Brunettis privatester Fall

Thriller-Diva Donna Leon spricht über die Bedeutung des Lesens und Brunettis Zukunft

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Krimi - Brunettis privatester Fall

Am 23. September ist Donna Leon Gast der Wiener Kriminacht, die sie bereits vor zehn Jahren eröffnete. Im Konzertsaal der Wiener Sängerknaben wird die Händel-Enthusiastin aus dem aktuellen Thriller lesen (MuTh – Konzertsaal der Wiener Sängerknaben Am Augartenspitz 1 (Ecke Castellezgasse) 1020 Wien). Zwei Tage darauf signiert sie in der Zeit von 16 bis 17 Uhr ihre Bücher (Buchhandlung Kuppitsch, Schottengasse 4, 1010 Wien). Zwei Termine, die Sie nicht verpassen sollten.

NEWS: In Brunettis 22. Fall geht es ursächlich um die Wichtigkeit und Bedeutung von Sprache für das menschliche Überleben. Sie promovierten über Jane Austen. Woher kam Ihre Liebe zur Literatur, zu Sprache, zur Kunst? Können Sie sich ein Leben ohne Lesen vorstellen?
Leon: Als ich jung war, brachte man mir bei, dass es der Daumen und die Fähigkeit, ein Werkzeug (oder eine Waffe) in die Hand zu nehmen, seien, die den Menschen zur herausragenden Gattung machte. Aber mit den Jahren kam ich zu der Überzeugung, dass es die Sprache ist, die uns menschlich macht. Es ist doch wirklich ein Wunder, dass wir dazu in der Lage sind, Geräusche zu machen – und diese Geräusche sind relativ willkürlich gewählt: zum Beispiel „libro“ auf Italienisch oder „Buch“ auf Deutsch. Und zu dem Klangbild, den es macht, wenn wir das aussprechen, stellen wir uns ein Ding vor. Oder „correre“ und „laufen“. Wir hören das und machen es oder stellen uns die Aktion dazu vor. Das ist magisch. Damit verfügen wir über ein unglaubliches Vorstellungsvermögen, das andere Gattungen nicht haben.

Eine meiner frühesten Erinnerungen ist ein Sprachwitz, den meine Eltern mir erzählten. Nach 65 Jahren bringt er mich immer noch zum Lachen und kluge Wortwitze amüsieren mich immer. Ich liebe Wortspiele und kann selber nicht aufhören, welche zu machen. Und ich mag eine klare und gut angewandte Sprache.

Ich erinnere mich auch daran, wie ich – da war ich vielleicht ungefähr sieben – meiner Mutter sagte, dass mir langweilig sei. Sie packte mich ins Auto und fuhr mit mir zur Bücherei. Ich ging in die Kinderabteilung und fand ein Buch über das Alte Ägypten. Und seither habe ich nicht mehr aufgehört zu lesen. Nein, ich kann mir ein Leben ohne Lesen nicht vorstellen.

NEWS: Wenn Sie an Kaspar Hauser und an die brutalen Experimente denken, die man in früheren Jahrhunderten mit Kindern machte, die isoliert und ohne Sprache aufgezogen wurden: Glauben Sie, dass wir ohne Sprache leben, existieren können?
Leon: Ich nehme an, wir könnten ohne Sprache als Gattung überleben. Aber wenn unsere Gehirnwindungen auf Sprache ausgerichtet sind, wie es der Fall zu sein scheint, so würden wir sie vermutlich rasch wieder erfinden.

NEWS: Wir leben heute in einer von Facebook, den neuen digitalen Medien und das Internet bestimmten Welt. Es gibt Studien, die besagen, dass Kinder heute zwar simsen lernen, aber nicht mehr richtig sprechen und schreiben können. Die sozialen Medien haben die Welt revolutioniert, aber sie haben auch unsere Fähigkeit zur Kommunikation verändert. Glauben Sie, dass uns die digitalen Medien weniger gesellschaftsfähig, weniger menschlich machen? Stirbt die Sprache aus?
Leon: Ich bezweifle, dass Sprache in Gefahr ist, auszusterben. Aber, wie Sie sagten, verändert sie sich. Sie wird kürzer. Menschen verwenden kürzere Phrasen und kürzere Schreibweisen, aber sie vermitteln immer noch Gedanken und Ideen: Selbst wenn sie statt „book“ „buk“ sagen würden, würden sie sich immer noch auf das Buch beziehen und den Zuhörer an ein Buch denken lassen.

Allerdings finde ich es traurig, dass die Menschen Sprache offenbar nicht mehr als Kunst betrachten, als etwas, das schön ist und kunstvoll und angenehm zu erfahren. Eleganz in Sprache und Rede scheint im gesellschaftlichen Diskurs keinen Platz mehr zu haben: Wenn man sich die US-Nachrichten ansieht, wundert man sich, ob diese Leute überhaupt noch lesen und schreiben können, oder ob sie nur mehr ihre ungrammatikalischen, unlogischen CNN-Reden können. Auch wenn man Politikern fast jedes Landes zuhört, wundert man sich, ob sie überhaupt noch achtgeben auf das, was sie eigentlich sagen. Ein Beispiel dafür ist der Gebrauch des Wörtchens „like“ in der amerikanischen Sprache oder sogar bei den Nicht-Muttersprachlern, die ein Ohr dafür haben und das, was sie hören, nachsagen. Die meisten jungen Amerikaner scheinen unfähig zu sein, einen Satz ohne das Wörtchen „like“ zu sagen. Als kulturelles und linguistisches Phänomen ist es faszinierend, aber es lässt die Menschen wie Kretins erscheinen. Ganz gewiss aber ist es ein Indiz dafür, dass Menschen nicht mehr aufpassen, wie sie oder andere reden.

NEWS: Wie bringt man Kinder und junge Leute dann heute noch zum Lesen, zur klassischen Musik?
Leon: Einfach, indem man ihnen Bücher gibt oder ihnen welche am Abend vorliest. Lasst sie klassische Musik hören ohne sie glauben zu machen, dass es etwas Besonderes ist.

NEWS: Sie waren bereits vor zehn Jahren der Stargast der ersten Kriminacht in Wien. Mit welchen Gefühlen kommen Sie wieder? Was ist das besondere am österreichischen Publikum?
Leon: Eine meiner Hauptbindungen an dieses Land und an diese Stadt ist die Musik: In Österreich werden klassische Musik und Oper immer noch ernst genommen und respektiert. Sogar von denen, die nicht oft hingehen und solche Musik hören. Das heißt, dass Musik immer noch von den meisten Leuten als wichtiger Teil eines zivilisierten Lebens betrachtet wird. Außerdem lesen Österreicher, zumindest den Zahlen der Verleger nach, immer noch sehr viel und sehr gern und betrachten Bücher als wichtigen Teil der Kultur.

NEWS: Ist es wahr, dass BBC eine Brunetti-Serie plant?
Leon: Die BBC hat einen Vertrag unterschrieben, viele der Brunetti-Romane zu verfilmen, aber bis nächstes Jahr wird nichts passieren. Wir werden sehen.

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