"Es ist gut, dass Frauen nicht mehr dankbar sein müssen"

Das Frauenbild der FPÖ und Frauen als FPÖ-Wählerinnen. Die Frauenpolitik und die Last der eigenen Erfolge. Die Kulturszene und ihr oft eigenartiges Verständnis für übergriffige Männer. SPÖ-Frauenchefin Eva-Maria Holzleitner über den schweren Stand des Feminismus im Österreich des Jahres 2024.

von Politik - "Es ist gut, dass Frauen nicht mehr dankbar sein müssen" © Bild: Heinz Stephan Tesarek/News

Am 8. März ist Frauentag. Sind Sie in Feierstimmung oder fühlen Sie sich eher wie in "Täglich grüßt das Murmeltier": Jedes Jahr die gleichen politischen Forderungen, die nicht umgesetzt werden?
Ein bisserl feiern tu ich schon. Rund um den 8. März gibt es viele Begegnungen mit Frauen, die mich bestärken. Aber von den Forderungen her: Täglich grüßt das Murmeltier und vor allem am Frauentag. Ich würde mir wünschen, dass Männer an diesem Tag nicht nur Blumen verteilen, sondern auch frauenpolitische Forderungen unterstützen.

Bei welcher Forderung wundern Sie sich besonders, dass sie nicht umsetzbar ist?
Es ist schwierig, das auf eine Forderung zu begrenzen. Aber ein wichtiges Thema, wo wir in Österreich nur Babyschritte machen, ist die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Bei den Karenzregelungen sind wir in Österreich sehr auf traditionelle Rollenbilder fokussiert. Da sind die skandinavischen Länder, auch wenn sie nicht sozialdemokratisch regiert sind, gesellschaftspolitisch viel weiter.

Zeigt das nicht auch, dass ein Umdenken aus der Gesellschaft kommen muss? Die Politik kann das vielleicht nur unterstützen.
Die Politik kann formen und ermöglichen. Wenn die Regierung nicht anspricht, dass Väter stärker in Karenz gehen sollen, dann hilft das den Männern, die das wollen, auch nicht dabei, Vorurteile aufzubrechen. Solche treffen ja nicht nur die Frauen, die als Rabenmütter gelten, wenn sie Vollzeit erwerbstätig sind und das Kind in eine gute Bildungseinrichtung geben. Es trifft auch Männer, die vermeintlich verweichlicht sind, wenn sie in Karenz gehen wollen. Der Auftrag der Politik ist, zu entstigmatisieren und klarzumachen: Es ist unser gesamtgesellschaftlicher Auftrag, dass es eine stärkere Aufteilung gibt. Dazu brauchen wir gar keine gesetzlichen Maßnahmen. Natürlich: Wir als SPÖ-Frauen würden gerne halbe-halbe gesetzlich verankern und auch fix geteilte Karenzzeiten für beide Elternteile.

Haben da nicht auch die Männer in SPÖ-geführten Regierungen in der Vergangenheit zu wenig geliefert?
Unsere Frauenministerinnen waren immer sehr aktiv und haben auch Dinge in andere Ministerien hineinverhandelt, wie etwa die Einkommensberichte oder den Papamonat. In den letzten Jahren habe ich eine solche aktive Rolle des Frauenministeriums vermisst. Aber ja, natürlich gibt es auch bei den Männern in der SPÖ immer wieder Widerstand. Deswegen halten wir es mit Johanna Dohnal: Nur eine lästige Frauenorganisation hat auch eine Existenzberechtigung. Bei Andreas Babler orte ich, dass er unsere Forderungen aufnimmt und sich für Lohntransparenz und Kinderbildung einsetzt.

