Das unannehmbare Ultimatum

Die österreichischen Bedingungen in der Julikrise konnte Serbien nicht annehmen

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Erster Weltkrieg - Das unannehmbare Ultimatum

Das Attentat hatte in ganz Europa Abscheu hervorgerufen, doch gelang es Wien nicht, diese Stimmung für sich auszunützen. Kaiser Franz Joseph und Außenminister Leopold Berchtold wollten nämlich zunächst das Untersuchungsergebnis über die Tat abwarten, deren Drahtzieher der serbische Generalstabschef Dragutin Dimitrijevic ("Apis") war. Außerdem galt es, sich der Unterstützung des deutschen Bündnispartners zu versichern. Dessen Botschafter in Wien, Heinrich Tschirschky, sagte am 30. Juni, dass Österreich-Ungarn vor allem die Haltung der gemeinsamen Verbündeten Italien und Rumänien einkalkulieren müsse.

Nach der eher hastig vollzogenen Beisetzung des Thronfolgerpaares im niederösterreichischen Artstetten reiste am 4. Juli der Chef der Kabinettskanzlei des Außenministeriums, Alexander Graf Hoyos, nach Berlin. Hoyos überbrachte ein Memorandum, in dem die Ausschaltung Serbiens als Machtfaktor auf dem Balkan als Ziel formuliert wurde. Zudem sollte Bulgarien an den Dreibund herangeführt werden, selbst wenn damit sein Rivale Rumänien als Verbündeter verloren ginge.

"Blankoscheck" aus Berlin

Der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg erklärte dem österreichischen Gesandten, dass Berlin mit seiner ganzen Macht der Donaumonarchie den Rücken decken wolle. Im gleichen Sinn äußerte sich Kaiser Wilhelm II. gegenüber Botschafter Laszlo Szögyeny. Dies war der berühmte "Blankoscheck" Berlins für Wien.

Wien befolgte aber nicht den deutschen Rat, schnell zu handeln. Kaiser Wilhelm II. betonte, dass die Monarchie mit Serbien abrechnen müsse. Generalstabschef Helmuth von Moltke äußerte die Befürchtung, dass ein weiteres Warten die militärischen Chancen der Mittelmächte verringern würde. Allerdings gab es einen "Bremsklotz" in Österreich-Ungarn. Der Regierungschef der ungarischen Reichshälfte, Tisza, befürchtete für den Kriegsfall einen rumänischen Einfall in Siebenbürgen. Außerdem unterließ es Österreich-Ungarn aus Furcht vor Kompensationsforderungen, sich mit Italien ins Einvernehmen zu setzen.

Untersuchungsergebnis brachte Ungarn auf Kriegskurs

Inzwischen war in Wien das Ergebnis der Untersuchung zum Attentat aus Sarajevo eingelangt. Darin war von einer Beteiligung serbischer Offiziere an dem Mordanschlag die Rede. Dies brachte dann auch Tisza auf Kriegskurs. Der Kriegserklärung sollte ein Ultimatum vorausgehen. Es sollte so formuliert werden, dass es für Serbien unannehmbar sein würde. Zunächst wurde festgelegt, dass das Ultimatum eine sehr kurze Antwortfrist von 48 Stunden haben sollte.

Die Festlegung des genauen Wortlautes war schwierig, da die Untersuchungen in Sarajevo keine Beweise für die offizielle Beteiligung der serbischen Regierung an dem Attentat geliefert hatten. So gab es von mehreren Seiten Einwände gegen die am 17. Juli fertiggestellte erste Fassung der Note. Dies rief die deutsche Botschaft in Wien auf den Plan, die den Verdacht hegte, Wien schwanke wieder. Berlin setzte sich neuerlich für harte, für Belgrad unannehmbare Forderungen ein. Am 19. Juli genehmigte der österreichisch-ungarische Ministerrat im Strudlhof-Palais den definitiven Text des Ultimatums, das von Kaiser Franz Joseph als sehr scharf eingestuft wurde, "besonders die Punkte 5 und 6".

Am 21. Juli nahm gegen Mittag der österreichisch-ungarische Gesandte in Belgrad, Wladimir Giesl, die versiegelte Note von einem Diplomaten persönlich in Empfang mit der Weisung, sie am 23. Juli zwischen 16 und 17 Uhr (später wurde 18 Uhr festgelegt) der serbischen Regierung zu übergeben und für den Fall eines Ausbleibens einer vorbehaltlos zustimmenden Antwort mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu drohen. In Vertretung von Ministerpräsident Nikola Pasic nahm der serbische Finanzminister Pacu die Note entgegen.

