„Così fan tutte“: Gelöste Ekstasen, rasende Gefühle

Nikolaus Harnoncourt beendet seinen konzertanten Mozart-Zyklus

von Cosi fan tutte © Bild: Herwig Prammer/Theater an der Wien

Statt die Produktion daraufhin abzusagen oder bei einem anderen Regiekünstler vorstellig zu werden, entschlossen sich Dirigent und Direktion zu einem aufführungshistorisch relevanten Schritt: Harnoncourt dirigierte zur vorgesehenen Premierenzeit im März 2014 halbkonzertant alle drei Da-Ponte-Opern Mozarts, also „Figaro“, „Don Giovanni“ und „Così“. Dass man eines dieser Werke von ihm künftig noch zu hören bekommen würde, schloss der große, radikale Epochemacher selbst aus.

Schon dass man für die beiden anderen Werke in der Eile respektable bis exzellente Besetzungen erstellen konnte, ist zu bewundern. Noch erfreulicher die Tatsache, dass die für „Figaro“ und „Giovanni“ geheuerten Stars inmitten des jungen Ensembles fast schon die Schwächsten waren. Die nun zum Abschluss des Zyklus gespielte Così“ aber steht exemplarisch für das, was in musikalischer Hinsicht beabsichtigt war.

Im Theater an der Wien wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein Mozart-Stil entwickelt, der für eine Generation prägend blieb. Diese Aufgabe übernahm für die Folgegenerationen Harnoncourt, der Schöpfer der Originalklangbewegung. Nunmehr im Spätherbst seiner Karriere eingetroffen, weist er mit seinem nicht minder stilbildenden Ensemble „Concentus Musicus“ und jungen Sängern den Weg aus der aktuellen Mozart-Krise in eine Zukunft, die freilich eine Unwägbarkeit kennt: nämlich die Schwerersetzbarkeit Harnoncourts.

Der „Concentus“ steht für das Archaische der Originalklangbewegung, nicht für das zuletzt in Mode gekommene Gelackte und Gefällige. Die radikale Tempodramaturgie im „Figaro“ und die Untergangswucht seiner „Giovanni“-Deutung verstören wie einst. Mit „Così fan tutte“ erreicht Harnoncourt den Zustand ekstatischer Gelöstheit. Dass es hier nicht um Verkleidungseskapaden geht, sondern um ein perverses vivisektorisches Experiment, das männlicher Gottähnlichkeitswahn über scheinbar geliebte, aber offenbar verachtete Frauen verhängt, wird schon zu Beginn der Ouvertüre klar: Die Intention der gewalttätigen Schläge kann durch die folgenden Galanterien nicht gemildert werden. Die Rezitative werden als handlungstreibende Elemente mit größter Obsorge bedacht. Harnoncourt mobilisiert alle Farbenpracht, derer die historischen Instrumente fähig sind, die Wildheit der Naturhörner und -trompeten, die keusche Sinnlichkeit der Traversflöten, die bis ins Parodistische getriebene Pointiertheit der Holzbläser. Mit dem Terzett „soave sia il vento“ jagt er die beiden jungen Männer auf ein stürmisch bewegtes Meer der Lügen; im vorhergehenden Quintett bricht den getäuschten Frauen das Herz, während die Männer ihre vorgeblichen Abschiedsschmerzen in verlogenen Intervallsprüngen outrieren – nie hat man das vergleichbar plastisch erlebt.

Wahnwitzige Intervallsprünge, diesfalls aber Katarakte an Emotion, kennzeichnen auch die heikle Rolle der Fiordiligi. Die Norwegerin Mari Eriksmoen, in „Figaro“ und „Giovanni“ noch mit dem leichteren Fach betraut, offenbart sich hier als Mozart-Sopran von wunderbarer Empfindungsschwere, mit samten schimmernder Höhe und atypisch stabiler, gut kontrollierter Tiefe. Harnoncourt durchrast mit ihr alle Emotionen und trägt sie doch auf Händen durch die Fährnisse der Partie – unvergesslich ist das. Der junge Schweizer Tenor Mauro Peter kontrolliert sein herrliches Material mit stilistischer Hochkompetenz, der gleichfalls am Anfang stehende Südtiroler Bariton André Schuen (zuvor kein perfekter Figaro und ein respektabler Giovanni) ist ein idealer Guglielmo, hier „Guillelmo“ genannt. Katija Dragojevics Dorabella, nicht auf gleicher Höhe, ist das, was man als besonders Ensemble-dienliche zweite Kraft bezeichnen kann. Der große dramatische Wagner-Mezzo Elisabeth Kulman diszipliniert sich auf Harnoncourts Geheiß auch gesanglich zu circensischer Verwandlungskunst: vom Teenager im Stimmbruch („Figaro“) zur Despina mit der steißwackelnden Sinnlichkeit einer Mamma aus dem italienischen Neoverismo. Markus Werba, als Alfonso der Namhafteste auf der Bühne, hinterlässt den geringsten Eindruck.

Kusej aber, dessen Absage den ausverkauften und bejubelten Zyklus erst möglich machte, kündigte bei Amtsantritt am Münchner Residenztheater das gesamte Ensemble (auch, kurz vor seinem Tod, den großen Thomas Holtzmann), dividierte die Zahl der Abonnenten, spielte, wenigstens in seiner ersten Saison, das Haus leer und gab die Abwerbung von Burgschauspielern bekannt, die davon teils nichts wussten, teils eilends nach Wien zurück kehrten. Klar bei diesem Profil, dass er als Spitzenkandidat für die Direktion des Burgtheaters gehandelt wird.

Letzte Vorstellung am Samstag, 29. März.

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