Der Sheriff von Facebook

Dieser Mann jagte rechte Hassposter. Dann wurde er selbst zur Zielscheibe.

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Fakten - Der Sheriff von Facebook

Stein ist unter den Rechtsextremen Österreichs eine der meistgehassten Personen. Über Monate hinweg dokumentierte er ihre Hasspostings auf Facebook und zeigte sie an. Facebook scheiterte bisher daran, für einen gemäßigten Ton zu sorgen. Menschen wie Stein glauben, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu müssen und zu können. Das kann einen hohen Preis haben.

Dabei fing alles so harmlos an, so unscheinbar. Den meisten Österreichern wird der vergangene Sommer als eine schier endlose Hitzewelle in Erinnerung bleiben. In Tirol aber kommt es im Juni zu heftigen Unwettern. Hochwasser und Muren verwüsten mehrere Ortschaften. Besonders schlimm ist es eine Autostunde von Innsbruck entfernt, in der Gemeinde See im Paznauntal. Michael Stein möchte helfen, und er hat eine Idee: Warum nicht gemeinsam mit Flüchtlingen den Schlamm wegschaufeln?

Stein ist bis dahin kein Aktivist gewesen, er ist nicht einmal sonderlich politisch. Die Mutter stammt aus Kroatien, eine Hausfrau; der Vater aus Österreich, ein Schichtarbeiter. Er arbeitet viele Jahre als Fernfahrer, heuer im Sommer sucht er nach einem neuen Job und möchte sich in der Zwischenzeit engagieren.

Mit Asylwerbern hat er vorher kaum etwas zu tun gehabt. Er ist ein 42-Jähriger, der sich einfach nur denkt: Da muss man doch etwas tun können. Also tut er etwas. Er fragt sich durch mehrere Flüchtlingsheime in Tirol, organisiert Busse und die Verpflegung. Dutzende Asylwerber machen mit, die Aktion wird ein Erfolg. Eine schöne Geschichte, die hier enden sollte. Sie fängt aber gerade erst an.

Denn einige Medien berichten über Michael Steins Aktion, durchaus wohlwollend zwar, ein Beispiel für "Good News", doch dann passiert, was im Internet bei solchen Themen immer passiert: Leser reagieren mit Hass, Häme, Spott und Hetze in den Kommentaren. Nicht alle, wohlgemerkt, viele Kommentare loben die Asylwerber auch. Michael Stein legt einigen Wert auf diese Tatsache, wenn er heute davon erzählt. Trotzdem ist er damals das erste Mal persönlich mit Hasskommentaren konfrontiert. Er klickt sich durch das Internet und findet immer mehr davon: "Die KZs gehören wieder aufgesperrt." "Egal ob Frauen oder Kinder -die gehören alle an die Wand gestellt." "Schießbefehl und Ruhe ist." Stein hält diese Sätze nicht aus. Er kann nicht fassen, dass Menschen so etwas schreiben. Und wieder denkt er sich: Da muss man doch etwas tun können.

Die Jagd beginnt

Er gründet eine geheime Facebook-Gruppe, die nach und nach wächst. Geheime Gruppen kann man auf Facebook nicht finden, selbst wenn man weiß, wie sie heißen. Nur nach einer Einladung eines Administrators erhält man Zugang.

Michael Stein macht sich schlau, er studiert die Paragrafen aus dem Strafrecht: Wo hört Meinung auf, wo fangen Hetze und Wiederbetätigung an? Nun wird Michael Stein zum Jäger. Er spürt auf Facebook Hassposter auf, dokumentiert, was sie schreiben, und zeigt sie beim Verfassungsschutz an. Um auch in die privaten Gruppen der Rechtsextremen zu gelangen, legt er Fake-Profile an. 22 gefälschte Accounts betreibt Stein nach eigenen Angaben. Er baut parallele Identitäten auf, um so das Vertrauen seiner Gegner zu gewinnen. In einer ihrer Gruppen erschleicht er sich so sogar Administratorrechte, sagt er. Täglich investiert er bis zu sechs Stunden in diese Arbeit. Wieso macht jemand so etwas? Stein sagt, er habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und eben starke Prinzipien. So einfach sei das.

