Retro-Romantik

Jubiläumsausgabe des Erfolgsmusicals bietet immer noch ziemlich guten "Kitsch"

"Kitsch" - das gehört ohne Zweifel zu den Stärken des Wiener Welterfolgsmusicals "Elisabeth". In der gleichnamigen Nummer, flott und frech gesungen von Luigi Lucheni, beißen sich Operettenseligkeit und Monarchiegetue ironisch selbst in den Hintern. Da entstand, was man 1992 und lange danach für das Erfolgsrezept heimischer Musicalkunst hielt: Eingängige Popmusik und Reifröcke, ausgiebiger Synthesizer-Einsatz vor historischen Kulissen und einer guten Adelsstory mit Lokalkolorit. Zumindest bei "Elisabeth" hat es gestimmt: Seither wurde das Stück von 8,5 Millionen Menschen gesehen. Zum 20-jährigen Jubiläum ist das kräftigste Ross aus dem Stall der Vereinigten Bühnen (VBW) gestern, Mittwoch, ins Raimund Theater heimgekehrt. Und auch unter dem Jubel zahlreich erschienener heimischer Prominenz war zu merken: Die Kaiserin ist in Würde gealtert.

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Musical "Elisabeth" - Retro-Romantik

Michael Kunze (Buch) und Sylvester Levay (Musik), Harry Kupfer (Regie) und Hans Schavernoch (Bühne) - das ursprüngliche Leading Team war wieder am Werk, und unter den Zuschauern sogar Pia Douwes, Uwe Kröger und Viktor Gernot als Stars der "Urfassung". Die neue Generation auf der Bühne holte sich die Publikumsgunst im Sturm: Annemieke Van Dam als blühende, sensible Elisabeth, mit einer klaren, stets zerbrechlichen Balladenstimme, die nur in den Höhen etwas schwächelt, Kurosch Abbasi als mörderischer Spitzbube Lucheni und Mark Seibert, der als schmachtender Tod mit gepolsterten Lederschultern ein wenig Westernflair an den Hof brachte, sind aus der deutschen Tournee-Fassung bereits erprobte "Elisabethianer".

Mit ihnen verändert sich, trotz fast ausschließlich altbewährter Zutaten, der Charakter des Musicals: Weniger getragenes Pathos, insgesamt mehr Tempo und Wendigkeit. Auch ihre jungen Stimmen haben den Sound einer anderen, neueren Zeit. Ihre Phrasierungen sind an R'n'B und Elektropop geschult - aber der Synthesizer in Nummern wie "Der letzte Tanz" oder "Die Schatten werden länger" klingt auch nach 20 Jahren noch nach Miami Vice. Und so schwankt der Abend musikalisch zwischen der Retro-Romantik der großen Balladen - von "Ich gehör nur mir" über die "Boote in der Nacht" zur Rudolf-Hymne "Wenn ich dein Spiegel wär" - und der milden Irritation durch inkonsequenten Frühneunziger-Groove. Sehr gute Stimmen und starke Bühnenpräsenz trugen Franz Josef-Darsteller Franziskus Hartenstein und Rudolf-Mime Anton Zetterholm bei.

20 Jahre Wien-Werbung hat "Elisabeth" nach ihrer Reise durch Europa und Japan hinter sich: Die Kulissen bestehen aus gewaltigen Fotoprojektionen, drehendes Riesenrad und schimmernde Meeresoberfläche inklusive. Ein roter Pfeil markiert ein Fenster auf Schloss-Schönbrunn, ein Totenschädel ziert die goldene Kutsche. Vor allem in der zweiten Hälfte stimmen die Effekte: Die große Feile neigt und senkt sich, in Frau Wolfs Salon drehen sich die Callgirls im Karussell, während die Altmonarchisten mit Hutschpferdchen und die aufstrebenden Nazis mit militärischen blonden Zöpfen auftreten. Die Kaffeehaustische, an denen "gerne die Apokalypse" erwartet wird, rotieren wie im Autodrom und bei jeder Gelegenheit bitten die Todesengel zum Zombie-Tanz.

Jenseits von Gala-Fieber und 20 Jahre Erfolgsstory: "Elisabeth" ist nicht ohne Schwächen, was Stringenz, Geschichtstreue und die musikalische Ausschöpfung von Orchesterpotenzial betrifft - aber die starken Momente sind die gleichen geblieben. Wo perfektes Melodrama von fiesem Witz gekitzelt wird, wo sich aus historischen Fabeln eine packende Story über Todessehnsucht und den Untergang eines Weltreichs entfesselt und wo Tanz, Sound, Video, große Roben und größere Frisuren, richtig guter "Kitsch" und ziemlich attraktive Bühnenstars jene frenetisch geliebte Mischung herstellen, die Musical im besten (und seltenen) Sinne aus- und zum Kassenschlager macht. Die Kaiserin ist heimgekehrt - und hält ab sofort allabendliche Audienz.

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