Ist Christsein
ein Auslaufmodell?

Theologe Matthias Beck: "Das Christentum hat eine sehr große Praxisrelevanz"

Mit seinem Buch "Christ sein. Was ist das?" trifft Theologe Matthias Beck einen empfindlichen Nerv der christlichen Kirche - und das zum richtigen Zeitpunkt. Terroranschläge erschüttern und verunsichern Europa, der Islam rückt in den Fokus vieler Diskussionen. Und was ist mit dem Christentum? Im Interview verrät der Autor, was uns der Glaube bringen kann und warum viele Christen so wenig über ihre Religion wissen.

von
Eine Glaubensfrage - Ist Christsein
ein Auslaufmodell?

Sie schreiben, Christen wissen heutzutage wenig über ihre eigene Religion. Woher kommt das?
Punkt eins. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen in christlichen beziehungsweise katholischen Ländern wie Österreich vieles machen, ohne darüber zu reflektieren. Man ist halt katholisch, weil die Mutter katholisch ist und der Großvater schon katholisch war. Das gehört zu einem Ritual dazu.
Punkt zwei. Wir haben die Menschen zu wenig zum eigenständigen Denken erzogen. Es gab – und gibt es zum Teil heute noch - eine Art von Gedankenverbot, nach dem Motto: „Das darfst du gar nicht denken, das ist nicht katholisch“. Wir haben die Aufklärung in Europa hinter uns, wir haben die vielen Kirchenaustritte erlebt und die Konfrontation mit dem Islam vor uns. Und jetzt erst fangen Menschen neu darüber nachzudenken an: „Wer sind wir eigentlich? Wo kommen unsere Werte her?“

Matthias Beck
© KHKronawetter Matthias Beck
»Meistens fangen die Menschen erst durch Krisen oder Krankheiten an, über Gott nachzudenken.«

Besteht ein Unterschied im Ausleben des Glaubens zwischen Christen in reichen europäischen Ländern und Christen in armen Staaten?
Ja. Ich würde sogar noch einmal zwischen Land- und Stadtbevölkerung unterscheiden. Ein Bauer in Tirol, der von der Natur abhängig ist, hat noch eher Ehrfurcht vor ihr. Naturmenschen haben oft einen Bezug zum Göttlichen. Der Städter hat diesen Zugang weniger. Da geht man ins Geschäft und kauft sich die Milch, die Kinder haben oft nicht einmal mehr die Beziehung von der Milch zur Kuh. Vieles, was wir für selbstverständlich erachten, ist überhaupt nicht selbstverständlich. Meistens fangen die Menschen erst durch Krisen oder Krankheiten an, darüber nachzudenken. Ich will jetzt nicht den Umkehrschluss machen und sagen, dass es uns erst wieder viel schlechter gehen muss, damit die Leute wieder an Gott glauben. Ich möchte den Menschen mit dem Buch ein Augenöffner sein, dass das Leben an sich großartig ist: dass wir denken, dass wir hören, dass wir schauen können. Mir tut es immer leid, wenn Gott für schlechte Tage „missbraucht“ wird.

In Österreich hat sich die Zahl der Gottesdienstbesucher in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Mangelt es dem Christentum daran, dass es mit seinen Predigten die heutige Gesellschaft nicht mehr anspricht?
Der Kirchengang ist nicht veraltet, aber die Vermittlung ist nicht so gut. Eine Predigt oder eine Theologie in Europa muss ganz anders aussehen als in Afrika, weil die Umstände ganz andere sind. Europa ist ein hochaufgeklärter und mehr oder weniger reicher Kontinent. Da sollte ein Priester in der Lage sein, auf Alltagsfragen im Kontext einer aufgeklärten Gesellschaft und beispielsweise auf naturwissenschaftliche, spirituelle oder psychologische Probleme einzugehen. Er muss nicht alles können, aber doch eine Ahnung haben, was Menschen beschäftigt. Was die Leute nicht mehr hören können, sind auswendig gelernte theologische Floskeln wie „Wir sind durch seinen Kreuzestod von unseren Sünden erlöst“. Das mag zwar theologisch stimmen, die Menschen verstehen es aber nicht. Friedrich Nietzsche hat damals schon gesagt: „Dann müssten die Christen alle erlöster aussehen“. Also in dem Fall müsste man erklären, was Erlösung schon in diesem Leben bedeutet. Es gibt ein Defizit an Aufklärung und Reflexion darüber, was wir glauben.

