"I will des nimmer!"

Wenn in Sölden der alpine Ski-Weltcup eröffnet wird, gehört Eva-Maria Brem zu den Favoritinnen. Irgendwann hatte die Tirolerin das Verlieren satt - und wurde zur besten Riesentorläuferin der Welt

von Sport - "I will des nimmer!" © Bild: www.sebastianreich.com/News

Frau Brem, im letzten Rennen der vergangenen Saison haben Sie ganz knapp die kleine Kristallkugel für den Gesamtsieg im Riesentorlauf-Weltcup geholt - letztlich waren vier Hundertstel entscheidend. Denkt man da auch daran, was gewesen wäre, wenn es nicht geklappt hätte?
Ja, klar. Ich glaube, ich habe mir das zu hundert Prozent verdient, und ich habe jetzt kein schlechtes Gewissen, weil's so knapp war. Aber allein an dieser Entscheidung sieht man, wie krank der Sport eigentlich ist, den wir da machen. Wenn nach einem ganzen Winter vier Hundertstel entscheiden, kann man dann wirklich sagen, dass die eine besser ist als die andere? Wahrscheinlich nicht. Als wir im Auto heimgefahren sind, habe ich mir gedacht: "Wahnsinn, der Tag heute hätte auch so anders ausgehen können! Du könntest jetzt auch am Boden zerstört sein."

»An dieser Entscheidung sieht man, wie krank der Sport eigentlich ist«

Wie ist denn Ihre Einstellung zu Niederlagen? Man könnte ja sagen: Okay, so ist das halt im Sport, eine gewinnt und eine verliert.
Solange man die ist, die gewinnt, sagt sich das leicht. Aber im Riesentorlauf ist es bei mir inzwischen so: Wenn ich alles richtig mache, dann gewinne ich. Und wenn ich nicht gewinne, dann habe ich eben einen Fehler gemacht, oder es war aus irgendeinem Grund an diesem Tag für mich nicht mehr drin. Das tut dann schon noch weh, aber man weiß auch: Das habe ich falsch gemacht, das muss ich anders machen. Dann kann man damit auch umgehen. Aber da muss ich zuerst einmal eine Nacht darüber schlafen. Zuerst einmal zipft's mich natürlich voll an.

Beim Skifahren ist man allein, man sieht die Gegner nicht und weiß während des Rennens gar nicht genau, wo man liegt. Wie haben Sie den entscheidenden Lauf beim Weltcup-Finale in St. Moritz erlebt?
Das war das schrägste Rennen, das ich jemals gefahren bin. Vor dem Rennen war für mich klar: Ich bin 50 Punkte vorn, und wenn ich das noch verliere, bin ich der Volltrottel - obwohl 50 Punkte brutal wenig sind, wie man dann ja gesehen hat. Für mich war deshalb klar, dass ich da keinen Zweifel aufkommen lassen will. Ich wollte das Rennen gewinnen und zeigen, dass diese Kugel mir gehört und keiner anderen. Im ersten Durchgang lief noch alles nach Plan, vor dem zweiten Durchgang habe ich dann mitgekriegt, dass die Viktoria Rebensburg vorn ist. Und dann bin ich so schlecht gefahren wie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr.

Lag's an den Nerven?
Das Problem ist: Du kannst dir ausmalen, wie das ist, du kannst dir einreden, wie es zu sein hat - aber im Grunde kannst du dich auf so eine Situation nicht vorbereiten. Beim nächsten Mal weiß ich, was los ist.

Das Rennen in St. Moritz war der 19. Weltcup-Riesentorlauf hintereinander, in dem Sie unter den ersten zehn waren. Begonnen hat diese beeindruckende Serie ausgerechnet an einem Tiefpunkt Ihrer Karriere: im März 2014, nachdem Sie nicht für Olympia in Sotschi nominiert worden waren. Was ist damals passiert?
Sehr entscheidend war sicher, dass meine Skifirma und ich die Pause, die ich durch Olympia hatte, genützt haben. Es war echt schwer, sich da nicht voll hängen zu lassen, aber wenn ich jetzt daran zurückdenke, war das einer der coolsten Monate meines Lebens: Wir haben das Material entwickelt und in Ruhe trainiert, und dann bin ich wieder mit meinen Mädels feiern gegangen. Ich hatte keinen Stress, ich konnte machen, was ich will, es war ja kein Trainer da. Und eines war für mich ganz klar: Ich will was ändern. Mir ist das schon dermaßen auf den Sender gegangen, dass ich nach einem Skirennen immer so enttäuscht war! Ich habe mich selber gehasst, wenn ich nachher wieder eine Stunde lang geheult habe. Ich hab mir gedacht: "Das kann's einfach nicht sein, i will des nimmer!" Weil eigentlich sollte das ja Spaß machen. Und ich habe mir gesagt: "Bis zum Ende der Saison sind noch drei Weltcuprennen, und nach diesen drei Rennen möchte nicht mehr auf mein Zimmer gehen und weinen."

