Die Leichtigkeit des Alters

Mit 77 Jahren hat sich Christiane Hörbiger neu erfunden - künstlerisch wie privat

Am 13. Oktober feiert Christiane Hörbiger ihren 77. Geburtstag, am 12. Oktober zeigt die ARD den Film "Auf der Straße", in dem sie eine Obdachlose spielt. Die Schauspielerin hat ihre früheren Existenzängste abgeschüttelt und sich neu erfunden - künstlerisch wie privat.

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Menschen - Die Leichtigkeit des Alters

Man hat selten so viele Facetten von Ihnen gesehen, wie derzeit - ob im Zalando-Werbespot oder in Ihrem neuen Film "Auf der Straße", in dem Sie sich völlig ungeschminkt und fertig zeigen. Sind Sie uneitel geworden?
Ich habe so etwas im Theater schon oft gemacht, im Film bisher nie so extrem. Ich habe in den letzten Jahren im Fernsehen eine Alkoholikerin gespielt, eine Alzheimer-Patientin, eine Krebskranke und nun eine Obdachlose. Ich habe meinen Agenten gefragt, was bleibt denn noch? Nur mehr der Friedhof... Und tatsächlich, in meinem nächsten Film geht es um Sterbehilfe.

Sie sehen derzeit verwandelt aus, modischer und lässiger. Weniger feine Dame, mehr coole Schauspielerin im besten Alter. Haben Sie mit Mitte 70 eine neue Lebensphase begonnen?
Ich fühle mich freier als früher. Ich habe für meine letzte Rolle sogar ein wenig abgenommen. Aber keine Sorge, ich bin nicht krank! Man hat sogar meinen Mann darauf angesprochen. Aber es ist unwichtig, was die Leute denken. Ich bin gesund und munter.

In "Auf der Straße" spielen Sie eine Frau, die unfreiwillig obdachlos wird. Kann man sich in eine solche Situation versetzen, wenn man nie finanzielle Not leiden musste?
Ich habe eine solch extreme Situation zum Glück nie erlebt. Aber ich kenne das Thema Existenzangst. Mein Mann ist früh gestorben und ich war als Schauspielerin in Zürich allein erziehende Mutter. Ich hatte immer die Panik, dass mein Kopf plötzlich nicht mehr funktioniert, ich nicht spielen kann und womöglich um Geld bitten muss. Das war mein absoluter Albtraum gewesen. Das wäre das Eingeständnis meines Scheiterns gewesen, da hätte ich lieber den Beruf gewechselt.

Haben Sie Ihr Leben stets alleine finanziert?
Ja! Ich war immer mein eigener Finanzminister. Ich musste nie Ausschau nach einem Mann halten, der mich erhält. Ich habe die Männer immer nach der Liebe ausgesucht, nicht nach der Geldbörse.

In welcher Lebensphase befinden Sie sich als erfolgreiche Frau, die bald 77 wird? Was sind heute die Prioritäten in Ihrem Leben?
Ich erlebe jetzt meine schönste Zeit überhaupt. Die Sorgen sind weggefallen. Ich muss mich in diesem Wahnsinnsberuf, der so nervenaufreibend und zerschleißend – aber auch spannend ist, nicht mehr beweisen. Ich drehe ein bis zwei Filme im Jahr und das leidenschaftlich gerne. Ich lerne den Text immer noch auswendig, bevor ich zu drehen beginne. Das ist mein Superfleiß. Ich befinde mich wohlverdient in einer beruflich privilegierten Situation. Um meinen Sohn muss ich mich auch nicht sorgen, er hat sich etabliert, dreht demnächst einen 90-Minüter für SOKO Donau und parallel in München einen Stoff, den er selbst entwickelt hat.

Lebt ihr Sohn, Regisseur Sascha Bigler, noch in Amerika?
Nein, er lebt in Österreich. Er ist damals wegen seines Sohnes nach Amerika gegangen, seine Frau kommt aus den USA. Sie ist seine beste Freundin, außer mir, betont er immer. Sie ist eine wunderbare Mutter. Mein Sohn pendelt jetzt.