»Kleine Kinder spüren, dass die Atmosphäre in der Kirche eine andere ist als beim Billa«

In Ihrem Buch klären Sie über die Grundinhalte des Christentums, wie die Dreifaltigkeit, die Kreuzigung und Auferstehung Jesu oder die Sakramente auf. Haben sich viele Christen bereits so weit von der Religion entfernt, dass es dieses Einmaleins des Christentums braucht?
Ich glaube, das braucht es unbedingt. Es gibt zwei Zugänge zum Christentum. Der erste Zugang ist ein emotionaler, über Rituale, Erfahrungen und die Atmosphäre der Stille, die in einem Kloster oder einer Kirche herrscht. Kleine Kinder – ich mache viel Erstkommunionunterricht - spüren das, dass die Atmosphäre in der Kirche eine andere ist als beim Billa.

Der zweite Zugang passiert über die Rationalität, das Reflektieren und Nachdenken. Spätesten ab der Pubertät kommen Fragen, dann muss man argumentieren. Jugendliche fragen immer wieder kritisch: „Was bringt mir das? Was soll ich da? Die Stunde in der Kirche langweilt mich.“ Ich habe ein interessantes Gespräch mit einem Professor für Physik gehabt, der zu mir gesagt hat: „Christentum darf mit Nutzen nichts zu tun haben“. Mit dem stimme ich nicht überein. Die Menschen fragen als erstes – und das ist nicht dumm -, wozu sie das brauchen.

Und was antworten Sie einem Jugendlichen, der die Frage nach dem Nutzen stellt?
Der christliche Glaube bedeutet, sich tiefer einzulassen auf Gott und das führt zur Erkenntnis, Einsicht und Klarsicht, dass der Mensch besser versteht, worum es geht, dass er bessere Entscheidungen treffen kann – für den Beruf, für den Ehepartner und vielleicht sogar für die Wissenschaft. Einsicht und Erkenntnis sind zwei große Gaben des Heiligen Geistes. Und so sage ich das den Jugendlichen. Sie sollen mit 13 oder 14 wenigstens einmal am Tag – ob sie das machen, ist eine andere Frage – zur Ruhe kommen: Bibel lesen, beten, Stille einüben oder meditieren. Dann wird Religion etwas für den Alltag bringen.

»Die Krise der Kirche in Europa ist eine „Trägheitskrise“«

Was hat die Krise des Christentums in Europa ausgelöst?
Ich werfe einen Begriff in den Raum: Übersättigung. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren wir zuerst im Aufbau, dann sind wir satt geworden, wir sind reich geworden. Europa ist ein reicher Kontinent. Und viele sagen heute, wir brauchen das Christentum gar nicht. Es geht ohne genauso gut. Es ist vermeintlich alles da. Systeme neigen dazu, sich in sich selbst zu bewegen. Das hat auch die katholische Kirche - vielleicht auch die evangelisch und orthodoxe - gezeigt. Die Gefahr ist, dass man sich nur mit sich selbst, mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Was draußen passiert, merkt man gar nicht mehr. Dieses satte, reiche und ein bisschen träge gewordene System wurde massiv von außen erschüttert: durch Missbrauchsfälle, eine Kirchenaustrittswelle, Muslime und Flüchtlinge. Das ist ein Weckruf. Die Krise der Kirche in Europa ist eine „Trägheitskrise“. Es wäre für jeden einzelnen und die Kirche insgesamt gut, zu überlegen: „Sind wir noch richtig unterwegs?“

