"Wer im Leben etwas erreichen will, vergleicht sich mit den Stärkeren"

Ihr Debüt in Richard Wagners "Parsifal" an der Wiener Staatsoper musste Elīna Garanča in Pandemiezeiten ohne Publikum absolvieren. Jetzt kehrt sie zurück. Zuvor betört sie mit ihrem jüngsten Album "When Night falls". Wie wichtig es ist, in diesen bedrohlichen Zeiten die Kultur ihrer Heimat Lettland zu vermitteln, erklärt sie in News.

von "Wer im Leben etwas erreichen will, vergleicht sich mit den Stärkeren" © Bild: © Sarah Katharina Photography

Unvergleichlich, betörend schön erschallt der Ruf "Parsifal weile", aufwühlend sinnlich und sanft lockt diese Frauenstimme mit einem zarten "Fal parsi". Diese Stimme gehört der in ihrem Fach heute konkurrenzlosen Mezzosopranistin Elīna Garanča. Im April 2021 gab die vor 47 Jahren in Riga, Lettland, Geborene ihr Debüt in Wagners "Parsifal" an der Staatsoper. Doch sie konnte die Rolle nur einmal singen, und das ohne Publikum, eine kleine Schar Musikkritiker ausgenommen. Die Berichterstatterin war eine der Privilegierten. Denn ein Virus hatte die Welt in seinen Bann geschlagen, die Kultur war zum Verstummen gebracht. Nur an der Wiener Staatsoper trotzte man dem Ungemach, brachte seine Neuproduktionen zur Premiere, so wie die spektakuläre "Parsifal"-Inszenierung des Russen Kirill Serebrennikow. Der führte per Zoom Regie, doch nicht das Virus, sondern sein Präsident Putin hatte ihn in Haft genommen.

Serebrennikow hat längst Gefängnis und Land verlassen, das Virus ist entschwunden und Elīna Garanča kehrt zur aktuellen "Parsifal"-Spielserie (28.3., 1. und 3.4.) an die Staatsoper zurück. Zuvor veröffentlichte sie das Album "When Night Falls " mit Wiegenliedern von Johannes Brahms Richard Strauss, Franz Schubert und aus Spanien und Lettland. Wie wichtig es heute sei, die eigene Kultur hervorzuheben, erklärt sie im folgenden Gespräch.

ZUR PERSON

Elīna Garanča
wurde am 16. September 1976 in Riga, Lettland, geboren. Sie war einige Jahre Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen, Annio in Mozarts "Clemenza di Tito", verschaffte ihr 2003 den Durchbruch. 2013 wurde sie Kammersängerin der Staatsoper. Heute ist sie in ihrem Fach konkurrenzlos. Elīna Garanča ist mit dem Dirigenten Karel Mark Chichon verheiratet. Das Paar hat zwei Töchter.

Die CD
Betörend schön, Wiegenlieder von Strauss und Brahms neben, spanischen und lettischen Liedern - Elīna Garanča "When Night Falls ..." *, DG

© Deutsche Grammophon

Frau Garanča, ihr Debüt als Kundry in Wagners "Parsifal" fand während der Pandemie ohne Publikum per Livestream statt. Was empfinden Sie jetzt, wenn Sie in dieser fordernden Rolle an die Wiener Staatsoper zurückkehren?
Ich bin schon gespannt, welche Energie vom Publikum zu spüren sein wird. Ich mag diese Inszenierung sehr. Sie ist sehr gewagt, und das war für mich bei meinem Debüt sehr gut, denn diese Kundry konnte man nicht mit anderen vergleichen. Das gab mir die Freiheit, diese Figur so zu gestalten, wie ich sie spüre.

Kirill Serebrennikow verlegt die Gralsburg in ein Gefängnis. Kundry ist eine Reporterin. Der Regisseur, der von Putin verfolgt und eingesperrt wurde, erzählt in dieser Arbeit auch von seinem Schicksal. Sehen Sie das auch so?
Die Männerwelt bei "Parsifal" ist wie bei Wagners "Meistersingern" ziemlich patriarchalisch. Kundry ist eine Frau, die in diese Männerwelt geraten ist. Kirills gesellschaftliche Auseinandersetzung finde ich sehr spannend. Aber ich bin im Grunde weder gegen klassische noch gegen moderne Inszenierungen.

