Das Unding Liebe

Wie kommt es dazu, dass man jemanden gleichsam wie zum Sterben liebt? Ist die Liebe eine Krankheit? Eine Panne? Oder ein Segen? Ein Missgeschick, wenn sie unglücklich verläuft.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Die Bedingungen unglücklicher Verliebtheit sind verschleiert. Wer erkennt schon als Rosarote-Brille-Trägerin, einer Blendung zu erliegen und ein Fabelwesen anzuhimmeln – weitab von jedem Realitätscheck? Ein solcher ist häufig nicht möglich, wenn die Verliebtheit einer geistigen Umnachtung gleicht. Da ist dieses Gefühl von Abhängigkeit, Ohnmacht, ja Wertlosigkeit, die Überzeugung, ohne die angebetete Person nicht sein zu können. Oft folgt eine Art nicht weniger belastender Paranoia, jederzeit Spuren und Zeichen dieses Menschen zu finden, alles auf ihn oder sie zu beziehen. Wir können ruhig von Realitätsverlust sprechen. Natürlich ist die Verliebtheit keine echte Psychose, aber erinnert daran. Ähnlich fixiert sind wir auf – wenn es unglücklich endet – bestimmte fast zwang hafte Visionen der einzigen und wahren Liebe, mit der auf einmal alles, ja wirklich alles im Leben „steht und fällt“. Wie Nähe und Vertrautheit zu einer fremden Person von jetzt auf gleich wie ein Virusinfekt entstehen, sehen wir uns etwas genauer an:

• Projektion
Vom körpereigenen Hormonrausch der Verliebtheit einmal abgesehen projizieren wir unser gesamtes im Leben angesammeltes Wunschmaterial auf den potenziellen Partner oder die potenzielle Partnerin.

• Idealisierung
Daran schließt sich die Sehnsucht nach Wunscherfüllung durch Idealisierung. Er oder sie scheint ideal für uns zu sein: Kein Wunsch bliebe offen. Das Glück in seiner Vollendung träte mit dieser Partnerschaft ein.

• Selbstwert-Booster
Wir fühlen uns aufgewertet, verstanden, gesehen, geachtet: Und das vielleicht erstmals im Leben. Natürlich hat das mit der ersten Säule der Verliebtheit zu tun. Dem hohen Projektionsanteil, denn wir können ja am Beginn einer Verliebtheit noch gar nicht verifizieren, ob wir mit unserem Idealbild richtig liegen.

In meiner Jugend verliebte ich mich fast immer in „die Falschen“. Die, die schon vergeben waren oder nichts von mir wissen wollten. Und jene, die in mich verliebt waren, bemerkte ich gar nicht. Ich lag als Teenagerin voll daneben, als ich mich in einen viel älteren Mann verliebte, der zwar nicht ganz abgeneigt war, aber den Schritt zu einer Beziehung nicht machte. Was für mich im zarten Alter von siebzehn, acht zehn Jahren der emotionale Weltuntergang war, entpuppte sich als vierte Säule der Verliebtheit:

• Übertragung
In jeder Begegnung und auch in der Liebe ist ein so genannter Übertragungsanteil. Daraus erklärt sich, weshalb wir uns zu manchen Menschen auf Anhieb hingezogen fühlen und zu anderen instinktiv auf Distanz bleiben. Wir übertragen Eigenschaften früher Bezugspersonen oder auch Idealvorstellungen auf das Gegen über. Daraus entsteht das Vertrauen wie eine Stichflamme, die einen dann buchstäblich emotional überhitzt. Wir sehen die Person durch den Schleier der Vergangenheit und nehmen sie nicht ohne das Phänomen der Übertragung wahr. Mithin entsteht Verliebtheit gleichsam notgedrungen aus dem Wunsch, durch eine Autoritätsfigur Versäumnisse – beispielsweise des gefühlt nie erreichten Vaters – auszugleichen. Wiedergutmachung zu erwirken. Und durch die Erwiderung dieser Gefühle inneren Frieden zu finden, die lang ersehnte innere Aufwertung.

Verliebtheit sollte aber nicht (nur) aus der Erfahrung eines Mangels entstehen. Die Liebe ist kein Unding. Zeigen Sie Ihre Liebe mit Taten, bedingungslos, dauerhaft, beständig. Auch ohne Verherrlichung der anderen Person und unabhängig von Schmetterlingen im Bauch.

Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis <AT> wogrollymonika.at