Was bräuchte es, um das Christentum wieder neu aufleben zu lassen und auch für junge Menschen wieder interessant zu machen?
Man muss vor allem jungen und älteren Menschen klarmachen, dass das Christentum bei genauerer Betrachtung eine sehr große Praxisrelevanz hat, zum Beispiel im Bereich der Ethik und des Rechtes sowie der Gesetzgebung, der Menschenwürde, der Gleichbehandlung der Menschen, der Arbeitslosen- und Krankenversicherung, aber auch im Bereich der Spiritualität, die das Innenleben des Menschen stärkt und zur Klarheit führt. Das kommt alles aus einem bestimmten Menschenbild, aus dem Christentum. Eine Erneuerung des Christentums müsste auf mehreren Ebenen ansetzen: Auf der Ebene der Bewusstseinsschaffung. Auf welcher großen Kultur sitzen wir eigentlich? Dann auf der Ebene der besseren Selbstwahrnehmung: Wer bin ich, was ist meine Berufung, was meine Identität? Und auf der Ebene der neuen Herausforderung durch die Verunsicherung. Das Christentum soll Verunsicherung aufnehmen, aber den Menschen auch Lösungsmöglichkeiten anbieten, durch Gottvertrauen reflektieren und mit der Angst umgehen zu lernen, neues Vertrauen lernen.

Ein Neuaufbau des Christentums ist möglicherweise erst auf der Basis der Krise möglich. Auf einem zubetonierten Acker wächst kein Samen, sondern erst wenn er durch einen Pflug aufgerissen wird. Durch Krisen ist alles nicht mehr so festgefahren und sicher. Das beschreibt die jetzige Situation ganz gut. Der Pflug geht durch den Acker und reißt die zubetonierten und satt und reich gewordenen Strukturen wieder auf, dort hinein kann ein neuer göttlicher Samen gesät werden.

Inwieweit braucht es im Zuge des Neuaufbaus das viel diskutierte Kreuz im Klassenzimmer noch?
Das müsste auch neu entdeckt werden. Wir hatten 1.000 Jahre Kirchengeschichte ohne Kreuz. Das Kreuz ist ein Bereich des Christentums, aber nicht der ganze. Der Kreuzestod ist nicht ein Ausdruck der Brutalität Gottes, sondern der Ausdruck der Liebe Gottes. Gott will in der Person Jesu Christi den Menschen helfen und sie verstehen es nicht und bringen ihn dafür um. Ich würde sagen, dass zu unserer Kultur das Christentum gehört und deswegen auch Kreuze in den Klassenzimmern hängen sollten. Aber es müsste dazu erklärt werden, worum es geht. Mit dem Kreuz ist viel gedroht worden, in der Geschichte beispielsweise bei den Kreuzzügen und der Kolonialisierung, aber auch in der Erziehung von Kindern. Christentum soll Vertrauen schaffen. Das Problem ist, Bilder und Begriffe sind immer emotional aufgeladen. Wenn jemand einen sehr strengen Vater gehabt hat, der ihn vielleicht geschlagen hat, wird er das Vaterunser als Gebet schwer sprechen können. Das heißt, wir müssen diese Begriffe und Bilder wirklich neu positiv aufladen und erklären. Sonst machen bestimmte Zeichen mehr Angst, als dass sie eine Lebenshilfe sind.

Stichwort: Angst vor Islamisierung. Der Islam hat dieses Problem des Gläubigerschwunds derzeit nicht. Woran liegt das?
Noch hat der Islam das Problem nicht, aber vielleicht bald. Es gibt ähnliche Tendenzen, ein wenig zeitverschoben. Ich glaube nicht, dass ein aufgeklärter Muslim, der seit 40 Jahren in Österreich lebt und die Schätze einer Demokratie und der sozialen Systeme kennengelernt hat, wieder zurück nach Saudi Arabien kehrt, zu einem konservativen Islam.

Wie können verschiedene Religionen wie der Islam und das Christentum nebeneinander existieren?
Wenn wir alle, die Muslime, die Christen und die Juden, guten Willen zeigen. Wir müssen über Gottes- und Menschenbilder ringen und darüber, wie wir das umsetzen: „Ist Religion verträglich mit Demokratie?“ Ich halte als Christ – ohne andere abwerten zu wollen – natürlich das Christentum für die am besten geeignetste Religion.

Das wird natürlich jede Religion für sich beanspruchen.
Ja. Man muss nicht immer zum Einklang kommen. Aber wenigstens muss man sich gegenseitig respektieren. Das ist meine Zielvorstellung: Selbst wenn man den anderen nicht versteht oder anderer Meinung ist, soll man Respekt vor der Philosophie des anderen haben. Wir werden die Unterschiede nicht glätten können. Unterschiede können durchaus kreativ sein, wir müssen nicht einen Einheitsbrei anstreben, die Vielfalt der Kulturen der Menschen, die verschiedenen Sprachen und Religionen, das ist wertvoll. Dass wir uns gegenseitig respektieren und nicht umbringen, vielleicht sogar voneinander lernen, das halte ich für das oberste Ziel.