Der Fall Porsche

Eines Abends stößt Michael Stein auf ein öffentliches Posting auf der Facebook-Seite eines Radiosenders. Ein User wünscht sich darin, einen Flammenwerfer auf ein fröhliches Flüchtlingsmädchen zu richten. Der User, findet Stein wenig später heraus, ist Lehrling bei Porsche. Stein meldet das Posting beim Arbeitgeber und der Lehrling wird fristlos entlassen. Der Fall geht durch sämtliche Medien. Heute sagt Stein dazu: "Mir wäre lieber gewesen, man hätte ihn zu Sozialarbeit mit Flüchtlingen verpflichtet." Aber wirklich leid tut ihm das Schicksal des Lehrlings auch jetzt nicht.

Damals setzt Stein noch eins drauf. Er will sich an die Öffentlichkeit wenden, ein Interview geben, um andere Hassposter zu warnen. Um sie einzuschüchtern. Er wendet sich an das auflagenstarke Gratisblatt "Heute", weil er hofft, so die meisten Hassposter direkt erreichen zu können. Und dann passiert es: "Heute" druckt seinen Vornamen und nennt die Stadt, in der er wohnt.

Müsste man rückblickend einen Moment benennen, einen entscheidenden Moment, der sein weiteres Leben verändern sollte, dann wäre es wohl dieser.

Bis zu diesem Zeitpunkt war Stein anonym, nun ist er geoutet. Das macht ihn zur Zielscheibe für Rechtsextreme. Zwar schreibt die Zeitung nicht den vollen Namen, doch das ist auch gar nicht notwendig. Sucht man nach seinem Vornamen, seiner Stadt und dem Wort "Flüchtling", stößt man auf die Artikel der Hilfsaktion nach dem Hochwasser. Dort findet man seinen vollen Namen und auch Fotos von ihm.

Dazu kommt: Etliche Leser melden sich bei "Heute" und behaupten, sie wollten bei Steins Gruppe "mitmachen". Der verantwortliche Redakteur, ein alter Hase des Boulevardjournalismus, gibt daraufhin Steins E-Mail-Adresse weiter, wie er einräumt. "Ich wollte ihm damit aber nie etwas Böses tun", sagt er. Die E-Mail-Adresse besteht aus seinem Vor-und Nachnamen, mit ihr ist er auf Facebook registriert. Spätestens so wird es kinderleicht, ihn zu finden.

In rechtsextremen Kreisen verbreitet sich sein Name wie ein Lauffeuer. Michael Stein, der Jäger, ist ab jetzt ein Gejagter. An dieser Stelle sollte man erwähnen, dass Michael Stein in Wirklichkeit nicht so heißt. Zwar ist es unmöglich, seine Identität jetzt noch zu schützen, aber zumindest wird dieser Artikel in keiner Suchmaschine auftauchen, wenn jemand nach ihm sucht. Im Internet wird Stein ab jetzt fortwährend beschimpft und bedroht. "Denunziant, Verräter, Feigling." Stein kriegt Angst und zieht für acht Tage ins Ausland. Etwa zur selben Zeit infiltriert ein rechter Facebook-User Steins Facebook-Gruppe. Ähnlich wie zuvor er selbst hat sich jemand unter einem Fake-Account Vertrauen erschlichen. Die Gruppe wird gelöscht. Die Rechten feiern ihren Triumph.

Aufstehen, weitermachen

Stein liegt am Boden. Seit der Hilfsaktion in Tirol sind gerade einmal zwei Monate vergangen. Er fragt sich: "War es das wert?" Heute antwortet er auf die Frage so: "Natürlich war es das wert. Ich kann nicht ruhig bleiben, wenn ich überall im Internet auf Hetze und Hass stoße."