»Das Frauenbild der FPÖ ist klar: Sie hat Angst vor allem, wo 'Gender' drinsteckt«

Frauen wählen inzwischen verstärkt die FPÖ, die ein ganz anderes Gesellschaftsbild hat. Warum?
Das Frauenbild der FPÖ ist ganz klar. Sie hat Angst vor allem, wo "Gender" drinsteckt. Zuletzt war sie im Nationalrat als einzige Partei gegen einen Antrag zum Thema Gender Budgeting. Genau dasselbe ist beim Frauengesundheitsbericht passiert, der wirklich wichtig ist. Da geht es ja nicht um Ideologie. Es ist wissenschaftlich belegt, dass wir in der Medizinforschung einen stärkeren Fokus auf die Frauen legen müssen, weil sich etwa ein Herzinfarkt bei ihnen anders zeigt als bei Männern. Nicht einmal da kann die FPÖ zustimmen. Internationale Umfragen zeigen, dass Männer konservativer werden, Frauen werden liberaler und linker. In Österreich zeigt sich das noch nicht so. Möglicherweise hat das mit Corona und dem Rückzug in die eigenen vier Wände zu tun. Aber das ist eine gefährliche Entwicklung, denn wir wissen, dass die vier Wände der gefährlichste Ort für Frauen sind.

Die FPÖ macht das ja nicht ohne strategischen Hintergedanken. Warum bringt Antifeminismus Stimmen?
Was die FPÖ schafft, ist, mit vereinfachten Botschaften Emotionen zu wecken und Ängste zu schüren. Wir anderen Parteien versuchen dann, mit Fakten, Zahlen und Daten dagegenzuhalten. Aber wenn du zwei Sätze zum Erklären brauchst, bist du eben sehr oft Zweite. Der FPÖ ist Frauenpolitik vollkommen wurscht. Sie leugnet den Pay-Gap, sie leugnet den Pension-Gap, sie leugnet fast alles, was frauenpolitisch einfach Fakt ist. Deshalb ist es durchaus bedenklich, dass einige Frauen zur FPÖ tendieren. Ich glaube, dass man mit guter, konsequenter Politik die Menschen, besonders eben die Frauen, darauf hinweisen muss, dass Frauenpolitik bei allen anderen Parteien, auf verschiedene Art und Weise, eher zu finden ist. Gerade beim Thema Gewaltschutz ist das ganz krass. Da hat Herbert Kickl als Innenminister die Hochrisikofallkonferenzen abgeschafft, was maßgeblich zu einer weiteren Gefährdung von Frauen geführt hat. Das muss man immer wieder klarmachen.

Ist die Frauenpolitik Opfer ihrer eigenen früheren Erfolge, wenn man dafür nicht gewählt wird?
Ja, wobei es aber eigentlich gut ist, dass vieles heute selbstverständlich ist und Frauen nicht mehr dankbar sein müssen. Ich finde es extrem gut, dass meine Generation nicht mehr weiß, wie es ist, wenn der Mann unterschreiben muss, wenn man arbeiten gehen möchte. Ich finde es extrem gut, dass Vergewaltigung in der Ehe strafrechtlich relevant ist. Ich finde es extrem gut, dass meine Generation weiß, dass der Schwangerschaftsabbruch durch die Fristenlösung geregelt ist. Das macht es für rechtskonservative Koalitionen schwieriger, die Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch wieder umzudrehen. Man hat gesehen, dass es in anderen Ländern große Demonstrationen gegen solche Pläne gegeben hat. In so einem Fall würde es auch in Österreich zivilen Widerstand der Frauen und die Solidarität vieler Männer geben.