Kommen wir zum nächsten, höchst Erfreulichen, ihrem jüngsten Album mit dem Titel "When Night Falls ". Hat Sie zu dieser Sammlung von Liedern zum Einschlafen persönliche Erfahrung inspiriert?
Ich bin tatsächlich eine sehr schlechte Schläferin. Ich bewundere Leute, wie meinen Mann und meinen Vater, die überall sofort einschlafen können. Wenn ich einmal nach einer Party etwa um halb Vier zu Bett gehe, kann ich nicht bis in den späten Vormittag durchschlafen. Auch der Wechsel der Zeitzonen, wenn ich in Japan, Mexiko oder sonstwo auftrete, macht es für mich schwierig, regelmäßig acht Stunden zu schlafen. Aber daran gewöhnt man sich als Sängerin. Als Mutter komme ich ohnedies mit vier, höchstens fünf Stunden Schlaf aus, aber die Stimme verlangt nach vier Stunden mehr. Man nennt doch nicht zufällig manche Menschen "Eulen" und manche "Lerchen". Meine Mutter war ein "Eule", meine kleine Tochter und ich, wir sind "Lerchen". Ich beobachte gern, wie die Natur erwacht.

Macht das Ihren Beruf nicht noch härter?
Wenn eine Vorstellung, wie etwa die "Carmen" in Verona, erst um 21 Uhr beginnt und ich dann nach Mitternacht die Kartenarie singen muss, ist das schon etwas mühsam, aber man stellt sich darauf ein. Ich habe kein Problem, nach einer Vorstellung einzuschlafen.

Was raten Sie jenen, die nicht einschlafen können?
Es wurden schon sehr viele Techniken überprüft. Ich habe gemerkt, man muss einfach abschalten. Denn Schlaf ist eine Notwendigkeit für die Stimme und überhaupt für die mentale Gesundheit. Warum sind denn junge Mütter oft so gereizt? Weil sie nicht schlafen können, wenn das Kind schreit.

Sie haben auch einige lettische Lieder eingespielt. Ist es wichtig geworden, die eigene Kultur hervorzuheben, seit Russland den Krieg in der Ukraine begonnen hat und immer mehr zur Bedrohung wird?
Durch die politischen Geschehnisse vor zwei Jahren ist das ein Verlangen, unsere Kultur der Welt näherzubringen, stärker geworden, um Bewusstsein für kleinere baltische Länder wie Lettland und Litauen zu schaffen. Viele wissen nicht einmal, ob Riga die Hauptstadt von Lettland oder Litauen ist und dass Lettland viel näher bei Europa und bei Deutschland ist als es bei der Sowjetunion war. Riga ist eine Hansestadt, es gab enge Verbindungen zu Deutschland. Auch in der Musik gibt es eine Nähe zu Europa. Brahms war bei uns in Lettland zu Hause. Diese starken Einflüsse aus Deutschland sind nicht bekannt. Mein Pianist an der Scala sagte mir bei meinem Liederabend, dass er zuvor nie lettische Lieder gespielt hatte. Wenn man sieht, wie viele Künstler aus dem kleinen Lettland in der Welt unterwegs sind, ist das kein Zufall und kein Wunder, das ist unsere Tradition.

Viele fürchten, dass sich der Krieg in der Ukraine auch auf die baltischen Staaten ausweitet. Werden Sie Ihre Familie aus Lettland zu sich nach Wien oder nach Spanien holen, wenn die Situation eskaliert?
Mein Vater ist 76 und einen alten Baum verpflanzt man nicht mehr. Er hat alles schon gesehen, er war in der Armee, als uns Russland überfallen hat. Er weiß, wie es ist, wenn man okkupiert wird. Wenn mein Bruder seinen Kindern eine andere Zukunft anbieten will, werden wir sehen. Es ist schwierig. Wenn man die Lage von außen beobachtet, empfindet man sie natürlich anders als wenn man drinnen ist. Sehr viele Männer können derzeit aus der Ukraine nicht ausreisen. Wer weiß, was dann mit meinem Bruder und der Familie wird. Hoffentlich kommt es nicht dazu.

Aus der Ukraine werden so viele Kinder und Jugendliche nach Russland entführt ...
Schrecklich, für meine Kinder ist es schon schlimm, wenn ich ein paar Tage verreise.

