Coronakrise: "Es ist
ein Fahren auf Sicht"

Vom Ziel eines Nullbudgets hat sich Finanzminister Gernot Blümel in Zeiten von Corona längst verabschiedet. Nun schnürt er Milliardenpakete, um das Gesundheitssystem und die Wirtschaft zu stützen. Wie lange die Krise dauern wird, kann auch er nicht abschätzen.

von Politik - Coronakrise: "Es ist
ein Fahren auf Sicht" © Bild: Lukas Ilgner/trend

Herr Minister, unter welchen Umständen arbeiten Sie im Moment?
Wenn ich die letzte Woche Revue passieren lasse: Am Montag haben wir in der wöchentlichen Kabinettssitzung noch über die Budgetrede diskutiert und haben einzelne Halbsätze gestrichen oder Begriffe anders definiert. Am Dienstag habe ich mit Wirtschaftsforschern telefoniert und gefragt: "Kann das überhaupt stimmen, dass sich die Einnahmensituation nicht massiv ändert?" Schließlich gab es noch am Tag zuvor eine Aussendung des Wifo, dass der Konjunkturtest für Februar keine Auswirkungen der Coronakrise zeige. Und am Mittwoch hab ich dann die Budgetrede weggeschmissen. Seitdem sind wir im Krisenmodus. Wir haben einen Krisenstab im Finanzministerium eingerichtet, und ich springe zwischen diesem und dem Krisenstab im Bundeskanzleramt hin und her.

Fahren Sie mit den Maßnahmen gegen die Coronakrise auf Sicht oder können Sie Kosten und Dauer schon irgendwie abschätzen?
Es ist ein absolutes Fahren auf Sicht. Am Montag war die Welt noch relativ heil, am Dienstag hat es sich eingetrübt, seit Mittwoch wissen wir: Das wird ein anderes budgetäres Zeitalter werden. Nun haben wir ein Paket zusammengestellt, wo es um drei Prioritäten gegangen ist: genügend Geld für die Gesundheit bereitzustellen, möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern und dafür zu sorgen, dass die Menschen durch die Krise hindurch ihre Fixkosten zahlen können. Alles, was es dafür braucht, wird es auch geben. Wenn es mehr Geld braucht, wird es mehr Geld geben. Das ist jetzt, worauf es ankommt. Ich kann noch nicht sagen, wie lange die Krise dauern wird, und daher auch keine Prognosen über die Kosten anstellen.

Es wurde ein 38 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für die Wirtschaft geschnürt. Welcher Bereich macht Ihnen die größten Sorgen?
Diese Krise ist anders als jene des Jahres 2008. Damals war es eine Systemproblematik von oben nach unten, die Finanzinstitute hatten ein Problem, und das hat sich hinuntergefressen durch die gesamte Wirtschaft. Dieses Mal ist es umgekehrt: Das Finanzsystem ist gesund und hilft auch beim Bewältigen der Krise. Durch das Virus müssen wir Maßnahmen setzen, durch die die Wirtschaft faktisch zum Erliegen kommt. Zu Beginn der Krise gab es Lieferprobleme, durch die Quarantänemaßnahmen, das Sperren von Geschäften gibt es zusätzlich kein Angebot und keine Nachfrage. Das betrifft die meisten Wirtschaftsbereiche außer jene des täglichen Bedarfs. Fast alle Branchen sind betroffen, manche schneller wie der Tourismus, der Transportbereich oder Freizeitbereiche. Da braucht es schnell Hilfe.

»Wir tun alles, was möglich ist, um die effekte der Krise abzufedern«

Maßnahmen wie Kurzarbeit sollen ja auch verhindern, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter sofort freisetzen. Trotzdem gab es allein am Montag 16.000 neue Arbeitslose. Wird da die Krise auf den Schultern dieser Menschen abgeladen?
Wir tun alles, was möglich ist, um die Effekte der Krise abzufedern. Noch am Freitag hat mir jemand gesagt, wie wichtig ein ausgeglichener Haushalt sei. Ja, eh! Aber Arbeitsplätze, Gesundheit und das Überleben des Standorts sind wichtiger. Es wird geben, was es braucht, damit wir gut durchkommen. Werden wir es damit schaffen, dass niemand die Auswirkungen der Krise spürt? Das kann ich zum aktuellen Zeitpunkt nicht versprechen. Wir alle werden die Auswirkungen spüren. Deswegen tun wir, was möglich ist. Im europäischen Vergleich sieht man, dass wir schneller als andere sehr gute Maßnahmen gesetzt haben.

