Protokolle des Grauens

17-Jähriger soll besten Freund getötet haben - NEWS liegt das Psycho-Gutachten vor

von Drama von Braunau - Protokolle des Grauens © Bild: NEWS/Marcus Deak

Und spricht weiterhin bloß von seinem „einzigen Wunsch, endlich sterben zu dürfen.“ Weil sein Leben ohne Sebastian, „der mein einziger, wichtigster Vertrauter gewesen ist“, sinnlos geworden; weil für ihn der Gedanke, „vielleicht tatsächlich etwas Fürchterliches gemacht, meinem besten Freund solch grauenhafte Dinge angetan zu haben“, nicht zu ertragen wäre. Das „Drama von Braunau”: unverständlich, unfassbar.

„Zwei beste Freunde“.
Sebastian D. und Ivan D.: Als unzertrennlich hatten die zwei Gymnasiasten gegolten. Gemeinsam Urlaube unternommen; bei Klassenfahrten darauf bestanden, im Flugzeug, im Bus nebeneinander zu sitzen.

Ivan D.: Nach außen hin – „schwach“. Introvertiert. Traurig. Seelische Probleme. Depressionen, Suizidgedanken. Oftmalige Aufnahmen in psychiatrischen Kliniken; umfassende therapeutische Maßnahmen. Behandlungen mit Medikamenten. Wochenlange Krankschreibungen. Einsamkeit. Ivan: Ein Bursch, der es hasste, auf Partys zu gehen; der es nie schaffte, sich einer Clique anzuschließen. Nur einmal, 2009, kurz, eine „unschuldige Liaison“; mit einer jungen Patientin, die er bei einem Spitalsaufenthalt kennen gelernt hatte.

Sebastian D.: „Stark“. Beliebt; ein „Mädchenschwarm“. Lustig, lebensfroh, warmherzig. Hoch intelligent. Tiefgründig. Bereit, sich der Sorgen anderer anzunehmen. Verständnis aufzubringen, für so vieles; und zu helfen. Und ja, Sebastian ist auch (wieder einmal) da gewesen, für Ivan, als dieser ihn am Abend des 20. November, um 18.34 Uhr, per Handy kontaktierte, und ihn ersuchte, sofort zu ihm zu kommen.

Eine „Wahnsinnstat“.
Welchen Grund der Bursch für dieses überraschende, dringliche Treffen nannte, blieb bis heute ungeklärt. Fest steht lediglich: Der 16-Jährige war zum Zeitpunkt des Anrufs (nach einem Besuch bei seinem älteren Bruder) mit dem Fahrrad am Weg nachhause, wurde von seinem Vater und der Stiefmutter zum Abendessen erwartet; aber er änderte kurzerhand seine Pläne, als ihn der Freund um eine Visite bat. Fuhr in der Folge zu ihm. Zu dieser Wohnung am Stadtrand von Braunau am Inn.

Ivan, alleine daheim. Die Großmutter, mit der er hier gemeinsam unter einem Dach lebte, hatte er zu den Eltern in das Nachbarappartement geschickt, zum Fernsehen; seiner Familie mitgeteilt, sie möge ihn „nun nicht stören“, da er vorhabe, mit seinem Schulkameraden für eine schwierige Prüfung (die in Wahrheit gar nicht bevorstand) zu lernen.

Bereits wenige Minuten nach Sebastians Ankunft bei Ivan, so die Rekonstruktion der Kripo, muss die Attacke gegen den 16-Jährigen erfolgt sein. Mehrere Schläge mit einem Hammer, gegen seinen Kopf; von hinten, von der Seite. Der Gymnasiast war wahrscheinlich schon bewusstlos, als mehr als ein Dutzend Mal mit zwei Küchenmessern auf seinen Oberkörper eingestochen wurde. Starke innere und äußere Blutungen sind, laut Obduktionsbefund, letztlich die Sterbeursache gewesen.

Gegen 19 Uhr ein Anruf bei der Notrufzentrale. „Ich glaube, ich habe versucht, mich umzubringen. Ich habe Angst, zu sterben. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist“, keuchte Ivan ins Telefon. Einsatzkräfte brachen schließlich die Türe zu seiner Wohnung auf; fanden den Buben im Badezimmer. Schwer Verletzt. Mit einem Messer hatte er sich beinahe alle Sehnen der linken Hand durchtrennt; den Bauch aufgeschlitzt, so tief, dass die Gedärme herausquollen. Und sich massive Bisse in die Oberarme, bis ins Muskelgewebe, zugefügt.

„Niemand glaubt mir...“
Ivans körperliche Wunden sind dabei, zu verheilen. Und sonst? Wie ist sein seelischer Zustand? Er philosophiert über seine Sehnsucht nach einem Freitod; er fühlt sich unverstanden von den Psychiatern und Psycholgen, die ihn jetzt in der forensischen Abteilung der Justizanstalt Wels betreuen. Weil er spürt, dass sie seinen Aussagen – sich nicht des Geschehenen entsinnen zu können – keinen Glauben schenken. „Aber ich weiß doch nicht einmal, ob Sebastian am 20. November überhaupt bei mir daheim gewesen ist“, behauptet der 17-Jährige hartnäckig. Und erzählt und erzählt, von den zahlreichen, stundenlangen Blackouts, die ihn im Vorfeld der Tat geplagt hätten.

