"Es darf keine Beschönigung mehr geben":
Autor Thomas Glavinic über Toni Faber

Schriftsteller in NEWS über Kirche und Missbrauch

"Es darf keine Beschönigung mehr geben":
Autor Thomas Glavinic über Toni Faber

Toni Faber ist das freundliche Gesicht der katholischen Kirche Wiens. Er gibt launige Interviews, in denen es nicht nur um die von ihm vorgenommenen Segnungen von Heurigen, Fußballplätzen und Feuerwehrstationen geht, sondern auch um ernstere Themen wie den problematischen Umgang der Kirche mit dem Zölibat, mit den wiederverheirateten Geschiedenen, mit Homosexuellen. Er redet offen über Austrittswellen, er scheut sich nicht, über eigene Verfehlungen zu sprechen, etwa das Lenken eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss, und im NEWS-Interview mit dem Atheismus-Aktivisten Niko Alm scheint er sogar neckisch intime Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht anzudeuten.

Vieles von dem, was Toni Faber in der Vergangenheit gesagt hat, macht ihn sympathisch, lässt ihn in den Augen derer, die keine Geschichten über verstörte Menschen, die von Priestern missbraucht worden sind, mehr hören wollen, als personifizierte Hoffnung auf zukünftige kirchliche Veränderungen erscheinen, als jemand, der authentisch vor uns hintreten kann, um zu verdeutlichen, dass die Kirche schon jetzt auch Gutes tut, dass sie nicht nur aus verknöcherten alten Herren im Vatikan besteht, die noch nie Sex hatten und der Welt dennoch allerhand über Sex mitzuteilen haben, dass sie viele Facetten hat und wert ist, auch von denjenigen von uns unterstützt zu werden, die Zweifel an der moralischen Redlichkeit einiger ihrer Priester hegen oder die unzufrieden sind damit, wie die Kirche mit ihren Opfern umgeht. Genau dieser zweite Punkt ist es auch, den Faber in die Diskussion bringt, wenn er in oben erwähntem Interview über den verstorbenen Wiener Kardinal Groër einen unerhörten Satz sagt: „Wenigstens hat er seine Opfer nicht vergewaltigt.“ Dieser Satz könnte als beispielhaft stehen für die – betrachten wir die Sache höflich – Gedankenlosigkeit oder – drücken wir es realistischer aus – die Schroffheit, mit der die Kirche seit eh und je denjenigen gegenübertritt, die zum Teil ihr Leben lang an den Übergriffen ihrer Priester zu leiden hatten und den Mut fanden, ihr Leid an die Öffentlichkeit zu tragen.

Ein solcher Satz relativiert die Schuld eines Menschen, der Jungen, für die er Verantwortung hatte, auf widerwärtige Weise traumatisiert hat, ein solcher Satz impliziert ein gewisses Einverständnis des Opfers, ein solcher Satz lässt den Leser die Frage stellen, ob Toni Faber glaubt, nur jemand, der von Kardinal Groër in Ketten gelegt, geknebelt und anschließend anal penetriert worden wäre, dürfe behaupten, vergewaltigt worden zu sein. Wenn Toni Faber das glaubt, muss man ihm mitteilen: Das ist ein Irrtum. Jeder Missbrauch ist eine Vergewaltigung, eine Vergewaltigung des Körpers und der Seele, eine Tat, die nie wieder gutgemacht, niemals weggewischt werden kann, etwas, das Menschen zerbrechen lässt, und jemand, der diese Tat auch nur auf leiseste, minimale Weise relativiert, verhöhnt die Opfer und macht sich mitschuldig.

Es gibt nicht „ein bisschen Missbrauch“. Es gibt kein „wenigstens hat er nicht“. Das, was die Groërs in der katholischen Kirche unzähligen jungen Menschen auf der ganzen Welt angetan haben, ist von so unendlicher Erbärmlichkeit, Grausamkeit und Verlogenheit, dass es dazu kein Beschönigen auf welcher Ebene auch immer mehr geben darf. Wenn Toni Faber den Anspruch hat, den Österreichern zu zeigen, dass die katholische Kirche für mehr steht als für systematische Verschleierung von Kindesmissbrauch, für Heuchelei und Menschenunfreundlichkeit, sollte er doch seine Sensibilität in diesem Komplex prüfen. Auch wenn wir annehmen wollen, dass er nur in einem Anflug von Gedankenlosigkeit fatal falsche Worte gefunden hat.

Thomas Glavinic

Kommentare

Viel Lesevergnügen! Auf „news4press“ ist ein Interview mit mir über den Kinderschänder Kardinal Groer:



http://www.news4press.com/Meldung_580448.html





MfG
Michael Tfirst

Seite 1 von 1