Hatten Sie nicht vor, für Ihre Töchter in Wien eine Schule zu finden?
Da hat sich logistisch einiges bei uns verändert. Mein Mann ist Chefdirigent in Gran Canaria und nur zwei Flugstunden von uns in Málaga entfernt. Während ich in Wien bin, ist die Oma bei ihnen, denn sie lebt ganz in der Nähe, in Gibraltar. Unsere Wohnung in Wien behalten wir für unsere Töchter, wenn die beiden in Wien studieren wollen. Eine will Popsängerin werden, die andere Schauspielerin. Ich werde vielleicht eine Akademie aufbauen. Was Kultur anlangt, ist Wien doch unerschöpflich reich.

»Alles Russische auszuklammern, finde ich schade. Was können Tschaikowsky oder Strawinsky für die Situation heute?«

Angeblich wurden gegen die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv Shitstorms entladen, weil sie nach Kriegsbeginn russische Musik aufgeführt hat. Jetzt wollte sie nicht im selben Programm bei den Wiener Festwochen auftreten wie ihr Kollege Teodor Currentzis und sein russisches Orchester. Er wurde ausgeladen. Ist das richtig?
Ich habe mit beiden noch nicht gearbeitet. Aber alles Russische auszuklammern, finde ich schade. Was können Tschaikowsky, Strawinsky oder wer auch immer für die Situation heute? Aber der Mensch ist so, einen Mittelweg zu finden, ist schwer. Alle wissen immer alles besser, bis sie selbst mit diesen Problemen konfrontiert sind. Aber, um es noch einmal zu betonen, wir, die kleinen baltischen Länder, Lettland, Litauen und Estland, wir sind von dem geprägt, was wir erlebt haben. Wir wurden in den letzten Hundert Jahren zweimal von den Russen überfallen. Unsere Kultur wurde von ihnen ausgelöscht. Wir durften keine Volkslieder singen, die Teil unserer Identität sind. Niemand kann gleichgültig demgegenüber sein, was heute passiert. Aber auch hier ist es so, wer nicht Russisch kann, bekommt viel weniger mit als wir.

Mehr als einen Liederabend findet man diesen Sommer nicht bei den Salzburger Festspielen. Gibt es Gespräche für eine Neuproduktion?
Das Repertoire in Salzburg sieht derzeit nichts Großes für Mezzosopran vor. Durch meine Sommerkonzerte wie "Klassik unter Sternen", mein Projekt "Stimmen der Zukunft" und meine Familie wäre ein Sommer in Salzburg ohnedies schwierig zu organisieren. Aber wenn eine wirklich interessante Partie kommt, warum nicht? In Salzburg hat meine internationale Karriere bei Mozarts "Titus" 2003 begonnen.

Ihr Projekt "Stimmen der Zukunft" ...
... bietet jungen Leuten eine schöne Plattform, den Betrieb kennenzulernen. Sie bekommen einen Vorgeschmack auf ein Sängerleben. Ich möchte in junge Menschen investieren, fürs Unterrichten fehlt mir die Zeit. Aber ich möchte sie auf dem Weg zwischen Akademie und erstem Engagement begleiten. Da geht es etwa um Fragen, wie findet man einen Agenten, was erwartet einen beim Vorsingen. Ich biete keine Bibel, aber ich habe Erfahrung. Viele glauben heute, wenn sie ein YouTube-Video aufnehmen, werden Sie an die Metropolitan Opera eingeladen, andere trauen sich nicht zu, auf einer großen Bühne zu singen.

© Michael Poehn "PARSIFAL" AN DER STAATSOPER. Elīna Garanča als Kundry mit dem jungen Parsifal (Nikolay Sidorenko). Kirill Serebrennikow verlegt die Gralsburg in ein Gefängnis, Klingsors Schloss in eine Redaktion

