet. Sie haben meistens Konflikte in der Familie oder in der Beziehung, wie auch der Amokfahrer von Graz. Oder sie haben Streit mit dem Arbeitgeber, mit Kollegen, mit Freunden. Wir haben festgestellt, dass Amoktaten häufig mit einem Gefühl von Kränkung, Zurückweisung und Krise verbunden sind. Häufig haben die Täter schon drüber nachgedacht, haben schon darüber gesprochen. Das heißt, der Plan, die Idee so etwas zu machen ist eigentlich fast schon im Hinterkopf vorhanden. Viele haben die Tat sogar schon sehr konkret geplant.
Eine deutlich kleinere Gruppe leidet an einer paranoiden Psychose. Sie fühlen sich verfolgt und bedroht. Ihre Realität ist eine andere.

Braucht es einen unmittelbaren Auslöser für einen Amoklauf?
Hoffmann: Ja. Der letzte Auslöser ist wie der Tropfen auf den heißen Stein, der die ganzen Rachegedanken und das Gefühl von Ausweglosigkeit noch mal in Gang setzt und steuert. Aber es ist nicht so, dass ein kleines Ereignis den Amoklauf begründet, sondern da ist schon viel vorher passiert.

Was geht während der Tat im Kopf eines Amokläufers vor?
Hoffmann: Die meisten sind sehr ruhig und sehr fokussiert. Sie sind im Jagdmodus der Aggression. Das ist wie bei einer Katze, wenn sie auf Jagd geht. Die ist ganz ruhig, fokussiert, die Muskeln sind angespannt. Und genau so handeln die meisten Amokläufer. Sie sind ruhig und zielgerichtet bei der Tat. Wie gesagt, bis auf diese kleine Gruppe von Leuten, die häufig impulsiv reagiert. Aufgrund von Wahnvorstellungen haben diese Menschen das Gefühl, dass sie etwas Schlimmes verhindern müssen. Aber das ist die Ausnahmegruppe.

Wie endet ein Amoklauf häufig?
Hoffmann: Man denkt immer, die meisten Amokläufe enden im Suizid. Das ist so bei etwa einem Drittel der Täter. Das variiert je nach Studie, nach Untersuchung, nach Land. Die Mehrzahl der Amokläufe endet anders. Manchmal werden sie durch die Polizei überwältigt. Einige hören auch einfach auf, weil dann gewissermaßen ihr Skript zu Ende ist. Die stehen dann da und warten, bis die Beamten kommen, um sie festzunehmen. Manche wollen sich in ihrem Finale nicht selbst umbringen, sondern durch die Polizei erschossen werden.

Gibt es Wege zur Prävention?
Hoffmann: Ja. Im Vorfeld zeigen die meisten Täter Auffälligkeiten. Das können Andeutungen von solchen Taten sein. Manchmal kann das auch eine direkte Drohung mit einer Waffe sein.
Was wir festgestellt haben ist, dass der ursprüngliche Konflikt und die Menschen, die attackiert werden, nicht immer identisch sind. Das ist eine Art generalisierte Rache, generalisierte Aggression.
Die Schwierigkeit ist, dass die Wahnsignale an verschiedenen Orten abgegeben werden. Am Arbeitsplatz, bei Kollegen, in der Beratungsstelle. Die große Frage ist immer, wer führt diese einzelnen Wahnsignale zusammen. Da setzt das sogenannte Bedrohungsmanagement an. Das kann in Institutionen aufgebaut werden, wie in Hochschulen und Unternehmen. Dort würde man, wenn jemand eine solche Gewaltdrohung äußert, genauer hinschauen, ansprechen und vielleicht auch mit anderen Behörden Kontakt aufnehmen. Das wird beispielsweise in Graz, beim Bedrohungsmanagement speziell für den Bereich häusliche Gewalt, seit vielen Jahren umgesetzt. Die Idee ist, dass man nicht nur Einzelakteure hat, wie Einrichtungen und Behörden, sondern, dass sie sich vernetzen. Da ist ein wichtiger Schritt damit man solche risikohaften Entwicklungen erkennt und versuchen kann dagegen zu steuern.

© Schattauer Verlag

Zur Person
Jens Hoffmann ist Kriminalpsychologe und Berater am Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement. Er hat in Deutschland und in der Schweiz das psychologische Bedrohungsmanagement für Unternehmen und Hochschulen eingeführt und in Hunderten Fällen von Drohungen, Stalking und Gewalt am Arbeitsplatz Risikoeinschätzungen durchgeführt. Sein Buch „Amok und andere Formen schwerer Gewalt“ ist im Schattauer Verlag erschienen.

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