© Heinz Stephan Tesarek/News

In Österreich gibt es Jahr für Jahr traurige Höchststände bei Femiziden. Wie sehr spielt da ein gesellschaftliches Klima eine Rolle, in dem man sich über das Gendern lustig macht oder es verbietet und Frauen tendenziell nicht glauben will, die Übergriffe auf Filmsets anprangern?
Gewalt gegen Frauen ist omnipräsent. Und es gibt mutige Frauen, wie in dieser aktuellen TV-Dokumentation, die aufstehen und das anprangern. Wie groß das Problem in der Gesellschaft ist, haben wir ja auch bei der Debatte über den Po-Grapsch-Paragrafen gesehen, wo von rechter Seite gekommen ist: "Na ja, beim Zeltfest wird man ja noch eng tanzen dürfen, wenn man dann irgendwo hingreift, ist das ja okay, ein Anbandeln quasi." Nein, das ist weder Flirten noch sonst etwas. Es ist ein Übergriff. Frauen sind kein Freiwild. Und es ist gut, dass es diesen Paragrafen gibt. Auf EU-Ebene hat es auch große Debatten gegeben, als im Gewaltschutz festgelegt wurde: Nein heißt nein. Das ist nichts, wovor sich Männer fürchten müssen, sondern so wollen wir miteinander umgehen: Nur ein Ja ist ein Ja. Und zu den Femiziden: Wir haben sehr gute Einrichtungen im Bereich des Gewaltschutzes, von den Frauen- und Mädchenberatungsstellen bis zur Frauen-Helpline. Wir müssen darauf schauen, dass Frauen diese Hilfe auch in Anspruch nehmen können. Es ist unsere politische Aufgabe, diese Hilfsangebote intensiv zu bewerben. Aber es gibt auch Aufholbedarf, insbesondere bei der Koordinierung der Gewaltschutzmaßnahmen. Daher fordern wir einen nationalen Aktionsplan.

Die Regierung hat in den letzten Jahren einiges getan und auch das Budget für den Gewaltschutz erhöht. Reicht es nicht oder müssen die Maßnahmen erst greifen?
Es war extrem wichtig, dass diese Regierung sehr rasch die Hochrisikofallkonferenzen, die Kickl als Innenminister abgeschafft hat, wieder eingeführt hat. Wichtig ist auch das Geld, das geflossen ist. Probleme gibt es aber bei der Koordinierung, das hat auch der Rechnungshof im Vorjahr festgestellt. Der Gewaltschutz ist nicht nur einem Ministerium zugeordnet, dazu kommen Zuständigkeiten der Länder, etwa bei den Frauenhäusern. Nach den letzten Frauenmorden hat die Regierung dazu einiges angekündigt, die wissenschaftliche Begleitung, die Sozialminister Rauch versprochen hat, halte ich für wesentlich. Es muss nur auch tatsächlich passieren. Ein nationaler Aktionsplan mit einer konkreten To-do-Liste und Fristen ist in den Ankündigungen der Regierung leider nicht vorgekommen. Er wäre aber wichtig, das sagen auch internationale Experten. Nur so werden die Umsetzung und die Folgen von Maßnahmen auch messbar.

Zu den Fällen im Kulturbereich, die nun bekannt geworden sind: Das wird oft mit einem "Das sind halt Künstler, die sind halt so" abgetan.
Es gibt viele krasse Fälle, etwa auch bei Rammstein oder bei Hip-Hoppern und Rappern, die eine extreme Sprache verwenden. Da hat man lange gesagt, ist halt eine härtere Musikrichtung, okay. Dann ist man draufgekommen, dass manche das in die Tat umsetzen. Natürlich ist die Kunstfreiheit ein extrem hohes Gut. Aber Übergriffe oder gewaltsame Methoden und Demütigungen etwa am Filmset sind meiner Meinung nach unverständlich. Ich glaube auch nicht, dass das zu einem künstlerisch guten Projekt führt. Ich verstehe, ehrlich gesagt, überhaupt nicht, dass man das genau Männern immer durchgehen lässt. Drehen wir den Spieß um: Würde eine Frau am Set Emotionen zeigen, und da spreche ich gar nicht von Gewaltemotionen, heißt es, sie sei nicht fähig, diesen Job auszuüben.

»Wenn derartige Gewaltfälle bei einem Projekt bekannt werden, könnte man für kurze Zeit für Förderungen gesperrt werden«

Oft sind in solchen Fällen öffentliche Förderungen im Spiel. Müsste es da strengere Maßstäbe oder Konsequenzen geben?
Das halte ich für durchaus denkbar. Ich bin in diesem Fall keine Expertin und würde dazu erst Gespräche mit den entsprechenden Gremien suchen. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass jemand, wenn derartige Gewaltfälle bei einem Projekt bekannt werden, für eine kurze Zeit für Förderungen gesperrt ist und erst einmal reflektieren muss, was da passiert ist.