Vermissen Sie Ihren Enkel?
Wahnsinnig! Das tut schon ein bisschen weh. Als er noch in Wien lebte, war er sehr oft bei uns. Die Reise nach Los Angeles ist für meinen Mann und mich leider beschwerlich. Ich hoffe, dass mein Enkel, in der Zeit, wenn er von seinem Elternhaus ausreißen will, zu uns kommt. Mein Mann und ich sagen immer, wir hatten schöne Jahre mit ihm. Wir haben im Wohnzimmer Skifahren gespielt, er war natürlich immer der Sieger, oder Kaufmannsladen. Ich sehe ihn heute noch die Stiegen raufkommen, mit der Winterhaube ins lachenden Gesicht gezogen. Es ist so schön, wenn man Oma ist. Man hat nicht mehr die Verantwortung, aber die ganze Freude.

Haben Sie heute mehr Zeit für die Partnerschaft?
Gerhard Tötschinger arbeitet ununterbrochen und gerne. Wir sind nicht zwei alte Leute, die hinterm Ofen sitzen. Aber ich habe auf einmal viel mehr Zeit für mich selbst. Ein neues Projekt wurde gerade auf Frühling verschoben. Früher hätte mich das beunruhigt, heute freue ich mich, dass der Herbst mir gehört. Wir bekommen bald einen neuen Mops und ich habe Zeit, ihn stubenrein zu kriegen. Es klingt vielleicht kitschig, aber ich wache jeden Tag auf, schaue ihn den Himmel und sage danke, lieber Gott, dass es mir so gut geht! Natürlich hab ich das alles selbst erarbeitet. Es ist mir nichts in den Schoß gefallen.

Sie werden seit jeher als Grande Dame bezeichnet. Sind Sie tatsächlich so damenhaft, wie man Sie einschätzt?
Das ist ein solcher Quatsch! Man hat mir diesen Stempel aufgedrückt. Aber ich bin lieber Grande Dame als alte Hexe. Wenn ich U-Bahn fahre, es draußen windig ist, ich ein Kopftuch aufhabe und mich in der Scheibe des Waggons sehe, schaut mir eine nette, alte Wiener Frau entgegen. Das bin ich wohl auch. Innerlich weiß ich aber um meine Lebensleistung, die auch mehrfach ausgezeichnet wurde.

Sind Sie im Alter lockerer geworden?
Meine Kostümbildnerin hat mir einen nachhaltigen Denkanstoß gegeben. Sie sagte, du bist doch offen und unterhältst dich gerne mit der jüngeren Generation. Warum ziehst du dich an, als wärst du 20 Jahre älter? Das stimmt wohl. Ich hatte eine Phase, in der ich sehr konservativ war. Ich habe erst mit 60 angefangen, Jeans zu tragen, weil ich mich vorher nicht getraut habe. Ja, ich bin im Alter lockerer geworden. Aber Hot Pants würde ich mir selbst dennoch nicht empfehlen.

Probieren Sie sich modisch noch aus?
Nicht in der Öffentlichkeit. Gottseidank ist Gerhard Tötschinger ein sehr strenger und gütiger Kritiker. Ich habe mir heuer ein neues Dirndl gekauft. Dazu gab es einen entzückenden karierten Haarreifen mit einem Blümchen. Aber so etwas geht in meinem Alter aber wirklich nicht mehr.

Sie gelten auch als Dame der Wiener Gesellschaft. Welche Rolle spielt das Society-Parkett in Ihrem Leben?
Ich durfte als junges Mädchen die Kinderjausen, zu denen ich eingeladen war, nie erwidern. Wenn meine Eltern am Abend Vorstellung hatten, was fast täglich der Fall war, sollte im Haus Ruhe herrschen. Dadurch wurden wir auch seltener eingeladen. Das hat mich stark geprägt, bis heute. Deshalb habe ich in meinem Alter ein Nachholbedürfnis. Ich gehe gerne zu Einladungen und bin Teil der Wiener Gesellschaft.

Sie sind selbst auch gerne Gastgeberin?
Ja, aber das hat andere Gründe, als das gesellschaftliche Dabeiseinmüssen. In meinem Alter werden die Freunde leider immer weniger. Ich merke das sehr stark. Der Tod von Helmut Lohner hat mich wahnsinnig getroffen. Wir haben in den Schweizer Jahren ununterbrochen miteinander gespielt. Dadurch hat uns eine langjährige Freundschaft verbunden. Elisabeth Gürtler ist das Beste, was ihm in seinen späten Jahren passieren konnte. Er war so glücklich und hat mit einer solchen Liebe von seiner Familie gesprochen. Er hat nie über Schmerzen geklagt. Er ist ein toller Bursche gewesen.