Es wird Bargeldhilfe für Kleinunternehmer und EPU geben. Wie schnell bekommen sie diese Hilfe?
Diese Personen sind massiv von der Krise betroffen. Ein Masseur oder Fitnesstrainer etwa hat 100 Prozent Umsatzentfall von jetzt auf jetzt. Da bringt es nichts, wenn man eine Garantie auf einen Kredit oder sonst etwas gibt. Da hilft nur unmittelbares Geld auf die Hand, damit man die Fixkosten zahlen kann. Dafür wird es einen speziellen Fonds geben, da ist ausreichend Geld im Hilfstopf reserviert. An der genauen Umsetzung arbeiten wir noch.

Wie unbürokratisch wird es Steuerstundungen geben?
Sehr unbürokratisch! Es reicht, wenn man einen Zweizeiler an die Finanzbehörde schickt, wo man sagt, dass man von der Krise betroffen ist, in diesem oder jenem Bereich tätig. Das ist die Steuernummer, bitte um Stundung oder Herabsetzung der Vorauszahlungen. Das wird unmittelbar genehmigt.

Ist es vorstellbar, Insolvenzanträge auszusetzen, bis man weiß, ob die Hilfe greift? Deutschland macht das.
Wir waren rasch bei den Maßnahmen, arbeiten aber ständig mit den Sozialpartnern daran, welche Bedürfnisse es gibt und was adaptiert werden muss. Wenn es weitere Maßnahmen braucht, wird es die geben.

Auch wenn der Blick in die Zukunft schwierig ist: Wagen Sie irgendeine Prognose, wie lange die Krise dauern wird und wie teuer es wird? Mit welchen Steuerausfällen rechnen Sie?
Das werden wir erst am Ende wirklich wissen. Was ich Ihnen sagen kann, ist, was wir beim Budget jetzt gemacht haben: Normalerweise wird das Budget auf Basis der Jännerprognosen verhandelt. Das waren noch 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum 2020! Das es das nicht sein wird, ist völlig klar. Wir haben etwas gemacht, das im Finanzministerium noch nie gemacht wurde. Wir haben eine Woche vor der -geplanten - Budgetrede, die Einnahmenschätzung adaptiert. Diese Zahlen von Dienstag und Mittwoch werden nun aber auch nicht mehr stimmen, und dazu kommt zumindest noch das im Ministerrat beschlossene Hilfspaket, wo wir zudem nicht wissen, ob es das letzte sein wird. Die Zahlen, die wir im Budget vorlegen, werden höchstwahrscheinlich nicht die Zahlen sein, die im Rechnungsabschluss aufscheinen werden.

Wirtschaftsforscher gehen von einer Rezession aus.
Ich kann das nicht ausschließen.

Die Regierung hat eine Steuerreform angekündigt, teilweise auch schon eingeleitet - wird man die aussetzen müssen?
Das sind alles Maßnahmen, wo ich noch nicht abschätzen kann, wann die kommen werden. Wir müssen jetzt einmal wissen, wie lange die Krise dauert, wie intensiv sie wird, und alle Arbeitsressourcen darauf konzentrieren, dass wir alles tun, was notwendig ist, damit die Menschen gut durch die Krise kommen. Alle anderen Maßnahmen, die natürlich auch wichtig sind, kommen danach. Da muss ich um Verständnis bitten.

