Die Eckpunkte der Bildungsreform

Verwaltung, Autonomie, Gesamtschule: Worauf sich die Verhandler geeinigt haben

von Lehrer schreibt auf die Tafel © Bild: istockphoto.com

Verwaltung

Wer in Österreich „Reform“ sagt, muss auch an irgendeiner Stelle „Verwaltung“ sagen. In diesem Fall hat das zur Folge, dass die bisherigen Landesschulräte sowie die Schulabteilungen der Landesregierungen per August 2016 durch sogenannte Bildungsdirektionen ersetzt werden sollen. Die werden als gemeinsame Bund-Länder-Behörden eingerichtet und von einem Bildungsdirektor im Bundesdienst geleitet, der auf Vorschlag des jeweiligen Landeshauptmanns auf fünf Jahre befristet bestellt wird.

Die Bildungsdirektionen werden sowohl Bundes- als auch Landeslehrer, das Bundesverwaltungspersonal sowie die Schulaufsicht verwalten. Die bisherigen amtsführenden Präsidenten, Vizepräsidenten und Kollegien der Landesschulräte werden abgeschafft, was Einsparungen von sechs Millionen Euro bringen soll.

Bildungskompass

Für alle Kinder ab 3,5 Jahren wird ein „individueller Bildungskompass“ mit verpflichtenden Sprach- und Entwicklungsscreenings erstellt. Dadurch soll frühzeitig erkannt werden, welches Kind in welchem Bereich Förderung braucht; aber auch, wo seine Talente liegen. In weiterer Folge soll durch den Kompass auch der Umstieg vom Kindergarten in die Volksschule „sanfter und harmonischer“ gelingen, weil Fähigkeiten wie Defizite der Kinder in der neuen Schule von Anfang an bekannt sein sollen. Der Jedes Kind soll von seinem Bildungskompass bis zum letzten Schultag begleitet werden, damit nichts verloren geht.

Kindergarten

Die Kleinsten sollen künftig durch das zweite verpflichtende Kindergartenjahr gefördert werden. Das gilt jedoch nicht für alle: Für Kinder ohne Förderbedarf - Stichwort Bildungskompass – bzw. deren Eltern wird eine Opt-Out-Möglichkeit eingebaut.

Kinder im Kindergarten
© istockphoto.com

Die Ausbildung der Kindergärtner wird auch künftig nicht an die Universitäten verlagert. Wohl soll aber eine „Qualitätsoffensive“ mit einem Fokus auf Sprach- sowie Talente- und Begabtenförderung kommen. Kindergarten-Helfer erhalten außerdem eine einheitliche Mindestausbildung, die Leitungen eine ebenfalls bundeseinheitliche pädagogische Zusatzausbildung. Durch ein „modernisiertes Anforderungsprofil“ sollen auch mehr Männer an die Bundesanstalten für Kindergartenpädagogik gelockt werden.

Kein Sitzenbleiben in ersten drei Schulstufen

Bis zur dritten Klasse Volksschule sind Schüler "jedenfalls berechtigt, in die nächsthöhere Schulstufe" aufzusteigen. Das sieht ein am Mittwochabend versendeter Begutachtungsentwurf vor, der erste Teil der geplanten Bildungsreform. Über die Form der Leistungsbeurteilung in den ersten drei Klassen sollen demnach künftig Lehrer und Eltern im Schulforum entscheiden.

Für die Entscheidung über die Leistungsbeurteilung hat das Schulforum die ersten neun Wochen des Schuljahres Zeit. Dabei kann es auch für einzelne Klassen unterschiedliche Regelungen festlegen - also etwa Ziffernnoten in der A-Klasse und alternative Beurteilung in der B-Klasse. Trifft das Schulforum in der vorgesehenen Zeit keine Entscheidung, ist der jeweilige Direktor am Zug. Wird auf die Ziffernnoten verzichtet, wird im Gesetzesentwurf detailliert geregelt, wie eine "Leistungsinformation" auszusehen hat. Diese hat jeweils am Ende des Semesters zu erfolgen, außerdem soll diesen ein "Bewertungsgespräch" zwischen Eltern, Lehrer und Kind vorausgehen.

Aufgrund der unterschiedlichen möglichen Bewertungssysteme (Ziffernnoten bzw. "Leistungsinformation") wird die Frage des Sitzenbleibens einheitlich geregelt: Demnach gibt es kein klassisches Sitzenbleiben mehr in den ersten drei Volksschulklassen. Dafür wird die derzeit in den ersten beiden Klassen bestehende Möglichkeit eines "unterjährigen" Wechsels der Schulstufe auf die 3. Klasse ausgeweitet. Kinder mit Leistungsschwächen oder Leistungsabfall sollen demnach während des Schuljahrs in die nächstniedrige Schulstufe wechseln können - darüber hat die Schulkonferenz zu entscheiden. Umgekehrt ist auch ein Wechsel in die nächsthöhere Stufe möglich.

Neue "Sprachstartgruppen"

Neuerungen soll es auch bei der Sprachförderung geben: Wer wegen mangelnder Deutschkenntnisse als außerordentlicher Schüler an Pflichtschulen bzw. mittleren und höheren Schulen aufgenommen wird, kann künftig für höchstens zwei Jahre neben Sprachförderkursen auch in "Sprachstartgruppen" gefördert werden. Über die Einrichtung dieser Gruppen bzw. Kurse entscheidet die jeweilige Behörde.