Ultimatum löste europaweiten Schock aus

Der Noteninhalt, den Wien am 24. Juli auch allen anderen interessierten Regierungen übermittelt hatte, löste allgemeinen Schock aus. In Belgien wertete man die Note als "unqualifizierbar". In London bezeichnete Außenminister Sir Edward Grey die Note als "übelstes Schriftstück, das ihm jemals in seine Hände gekommen war". Der russische Außenminister Sergej Sasonow sagte dazu: "Das bedeutet Krieg".

Italien ließ in St. Petersburg verlauten, Österreich-Ungarn habe "unannehmbare" Bedingungen an Serbien gestellt. Nur Rumänien dürfte als einziges Land Serbien die volle Annahme der Note empfohlen haben. Frankreich riet Serbien, so viele österreichische Bedingungen anzunehmen, als es die Ehre des Landes zulässt.

Pacu beriet sich umgehend mit dem russischen Geschäftsträger in Belgrad, Strandmann, über das Schriftstück. Dieser erbat in St. Petersburg Schutzzusagen Russlands für Serbien, da dieses nicht auf die Forderungen Wiens eingehen könne. Pasic kam am 24. Juli nach Belgrad zurück, berief den Ministerrat ein und ließ verlauten, die Antwort termingerecht zu übergeben "unter Bezeichnung der annehmbaren und unannehmbaren Punkte". Sollte ein Krieg unvermeidlich sein, würde man kämpfen. Er bat alle Mächte, die Unabhängigkeit Serbiens zu schützen.

Serbien begann mit Kriegsvorbereitungen

Zugleich bereitete sich die Regierung auf einen Krieg vor. So wurden alle Eisenbahnen des Landes unter Militärverwaltung gestellt und die Brücke über die Save zwischen Belgrad und Semlin (heute Zemun) zu unterminieren. Die Belgrader Garnison erhielt Bereitschaftsbefehl, beurlaubte Offiziere wurden zurückbeordert. Im Ausland wurden diese Maßnahmen vereinzelt als Mobilisierung missgedeutet. Die serbische Öffentlichkeit erfuhr am Vormittag des 24. Juli vom Wiener Ultimatum. Die zuerst gezeigte Bestürzung wich der Kampfbereitschaft. Nationalistisch gesinnte Offiziere planten schon einen Putsch, sollte die Regierung den Forderungen nachgeben.

Am Nachmittag des 25. Juli trafen aufmunternde Nachrichten aus St. Petersburg in Belgrad ein: Serbien solle hart bleiben, Russland stehe hinter ihm. Die Außenminister der Entente-Regierungen zeigten sich besorgt über die Spannungen Wien-Belgrad, sie empfahlen eine weitgehende Nachgiebigkeit Belgrads, nicht aber die Annahme solcher Forderungen, die eine Preisgabe der Souveränität Serbiens bedeuten würden.

Serbien nahm Bedingungen nur teilweise an

Aufgrund der Nachrichten aus St. Petersburg wurde in Belgrad beschlossen, sich auf militärischen Widerstand vorzubereiten. Um 15 Uhr gab Regent Alexander den Mobilisierungsbefehl aus, die Regierung beschloss die Verlegung ihres Sitzes nach Nis südöstlich der Hauptstadt. Fünf Minuten vor Ablauf der auf 18 Uhr festgesetzten Frist überbrachte Ministerpräsident Pasic persönlich die in französischer Sprache abgefasste Antwort auf die ultimativen Forderungen in die Gesandtschaft. Auf die Frage nach dem Inhalt antwortete Pasic dem österreichischen Gesandten Giesl: "Einen Teil Ihrer Forderungen haben wir angenommen. Für den Rest hoffen wir auf die Loyalität und Ritterlichkeit des österreichischen Generals."

Knackpunkt waren die Punkte 5 und 6 des Ultimatums, in denen Wien die Mitwirkung von k. u k. Organen an den Untersuchungen zum Attentat forderte. Belgrad sprach diesbezüglich von einer "Verletzung der Verfassung und der serbischen Strafgesetze".

Abbruch der diplomatischen Beziehungen

Giesl fand die Antwortnote unbefriedigend und erklärte die diplomatischen Beziehungen zwischen Wien und Belgrad für abgebrochen. Er und das Gesandtschaftspersonal fuhren mit dem planmäßigen Zug um 18.30 Uhr von Belgrad ab. Noch in der gleichen Nacht erfolgten die Verlegung des Regierungssitzes und der in Belgrad akkreditierten Diplomaten nach Nis. Die Armee bereitete sich auf bewaffneten Widerstand vor, wobei man ein zeitgleiches Eingreifen Russlands erhoffte.

Giesl traf in Budapest kurz mit Ministerpräsident Tisza zusammen und fuhr dann nach Wien weiter, wo am 26. Juli dem Außenminister und am 27. Juli in Bad Ischl dem Kaiser Bericht erstattet wurde. Am selben Tag erbat Berchtold vom Kaiser die Unterzeichnung der Kriegserklärung an Serbien, die mit Wirkung vom 28. Juli in Kraft trat.

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