»Ich gehe davon aus, dass wir besser und schneller durch die Krise kommen werden als manche andere«

All die Maßnahmen wird man nachträglich finanzieren müssen. Könnte es Steuererhöhungen geben?
Was ich ausschließen kann, ist, dass wir jetzt während der Krise Steuern und Abgaben erhöhen. Das wäre absurd! Was danach kommt, können wir erst später bewerten. Was ich sagen kann, ist, dass Österreich gut dasteht, aufgrund der soliden Haushaltspolitik der letzten Jahre haben wir Spielräume. Und wir haben immer noch sehr gute Konditionen auf den Kapitalmärkten, da werden wir auch Geld brauchen, um durch die Krise zu kommen.

Hat der Rest der Welt zu lange zugeschaut? Als in China die Coronakrise losgegangen ist, war das für viele so nebensächlich wie der sprichwörtliche Reissack.
Im Nachhinein sind viele gescheiter. Wir jedenfalls haben Maßnahmen gesetzt, bevor es andere in Europa gemacht haben. Manche haben noch letzte Woche gesagt, das ist ein bissel übertrieben, aber umso wichtiger war es, schnell und klar zu handeln. Ich gehe daher davon aus, dass wir besser und schneller durch die Krise kommen werden als manche andere.

Man lernt ja auch aus Krisen: Gibt es jetzt schon etwas bezüglich der Resilienz von Staat und Wirtschaft, wo Sie sagen, das müssen wir in Zukunft anders machen?
Ich bin jetzt sehr froh, dass wir die Spielräume im Budget haben, um auch helfen zu können. Das zeigt, dass die Haushaltspolitik der letzten Jahre, dass in guten Zeiten nicht neue Schulden gemacht werden, sich jetzt auszahlt. Das ist eine Bestätigung, dass man diesen Kurs fortsetzt.

»Es wäre ja absurd, zu glauben, dass ein Nulldefizit ein Selbstzweck ist.«

Die ÖVP wollte eine Schuldenbremse in der Verfassung verankern. Jetzt müssten Sie fast froh sein, dass das Parlament das abgelehnt hat.
Sie besteht ja einfach gesetzlich, und darin sind ein paar Ausnahmen für Krisenfälle definiert. Es wäre ja absurd, zu glauben, dass ein Nulldefizit ein Selbstzweck ist. Es ist immer ein Mittel zum Zweck, um in guten Zeiten eine Bremse zu haben, damit man in schlechten Zeiten helfen kann.

Das Erreichen eines ausgeglichen Haushalts war immer Ihr wichtigstes Ziel. Nun müssen Sie sich gleich zu Amtsbeginn von diesem Ziel verabschieden. Welche Emotionen erlauben Sie sich?
Emotional werde ich, wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe, dass es isolierte Personen gibt, dass Menschen in Europa am Coronavirus sterben. Ich habe auch Eltern, mein Vater ist seit diesem Jahr in Pension, meine Großmutter ist noch älter. Das sind meine Emotionen. Ich habe auch Angst um meine Familienmitglieder, so wie alle in Österreich. Umso wichtiger ist, dass wir schnell und entschieden handeln.

Man will ja gar nicht fragen, ob Sie noch "gut" schlafen. Also: Schlafen Sie überhaupt noch?
Gut nicht, aber ein wenig.

Die aktuelle Entwicklung rund um das Coronavirus in Österreich lesen Sie hier

Auch wenn es aus heutiger Sicht fast nebensächlich erscheint: Im Herbst müssen Sie in Wien einen Wahlkampf führen. Natürlich hoffen wir alle, dass die Krise bis dahin vorbei ist. Aber, wenn ihre Auswirkungen noch spürbar sind, müssten die Parteien dann nicht ein entsprechendes Fairnessabkommen eingehen?
Was sich jetzt zeigt, ist, dass wirklich alle an einem Strang ziehen und dass parteipolitische Differenzen hintangestellt werden. Es ist auch schön, zu sehen, dass, wenn es darauf ankommt, alle dasselbe Ziel haben: den Menschen zu helfen. Das wird solange gehen, wie es gehen muss. Alles andere werden wir danach bewerten.

(Dieses Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (12/2020) erschienen.