Die Nationalratswahl steht bevor: Welchen Maßstab sollen Frauen bei ihrer Wahlentscheidung anlegen? Es wählen ja nicht alle die SPÖ, auch wenn Sie das gerne hätten.
Frauen sollten sich überlegen, wie ihre Lebensrealität aussieht, und die Wahlprogramme der Parteien auf die bestmögliche Unterstützung ihrer Lebensrealität prüfen. Wenn man in einem Beruf arbeitet, der monetär wenig Wertschätzung erfährt, wäre Lohntransparenz ein Thema, das man sich in den Programmen anschauen kann. Wenn jemand Familie und Beruf schupfen muss und nicht unterstützt wird, sollte man darauf schauen, wer Kinderbetreuung ausbauen will und das auch noch mit einem Rechtsanspruch auf Kinderbildung ab dem ersten Lebensjahr verknüpft, damit Frauen nicht als Bittstellerinnen zum jeweiligen Bürgermeister – bewusst in der männlichen Form gesagt – gehen müssen. Insgesamt würde ich mir von den Frauen wünschen, dass sie Parteien unterstützen – im besten Fall natürlich die SPÖ –, die für demokratische Grundwerte und Frauenrechte stehen und die Demokratie stärken.

Sie haben gesagt, Frauen tendieren eher nach links. Die progressive Mehrheit links der Mitte geht sich in Österreich trotzdem nicht aus. Welchen Anteil hat die SPÖ daran, dass es so ist?
Wir haben 2023 ein turbulentes Jahr gehabt, das vielleicht auch 2024 weitergeht. Aber ich gehe davon aus, dass wir alle bald konstruktiv an einem Strang ziehen.

Da müssen Sie jetzt selbst schmunzeln.
Wenn man betroffen ist von der Teuerung und schwierigen Umständen und von der SPÖ mitkriegt, die beschäftigen sich nur mit sich selbst, dann verstehe ich, dass die Menschen irgendwann zumachen und sagen: "Diese Partei hat offensichtlich sehr viel mit sich selbst zu tun und kann nicht auf meine Probleme eingehen." Das habe ich, ehrlich gesagt, auch ziemlich nervig gefunden. Wir haben so viele positive Inhalte, von der Lohntransparenz über den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bis zu halbe-halbe – diese Dinge den Menschen zu vermitteln, wäre wichtig. Das schafft man aber nicht, wenn man nur mit sich selbst in den Schlagzeilen ist. Wir versuchen mit vielen Gesprächen, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, und sind dafür viel unterwegs.

Die SPÖ hat nach dem Abschied Pamela Rendi-Wagners keine Bundesparteivorsitzende mehr und keine Frau an der Spitze einer Landespartei. Wann dreht sich das?
Frauenförderung ist uns in der SPÖ wichtig. Wir tun auch viel. Es gibt viele Frauen in der Partei, die unglaubliches Potenzial haben und anpacken. Es wäre extrem wichtig, dass diesen Frauen auch ihr Platz am Verhandlungstisch zukommt. Es war die Frauenorganisation der SPÖ, die über all die Jahre kampagnenfähig war, die entlang des feministischen Jahreskreises immer wieder Aktionen geplant und Themen gesetzt hat und sich eben nicht in diese Interna medienöffentlich einmischt. Wir sind die stabile Konstante in der Partei.

Die Oberösterreicherin Eva-Maria Holzleitner, 30, hat Sozialwirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz studiert und danach als Studienassistentin dort sowie an der FH Hagenberg gearbeitet. In die Politik kam sie über die Aktion kritischer Schüler_innen. Von 2016 bis 2021 war sie Landesvorsitzende der Jungen Generation Oberösterreich. Seit 2017 ist sie Nationalratsabgeordnete. 2021 wurde sie zur Bundesfrauenvorsitzenden und zur stellvertretenden SPÖ-Bundesparteivorsitzenden gewählt. Der heutige SPÖ-Chef Andreas Babler holte sie 2023 als Klubobmann-Stellvertreterin im Parlament in sein Team.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 10/2024.