Muss man dabei unweigerlich auch über die Sterblichkeit des eigenen Partners nachdenken?
Ja, ich denke natürlich darüber nach. Über den Tod nicht sprechen zu wollen, mag etwas männliches sein.

Hat Sie auch der Film, bei dem es um Sterbehilfe geht, mit dem Thema konfrontiert?
Ich musste bei den Dreharbeiten sehr lange tot im Bett liegen. Sehr angenehm, weil man keinen Text hat und den ganzen Tag herumliegt. Aber man denkt natürlich über den Tod nach. Dass er hoffentlich ohne Schmerzen sein wird. Der schönste Tod ist einschlafen und nicht mehr aufwachen. Dann ist man von Gott geküsst.

Sind Sie gläubig?
Ja, der Glaube hilft mir sehr. Es war das einzige, was mir nach dem Tod meines Mannes Halt gegeben hat. Ich habe mir gesagt, ich darf nicht hadern. Es ist eine Abmachung zwischen dem lieben Gott und meinem Mann. Ich muss mich da raushalten. Der Schmerz ist da, aber ich darf nicht Partei ergreifen und mich selbst nicht so wichtig nehmen. Es war die bitterste Zeit meines Lebens. Ich habe gespielt, ich hatte außerdem einen sehr schwierigen Direktor. Die Leute haben gesagt, es würde mir gut tun, gleich wieder zu arbeiten. Aber es stimmte nicht. Das Trauerjahr ist wichtig. Weil ich das nicht hatte, dauerte es doppelt so lange, bis ich den Verlust meines Mannes halbwegs akzeptieren konnte. Ich war alleinerziehend und –verdienend, ich hatte leider keine Wahl.

Gehen Sie in die Kirche?
Ich glaube, dass mein lieber Gott gütiger ist, als es die katholische Kirche sagt. Ich habe mit Kardinal Schönborn darüber diskutiert. Es ist doch furchtbar, wenn man am Totenbett liegt und sich noch vor dem Jüngsten Gericht fürchten muss. Ich bin keine Kirchengeherin. Ich komme auch nicht dazu. Man müsste zumindest am 25. Dezember gehen.

Wie stark berührt Sie die aktuelle Flüchtlingskrise?
Ich verfolge gespannt die Berichte über die Flüchtlingskatastrophe. Es ist ein Jahrhundertereignis, das uns da plötzlich ins Haus kommt. Meine Schwester veranstaltet mit dem Bürgermeister eine Lesung im Namen der ganzen Familie Hörbiger. Selbstverständlich mache ich mit und trete dort auch auf, weil der Erlös den Flüchtlingen zu Gute kommt. Mein Mann und ich helfen.

Sie sind vor Beginn des Zweiten Weltkriegs geboren. Haben Sie Erinnerungen an die Kriegsjahre? Und kommen in der jetzigen Situation alte Ängste hoch?
Die Bomben und die ängstlichen Eltern sind mir noch stark in Erinnerung. Das ist eine Urangst. Wir sind nach Sölden in Tirol geflüchtet. Das war damals noch kein chicer Skiort. Mein Vater hat dort einen Film gedreht. Wir waren ein Jahr dort. Der Wirt des Hotels hatte einen geschnitzten Hitlerkopf im Wohnzimmer stehen. Als es hieß, die Amerikaner kommen, hat er die Büste in die Arche geschmissen. Solche Bilder habe ich vor mir, die bleiben einem. Aber das kommt im Zusammenhang mit den Flüchtlingen nicht hoch. Ich habe kürzlich versucht, mich in das Schicksal der Flüchtlinge hineinzuversetzen. Ich stellte mir vor, wie ich mit meinem verstorbenem Mann und meinem kleinen Sohn hätten flüchten müssen. Und ich dachte, wie die Männer der Flüchtlingsfamilien gedemütigt werden. Mein Mann war sehr selbstbewusst und ein stolzer Schweizer. Und dann wird man bespuckt und beschimpft, sogar geschlagen, wie sie das in manch einem Land gemacht haben. Den Menschen wird die Würde genommen.

Sind Sie ein politischer Mensch?
Ich habe keine Parteizugehörigkeit, aber einen guten Instinkt, was die Menschen an der Macht angeht. Für mich ist nicht links oder rechts entscheidend, sondern der die Personen, die unser Leben so entscheidend prägen.

Kommentare

dennoch .. sorry .. ich hab sie NIE ausgehalten

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