Stimmt es noch, dass gut aussehende Menschen bei Engagements in der Oper bevorzugt werden oder spielt das heute, wo für alle gleiche Chancen gefordert werden, keine Rolle mehr?
Das ist schwer zu sagen. Man kennt solche Geschichten vom Vorsingen. Da kommt es auf Flexibilität an. Mit 25 hat man sein Kernrepertoire noch nicht gefunden. Die Gesellschaft will alle gleich wahrnehmen, aber wir wollen wahre Emotionen. Eine sterbende Traviata, die gesund und stark aussieht, ist unglaubwürdig. Aber ich kenne keine Sängerin, die als 15-Jährige vor dem Spiegel, steht und sagt, ich bin hübsch und will Sängerin werden. Es gibt auch Fälle, wo man jemandem gesagt hat, nimm ab, dann wirst du engagiert und das geschah dann auch so. Das ist nicht fair, aber was ist denn schon fair im Leben. Grundsätzlich ist Übergewicht ungesund für das Herz und die Gelenke, und warum soll man sich mit etwas Disziplin nicht selbst helfen. Ich esse nach der Vorstellung auch nicht Hamburger und Pommes Frites. Aber in der Opernwelt gibt es heute doch weniger übergewichtige Sänger als früher, in Amerika ist das vielleicht anders. Aber im Grunde bleibt die Stimme das Entscheidende. In der heutigen Gesellschaft heißt es immer, wir müssen alles erlauben. Ich finde Disziplin wichtig. Ich sage meinen Kindern auch immer, wenn man einen Marathon läuft, gibt es nicht nur Gewinner. Meine Kinder bekommen von mir auch genug Kritik, damit sie besser auf sich hören. Ich sage ihnen, wer im Leben etwas erreichen will, vergleicht sich nicht mit den Schwächeren, sondern mit den Stärkeren.

Im Mai steht ihr nächstes Rollendebüt bevor, die Judit in "Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók in Neapel. Wie geht es ihnen dabei?
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Ich beschäftige mich seit einem Jahr damit. Musikalisch ist diese Rolle kein Problem, ich könnte das sofort vom Blatt singen, aber bei dieser ungarischen Sprache helfen mir jene Systeme nicht, die ich sonst anwende, wenn ich einen Text in einer Fremdsprache auswendig lerne. Ich war schon mehrmals am Limit aufzugeben. Dass diese Judit so langsam zu mir kommt, hätte ich nicht erwartet. Aber dann hat mich mein Ehrgreiz gepackt. Jetzt jetzt werde ich beweisen, dass ich es kann.

Was planen Sie für die Wiener Staatsoper?
Wir suchen nach einem Repertoire. Wenn man zurückblickt, was ich schon alles gesungen habe, von jugendlich bis dramatisch, ist man ziemlich an der Grenze.

Sie sagten mir einmal, dass Sie die Ortrud in Wagners "Lohengrin" interessiert. Gibt es schon konkrete Pläne dafür?
Viele warnen mich davor. Sie meinen, ich würde mich kaputtsingen. Aber ich werde ihnen beweisen, dass sie sich irren. Das ist wie bei Santuzza (Betrogene Geliebte aus "Cavalleria rusticana" von Pietro Mascagni). Ich habe noch eine gewisse Jugendlichkeit in der Stimme. Die Ebolis, die Santuzzas bin ich noch nicht müde, aber die Azucena (Zigeunerin in Verdis "Troubadour", Anm.,) würde mich reizen.

Was ist mit der Carmen, die haben sie doch auch noch nicht ad acta gelegt?
Noch nicht, aber ich singe sie seit 2007 und kann mich in der Rolle schon bald nicht mehr sehen. Wenn ich nicht mehr mit hundertprozentiger Überzeugung auf die Bühne gehe, oder das Gefühl habe, mich selber zu belügen, gehe ich nicht mehr auf die Bühne, denn dann belüge ich auch den Zuschauer.

Wer weiß, wie lange es "Carmen" noch in der Oper gibt. Markus Hinterhäuser meinte einmal, irgendwann werde man Bizets Oper nicht mehr spielen können, weil man das Wort "Zigeuner" nicht mehr sagen darf. Auch die Azucena könnte da schwierig werden. Ich habe schon Übertitel gesehen, wo das Z-Wort ersetzt worden ist.
Wir sind heute alle sehr genderfluid und tolerant. Aber wie soll man jemanden beschreiben, der diesem Begriff entspricht? Ich würde mir schon wünschen, dass sich die Menschen auf das Wesentliche konzentrieren. Wenn man ein Haus von der Decke nach unten zu bauen beginnt, ist das für die Zukunft der Gesellschaft fraglich.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 12/2024 erschienen.

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