Er erinnere sich nicht daran, beteuert Ivan, dass er – wie Recherchen der Polizei belegen – seit Herbst 2011 versuchte, Sebastian zu einer homosexuellen Beziehung zu überreden; er erinnere sich nicht daran, dass er auf die abweisenden Antworten seines Freundes mit verbalen Wutattacken reagierte. Er erinnere sich nicht daran, einem Bekannten über die „verzweifelte Idee“, seine „große Liebe“ und sich selbst zu killen, berichtet zu haben. Er erinnere sich nicht an sein „Outing“, bei dem er – drei Wochen vor dem Delikt – in einer Unterrichtspause mehreren Klassenkameraden gegenüber seine „wahren Empfindungen“ für Sebastian offenbarte.

Er erinnere sich nicht, dass er über Monate hindurch wiederholt im Internet nach Suchbegriffen wie „überdosis trittico“ („Trittico“ ist jenes Psychopharmaka, das der Bursch gegen seine Depressionen und Schlafstörungen einnahm), „jugendstrafe für mord österreich“, „mord aus liebeskummer”, „hammer auf kopf tod“, oder „wie lange fliesst das blut nach herzstillstand?“ gesurft hatte.

Harte Indizien.
Chatprotokolle, Mails, SMS, Facebook-Nachrichten. Die Untersuchungen des Computers und des Handys des Tatverdächtigen lassen die Fahnder vermuten, dass das Verbrechen an Sebastian D. von langer Hand geplant wurde. Der 20. September 2011. Was ist damals geschehen? Was könnte für den 17-Jährigen der Auslöser gewesen sein, seine grauenhaften Phantasien in die Wirklichkeit umzusetzen? „Ich habe alles, was an diesem Sonntag um mich passierte, vergessen”, sagt Ivan D., „bis zu dem Moment, als ich im Bad aufwachte, die Wunden an meinen Körper sah, und die Rettung alarmierte.“ Nein, er wisse nicht, dass seine Eltern am Vormittag mit ihm wegen seiner Depressionen in Wien eine Wunderheilerin aufgesucht haben; nein, er wisse nichts über ein späteres Essen mit Vater und Mutter, in einer McDonald‘s-Filiale.

Nein, er wisse nicht, dass er während der Rückfahrt nach Oberösterreich mit einem „Kumpel“ per SMS wegen seines „Leids, schwul zu sein“ kommuniziert; und nein, er wisse nicht, dass er dann, am Abend, Sebastian zu sich eingeladen hatte. „Aus der SMS-Auswertung am Apple-I-Phone im Zeitraum vom 1.11.2011 bis 20.11.2011 des D. Ivan“, ist im Polizeiprotokoll zu lesen, „geht hervor, dass D. Ivan unter Depressionen litt, Selbstmordgedanken hegte, die unbedingte Aufmerksamkeit von D. Sebastian wollte, ihm seine Liebe gestand – dieser jedoch davon nichts wissen wollte; er sich einigen Schulfreunden gegenüber als homosexuell outete und von der ganzen Situation überfordert und somit davon auch genervt war.“

Das Psycho-Gutachten.
Ivan D.: Mittlerweile wurde er umfassend von dem Salzburger Gerichtspsychiater Ernst Griebnitz untersucht. Das Gutachten über den Burschen liegt seit kurzem der Justiz vor. Fazit: Der Seelenarzt kommt darin zu dem Schluss, dass bei dem Schüler „keine vollständige und generalisierte Amnesie“ bestünde.

Weiters schreibt der Experte: „Der Umstand, wonach Herr D. jegliche Probleme, Beziehungsstörungen oder sonstige Schwierigkeiten in Abrede stellt, spricht für das Vorliegen einer Dissoziation. Die vorliegende Persönlichkeitsstruktur mit einem hohen schizoiden, emotional instabilen Anteil sowie mit einer erhöhten Selbstunsicherheit spricht für das Vorliegen einer dissoziativen Störung. Differenzialdiagnostisch kann eine bewusste Manipulation als Ursache für den Gedächtnisverlust nicht ausgeschlossen werden. Dafür spricht eine allfällige Beschäftigung mit Tötungshandlungen im Vorfeld des Tatgeschehens. Festgehalten werden muss auch, dass Herr D. über einen vermehrten Selbstbezug im Sinne des Narzissmus verfügt.“

Prozess im Frühjahr.
Ernst Griebnitz diagnostiziert dem Burschen zwar eine „seelische Abartigkeit höheren Grades“ – erklärt aber zudem, dass dieser, „zur Tatzeit diskretions- und disposititionsfähig“, also „zurechnungsfähig“ gewesen sei. Der Prozess gegen den Schüler dürfte noch vor dem kommenden Sommer stattfinden. Vermutlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Da bei der Verhandlung zahlreiche Jugendliche im Zeugenstand sitzen; und intimste Details (vor allem über das Leben des mutmaßlichen Täters) Gegenstand des Verfahrens sein werden. Im Falle eines Schuldspruchs drohen Ivan D. 15 Jahre Haft, plus eine anschließende Einweisung in eine „Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher“.