In "Sprachstartgruppen" soll vor dem Eintritt in den Regelunterricht im Ausmaß von elf Wochenstunden anstelle der Pflichtgegenstände Deutsch unterrichtet werden. Das soll in geblockter Form sowie schulstufen-, schul- oder schulartübergreifend möglich sein. Stattdessen oder darauf aufbauend gibt es weiterhin "Sprachförderkurse", die ebenfalls im Ausmaß von elf Wochenstunden integrativ im Unterricht von Pflichtgegenständen angeboten werden.

Gesamtschule

Die Bundesländer können künftig Modellregionen für die Gesamtschule der Sechs- bis 14-Jährigen einrichten, solange diese "klaren Kriterien genügen, wissenschaftlich begleitet und anschließend evaluiert werden". Die Gesamtzahl der Standorte in den Modellregionen darf jedoch in keinem Bundesland 15 Prozent aller Standorte der jeweiligen Schulart (Volksschule, Sonderschule, NMS, AHS) sowie 15 Prozent aller Schüler der jeweiligen Schulart überschreiten – was den Plänen Wiens und Vorarlbergs, das jeweils ganze Bundesland zur Modellregion zu erklären, einen eindeutigen Riegel vorschiebt.

Bis die Modellregionen eingerichtet werden, dürfte noch etwas Zeit vergehen. Denn dafür müssen sich Schulen zu einer solchen zusammenschließen und ein gemeinsames pädagogisches Konzept erstellen. Bildungsministerin Heinisch-Hosek rechnet damit, dass es "zwei bis vier Jahre dauern könnte", bis die Verbündeten startklar sein werden. Staatssekretär Harald Mahrer träumt jedenfalls bereits von einem „Wettbewerb der Ideen“.

Die Eltern müssen dafür nicht um Erlaubnis gefragt werden. Bisher mussten zwei Drittel der Eltern der Umwandlung eines Schulstandortes zustimmen, diese Hürde fällt mit der Reform weg. Im Umkehrschluss heißt das, dass Eltern, die in einer der Modellregionen leben und ihre Kinder nicht in eine gemeinsame Schule schicken wollen, "ausweichen müssen", wie Heinisch-Hosek festhielt. Natürlich soll aber versucht werden, Lehrer und Eltern „an Bord zu holen“. Mehr Geld vom Bund gibt es für die Modellregionen übrigens nicht.

Autonomie

Die Schulen können künftig pädagogisch, finanziell und personell deutlich eigenständiger handeln als jemals zuvor. So erhalten etwa die Lehrer mehr Freiheiten erhalten und können je nach Schultyp zwischen fünf Prozent (Volksschule) und 33 Prozent (Gymnasium) vom Lehrplan abweichen. Auch die Öffnungs- und Unterrichtszeiten können die Schulen in Zukunft in Abstimmung mit den Schulpartnern eigenständig festlegen.

Deutlich aufgewertet wird die Rolle der – dafür nur mehr auf fünf Jahre befristet bestellten – Direktoren, die künftig als „Schulmanager“ fungieren sollen. Sie erhalten Personalhoheit, können also aus einem Pool von Junglehrern bzw. Pädagogen mit befristeten Verträgen selbst wählen, welche neuen Lehrer an ihrer Schule eingestellt bzw. welche Verträge nicht weiter verlängert werden. Gleichzeitig erhalten sie ein Vetorecht, wenn ihnen ein Lehrer von der Behörde zugeteilt wird. Darüber hinaus können die Direktoren je nach Bedarf entscheiden, ob sie an ihrem Standort statt Lehrern lieber Psychologen, Sozialarbeiter, IT-Experten oder "Talente-Spezialisten" engagieren wollen. Außerdem dürfen sie das Globalbudget der Schule selbst verwalten.

Die Bildungsdirektionen sollen die in ihrer Eigenständigkeit deutlich gestärkten Schulen als "Serviceagenturen" beim Schritt in die Autonomie unterstützen, erklärte Staatssekretär Mahrer. Seitens des Bundes, dem die Organisation und Ausführung der Qualitätssicherung obliegen soll, gelte es dann "regelmäßig nachzuschauen", ob die Schulen auch die zentral vorgegebenen Ziele erfüllen, erklärte Heinisch-Hosek. Geplant ist etwa, dass jede Schule einmal jährlich einen "Qualitätsbericht" erstellt. Alle drei Jahre soll ein "nationaler Schulqualitätsbericht" an den Nationalrat ergehen.

Digitalisierung

Zu guter Letzt soll jede Schule bis 2020 mit High-Speed-Internet und WLAN ausgestattet werden. Analog zur Nationalstiftung für Forschung wird außerdem ab 2017 eine "Bildungsstiftung" eingerichtet, die vom Bund jährlich mit einem Fixbetrag ausgestattet wird und durch private spendenbegünstigte Zuwendungen noch höher dotiert werden kann. Unterstützt werden sollen daraus "innovative Digitalisierungsprojekte bzw. pädagogische Konzepte".

Kommentare