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In den drei Rennen waren Sie dann Dritte, Vierte und Zweite. Hatten Sie davor auch an Rücktritt gedacht?
Logisch, das ist immer wieder ein Thema. Das ist auch ganz normal. Wenn ich nie an mir gezweifelt hätte, wäre das doch auch seltsam gewesen. Man denkt schon darüber nach, ob's nicht doch gescheiter ist, man spart sich das, wenn man den ganzen Winter lang eh fix und fertig ist, weil's nicht läuft.

Haben Sie sich den Olympia-Riesentorlauf damals eigentlich im Fernsehen angeschaut?
Nein, das habe ich nicht geschafft. Genau an dem Tag war in Italien ein Europacuprennen, und das bin ich gefahren.

Wie ist das Rennen ausgegangen?
Ich hab gewonnen. Mit Wut im Bauch.

Ihre Karriere fing ziemlich gut an, mit 19 waren Sie schon einmal Fünfte, mit 21 fuhren Sie zu Olympia nach Vancouver. Dann haben Sie sich beim freien Skifahren das Bein gebrochen. Wie ist das passiert? Die einen überschlagen sich mit einem Hunderter, und es fehlt ihnen nichts.
Die anderen fallen einfach um - und stehen nicht mehr auf. So ein Sturz war das. Danach habe ich viel Zeit gebraucht, um wieder zurückzukommen. Karrieremäßig war das ein ganz blöder Zeitpunkt für eine Verletzung. Draußen hat man vergessen, wie gut ich davor schon war - und drinnen, in meinem Kopf, war das irgendwann dann leider auch so.

Voriges Jahr, im Zuge der Fenninger-Affäre, waren Frauen im Skisport ein großes Thema. Wie kommen Sie in der Männergesellschaft ÖSV zurecht?
Gut. Klar arbeiten da viele Männer, aber ich kenne halt auch nicht viele Frauen, die sagen: "Skitrainer ist mein Traumberuf." Für mich ist das keine Frage des Geschlechts, sondern eine des Charakters: Kann ich mit wem, oder kann ich mit wem nicht? Die Physiotherapeutinnen zum Beispiel sind meistens Frauen. Aber da liegt dir auch nicht jede.

»Wer ist mit 20 schon selbstsicher - wenn er kein arrogantes Arschloch ist?«

Haben Sie sich nie benachteiligt gefühlt?
Natürlich hast du es in jungen Jahren, wenn du noch keine großen Erfolge hast, als Dirndl vielleicht ein bissl schwerer. Wenn ich an den Europacup denke: Wie die Jungs da mit 18, 19 dastehen! Die Mädels sind da teilweise noch unentschlossener. Mich hat das Jahre gekostet. Aber es gibt auch Burschen, bei denen ich mir denke: "Wenn der ein bissl mehr an sich glauben würde, könnte der doch auch gewinnen." Um dich da durchzusetzen und erfolgreich zu sein, musst du einfach eine brutale Selbstsicherheit haben. Und am Anfang hast du die oft halt noch nicht. Wer hat die schon mit 20 - wenn er kein arrogantes Arschloch ist?

Im Riesentorlauf sind Sie derzeit die Beste der Welt. Warum läuft es im Slalom nicht so gut?
Slalom war bisher kein Megaerfolg, da brauchen wir nicht reden. Am Anfang der Saison ist es ja noch ganz gut gegangen, aber als es dann im Riesentorlauf um die Kugel ging, habe ich mich darauf konzentriert - und mit 50 Prozent Einsatz kannst du dich im Slalom nicht verbessern, dafür machen die anderen das viel zu professionell.

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Wäre es eine Option, nur Riesentorlauf zu fahren?
Nein, ich glaube, das macht dich nicht happy. Ich merke auch: Wenn ich fünf Tage Riesentorlauf trainiere, werde ich ab dem dritten Tag nicht mehr besser. Aber wenn ich dazwischen einen Tag Slalom trainiere, geht es. Diese verschiedenen Reize bringen dich weiter. Ich habe das Gefühl, dass im Slalom noch viel mehr gehen würde. Und im Super-G geht vielleicht auch was. Ich möchte jedenfalls nicht tagaus, tagein denselben Schwung fahren.