Buch Christ sein Was ist das?
© Styria Verlag

Zum Buch:
Matthias Beck
"Christ sein. Was ist das? Glauben auf den Punkt gebracht"
Styria Premium
ISBN: 978-3-222-13542-2
Seiten: 160 Hardcover
Preis: 19,90 Euro



Zur Person:
Matthias Beck wurde 1956 in Hannover geboren. Während seiner Studienzeit in Deutschland hat er Abschlüsse in Theologie, Philosophie, der Pharmazie und der Humanmedizin erworben. Heute ist er Buchautor, Mediziner, Pharmazeut, Philosoph und Theologe. Seit 2007 ist Beck außerordentlicher Universitätsprofessor für Moraltheologie mit dem Schwerpunkt Medizinethik an der Universität Wien. Außerdem ist er unter anderem Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben - "Pontificia Academia Pro Vita" und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt. 2013 erschien sein Buch "Glauben - Wie geht das? Wege zur Fülle des Lebens".

Kommentare

Henry Knuddi

ich glaube, es regnet morgen den ganzen tag und es dauert noch lange bis der herbst kommt
ist auch ein glaube - nicht ein klauben

Henry Knuddi

diese moscheee gehört abgerissen

Roland Mösl

Lateinisch relegere: "sorgfältig, überdenken, nachdenken, wiederholt bedenken, nachdenklich sein angesichts einer wichtigen Sache“. Der Glaube muss immer aufs Neue überprüft werden,

Dies würde zu einer Neubelebung des Christentums führen, zu einem neuen Leitbild für unsere Zivilisation. Doch leider weigern sich die Verantwortlichen in der Kirche strikt sich Neues auch nur anzuhören.

Ivoir

Wenn Ihr glaubt was ich glaube, glauben wir alle das gleiche.

Ferdinand Raunzer

Allein schon das 5 Gebot, du sollst nicht töten, für welche Glaubensrichtung oder Menschenrasse gilt es? Hat Gott nicht immer wieder die Feinde Israels, z B Landnahme, in die Hände der Juden gegebenen, die diese dann umbrachten. Passt für mich gar nicht zusammen. Es passieren so viele unerklärliche Dinge zwischen Himmel und Erde, die mich trotzdem an die Existenz von Geistwesen/Gott glauben lässt

Ferdinand Raunzer

Echtes Christentum gibt es schon lange nicht mehr. Beobachtet man die wenig verbliebenen Gläubigen wird vielfach nur religiöses Brauchtum gelebt. Nach der Lehre Jesus leben doch die wenigsten. Selbst die kath Kirche findet nicht die Kraft, sich glaubensinhaltlich zu erneuern. Das A T sollte die Glaubensgrundlage der Juden sein und bleiben und das N T alleinige Glaubensgrundlage sein.

annas

hallo martin, was schreiben sie für einen unsinn alles.... was soll das ganze.... haben sie nichts verstanden ? oder was ?

Martin J. H. Mair

Will der Theologe islamistischen Unsinn gar mit trivialkatholischen Unsinn bekämpfen? Siehe auch: Es braucht mehr Religion, um Extremismus zu bekämpfen http://hpd.de/artikel/es-braucht-mehr-religion-um-extremismus-bekaempfen-13442

Martin J. H. Mair

Eigentlich sind die Religiösen Gotteslästerer, denn woher nehmen sich Menschen mit endlichen Verstand und kurzer Lebensdauer über Gott in dessen Abwesenheit irgendwelche Behauptungen aufzustellen und für sich auch noch daraus Privilegien abzuleiten? Ich als Teil von Gott hab was dagegen ... ! ;-) Warum verbretiete NEWS solchen Unsinn?

Martin J. H. Mair

Wer das Christentum verstehen will schlägt besser nach bei Ludwig Feuerbach wo recht ausführlich erklärt ist, wie der Mensch sich seine Religion zusammen zimmert und warum diese menschlich, allzumenschlich ist.

Seite 1 von 2