Er entscheidet sich, weiterzumachen. Weiter nach Hasspostern zu suchen, sie weiter anzuzeigen. Er gründet die Facebook-Seite "O 5", dieses Mal wird es eine öffentliche Seite. O5 ist eigentlich der Name einer österreichischen Widerstandsgruppe gegen die Nazis während des Zweiten Weltkriegs. Stein gefällt diese Analogie. Er sieht sich in einer ähnlichen Rolle. Öffentlich macht er die Seite deshalb, weil so viel mehr Gleichgesinnte mitmachen können.

Steins Arbeit wird professioneller. Einige engagierte User werden ebenfalls zu Administratoren der Seite. Täglich bekommen sie Screenshots von Hasspostings zugeschickt. Steins Team erarbeitet einen Leitfaden, wie man Postings dokumentieren muss, damit die Chancen auf eine Verurteilung steigen: Wie lange war das Posting online? Wie viele Likes hatte es? Wie viele Menschen könnten es schon gesehen haben? Was verrät das Profil über den Urheber? Wenn möglich, recherchieren sie auch Telefonnummer und Adresse. All diese Informationen schreiben sie zusammen, machen ein Paket gemeinsam mit den Screenshots und zeigen den Urheber dann beim Verfassungsschutz an.

Diese Daten geben tiefen Einblick in den braunen Sumpf dieses Landes. Sie dokumentieren nicht nur den Hass, sie zeigen auch, wie sicher sich diese Menschen offenbar fühlen. Da ist zum Beispiel das Ehepaar S. Er, ein ziemlich muskulöser Mann, postet öffentlich und für jedermann einsehbar Oben-ohne-Fotos von sich, auf denen man sein eher schäbiges Hakenkreuz-Tattoo auf seiner Brust sehen kann. In der einen Hand hält er dazu ein Gewehr, in der anderen eine Pistole. Seine Frau postet zum Beispiel Artikel über Asylwerber, die mit Selbstmord drohten. Sie schreibt dazu, man solle sie nur machen lassen, "ein paar undankbare Dreckskinder weniger!". Ihr Mann postet ein Foto von Adolf Hitler dazu.

Facebook greift ein

Es läuft gut für Stein. Seine Seite wächst, mehr und mehr User schicken Screenshots von Hasspostings. Laut eigenen Angaben kommen so 850 Anzeigen zustande. Um den "O 5"-Fans zu zeigen, dass ihre Mitarbeit gefragt ist, postet Stein immer wieder anonymisierte Screenshots von Hasspostings. Und dann mischt sich jemand ein, den Stein nicht auf der Rechnung hatte: Facebook selbst. Plötzlich wird seine Seite nämlich gelöscht. Der Grund dafür könnte skurriler nicht sein: die Verbreitung von Hasspostings.

Facebook hat den Ruf, gegen Hasspostings zu lasch vorzugehen - insbesondere verglichen mit Fotos von nackten Brüsten. Das stimmt zwar, aber das heißt nicht, dass Facebook gar nichts gegen den Hass unternimmt. Speziell seit der aktuellen Flüchtlingskrise steigt der internationale Druck auf das Unternehmen. Stein kritisiert jedoch, dass seine Seite einerseits gelöscht wurde, andererseits die Hasspostings im Original in den rechten Gruppen aber noch online seien. Überprüfen lässt sich das kaum, die Profile des Ehepaars S. sind aber beispielsweise nach wie vor online, wenngleich inzwischen ohne Nazifotos.

"O 5" wird jedenfalls nicht wiederkommen, Stein hat genug. Er behauptet, ihm sei eine tote Ratte nach Hause geschickt worden, dazu ein Brief, in dem stand: "Das droht Denunzianten." Stein hat mittlerweile seine Wohnung aufgegeben und Tirol verlassen. "Mein Leben hier ist vorbei", sagt er. In Zukunft möchte er sich direkt für Flüchtlinge engagieren. "Wenn ich einer syrischen Familie helfe, hier zurechtzukommen, tue ich mehr gegen die Rechten, als wenn ich sie anzeige." Michael Stein kämpft weiter - nur auf eine andere Art und Weise.