Es gibt nur noch wenige Läuferinnen oder Läufer, die in beiden technischen Disziplinen um den Sieg fahren. Liegt das auch daran, dass die Ski inzwischen so unterschiedlich sind?
Auch, ja. Man kann Slalom und Riesentorlauf nicht einmal mehr mit dem gleichen Skischuh fahren, das ist jedenfalls meine Erfahrung. Und um in beiden gewinnen zu können, braucht es einen enormen Trainingsumfang. Da gibt's nur einige wenige ganz, ganz Große, die das schaffen.

Im ÖSV sind Sie und Ihre Kolleginnen eine Mannschaft. Im Rennen aber fahren Sie gegeneinander.
Gegeneinander würde ich nicht sagen.

Es sind doch Gegnerinnen, oder nicht?
Nein. Wenn du im Kopf gegen die anderen fährst, hast du eh ein Problem. Dann gehst du's schon falsch an.

In einem Formel-1-Team verraten einander die Teamkollegen nicht alles. Wie ist das bei Ihnen?
Natürlich sage ich nicht alles. Mir hat's ja auch keiner gesagt. Aber auch wenn ich einen gut gemeinten Rat weitergebe, kann das für die andere der ärgste Blödsinn sein. Ich werde nie wem dreinreden. Aber wenn mich eine fragt, dann werde ich ihr schon einen Tipp geben. Ich habe keine Angst, dass die dann besser wird als ich. Ich bemühe mich schon, dass das im Team nicht so ein Konkurrenzding ist. Bei den Norwegern hat man doch auch immer das Gefühl: Die sind alle voll gut, es vergönnt aber auch jeder jedem alles.

Haben Sie Freundinnen unter den Kolleginnen?
Schon, klar. Solange sie aktiv sind, macht man in der Freizeit zwar nicht viel zusammen, weil man sich eh so oft sieht. Aber sobald eine aufhört, entwickeln sich da schon auch gute Freundschaften. Wenn ich so zurückdenke, ist aus jedem Kader eine gute Freundin für mich geblieben.

Das bekannteste Beispiel für eine komplizierte Ski-Freundschaft waren Lindsey Vonn und Maria Riesch.
Das ist aber auch klar. Ich verstehe mich mit der Viki Rebensburg voll gut, aber in St. Moritz wäre ich vor dem Rennen auch nicht auf einen Kaffee mit ihr gegangen. Was hätten wir da bitte reden sollen? Das ist, wie wenn zwei Männer dieselbe Frau haben wollen. Aber wenn das dann erledigt ist, ist wieder alles gut, und wir haben eine Gaudi miteinander.

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Auf Ihrer Homepage steht, dass Sie schon als zweijähriges Mädchen unbedingt auf die Piste wollten. Wie viel bleibt von dieser Leidenschaft, wenn man Skifahren zum Beruf macht?
Schwer zu sagen. Ich weiß nur, dass Skifahren die einzige Sportart ist, wo ich hängengeblieben bin. Ich gehe zum Beispiel gern Tennis spielen, aber drei- oder viermal im Jahr sind mir genug, dann mag ich nimmer. So geht es mir beim Skifahren nie. Im Training oder beim Rennen merkt man das gar nicht so, weil man so getrieben ist und so einen Druck hat. Aber wenn ich einmal eine Skitour gehe, dann fahre ich mit einem Grinsen im Gesicht den Berg runter. Beim Trainieren ist das meistens weg. Aber ab und zu gibt es auch da so Momente, wo ich mich dabei erwische, dass ich denke: "Hey, das hat jetzt Spaß gemacht!" Das ist leider selten, da ist man aber selber schuld. Weil der Ehrgeiz zu groß ist.

Beim Rennen müssen Sie nie grinsen?
Nein, aber es gibt so Rennen, da fährt man am Start weg und merkt, man trifft die ersten drei Schwünge genau so, wie man sich's vorgestellt hat. Man weiß, das ist schnell - und dann taugt's dir voll. Du kommst dann in so einen Flow rein: noch schneller, noch schneller, noch schneller -bei jedem Tor. Das kommt leider nicht so oft vor. Wenn du einmal in der Saison so einen Lauf hast, ist das schon megacool.

Hatten Sie in der letzten Saison so einen?
Ja, den zweiten Durchgang in Åre. Komischerweise bin ich da aber nur Zweite geworden.


Eva-Maria Brem

Die 1988 geborene Tirolerin aus Münster bestritt bereits mit 17 ihr erstes Weltcuprennen. Aber erst neun Jahre später, 2014, gelang ihr beim Riesentorlauf von Aspen der erste Sieg. In der vergangenen Saison siegte sie in Courchevel und Jasná - und gewann die Weltcup-Riesentorlaufwertung. Brems Freund Andreas Dudek war jahrelang Schuh-Servicemann von Marcel Hirscher.

Kommentare

Sympatisch wie immer, eben eine "Österreicherin"!!!

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