Calixto Bietos aufwühlende Inszenierung von Richard Wagners "Tristan und Isolde"

Inszenierungen, die ein Werk von innen erklären, wie die Neuproduktion von Richard Wagners "Tristan und Isolde" an der Wiener Staatsoper, bringen den Begriff "Werktreue" wieder ins Spiel. Denn Calixto Bieito zeigt, wovon Wagner erzählt, von einer Liebe, die sich nicht leben lässt, von Sehnsucht und vom Schmerz, den diese Sehnsucht auslöst. Dass der Spanier dafür seine eigene, radikale, düstere Bildsprache verwendet, veranlasste einen Teil des Publikums zu Buhrufen. Aber das ist nichts Neues, im Gegenteil, das ist üble Tradition bei Opernpremieren, sagt aber nichts über das zu Betrachtende aus.

von
THEMEN:
"Tristan und Isolde" an der Wiener Staatsoper © Bild: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Bieito bildet Wille und Vorstellung ab, zeigt, was die Musik vorgibt. Bei ihm taucht, wie oft üblich, kein Schiff im ersten Aufzug auf, mit dem Tristan Isolde von Irland zu ihrem Zukünftigen, dem König Marke von Kornwall, bringt. Ein Großteil der Bühne (Rebecca Ringst) steht unter Wasser. Gitterroste markieren die schmalen Wege, auf denen man sich trockenen Fußes bewegen kann. Schaukeln baumeln von der Decke, manche werden benutzt. Tristan liegt zunächst unerkannt im Wasser, bis sich Isolde liebevoll auf ihn stürzt. Das aber geschieht nur in ihrer Vorstellung. Noch ist alles ein Spiel, wie bei Kindern, das könnte die Schaukeln erklären. Bei Bieito brauchen die Liebenden kein Getränk, das ihre Zuneigung zueinander auslöst. Der Liebestrank ist die Musik.

"Tristan und Isolde" an der Wiener Staatsoper
© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Im zweiten Aufzug tauchen zwei offene Räume aus dem Bühnenuntergrund auf. Die Bibliothek ist für Tristan, ein weißes Zimmer gehört Isolde, deren Dienerin Brangäne schlitzt zwei Fische auf, als würde sie diese kochen wollen. Takt für Takt erschließen sich diese Bilder. Tristan und Isolde dürfen nicht zusammenkommen, durch die Musik sind sie jedoch untrennbar miteinander verbunden. Aber nur in der Musik. Rasend randaliert Tristan in seinem Raum, verwüstet die Einrichtung, die beiden Liebenden reißen die Tapeten ab. So können sie einander wenigstens sehen. Da folgt Bieito ganz klar dem Wagner’schen Text. "Die alte Weise sagt mir’s wieder: sehnen ... und sterben! Nein! Ach, nein! So heißt sie nicht! Sehnen! Sehnen! Im Sterben mich zu sehnen, vor Sehnsucht nicht zu sterben!", singt Tristan.

Dieses Sehnen manifestiert sich in diesen Szenen in aller Deutlichkeit. Mit Höchstpräzision ist alles aufeinander abgestimmt. Tristan stürzt sich bei Bieito nicht ins Schwert Melots, als dieser mit König Marke auftaucht, er schneidet sich schon vorher die Pulsadern auf, wie auf Stichwort kommt König Marke und fragt Tristan: "Tatest du’s wirklich?" Auf den Punkt genau ist das inszeniert. Zwei kleine Mädchen drücken dann Isolde Kleid und Mantel in die Hand. Das ist, als ob zwei Repräsentanten aus einer Welt, in der Eros noch keinen Zutritt hat, sie zur Vernunft riefen. Dann im dritten Aufzug ein Bild der Verwüstung, zerstörte Möbel, dazwischen der sterbende Tristan. Blutüberströmt rafft er sich immer wieder auf, verfällt dem Wahn und seinen Traumbildern. Da treten komplett entblößte Menschen auf, die man als Symbol einer naiven Liebe sehen könnte. Am Ende drapiert Isolde Tristan an einem weißen Esstisch, nimmt ihm gegenüber Platz, die Idylle der Zweisamkeit können sie nicht mehr leben.

"Tristan und Isolde" an der Wiener Staatsoper
© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Für ein solches Szenario braucht man ausdrucksstarke Darsteller wie Andreas Schager. Er verausgabt sich bis zum Letzten als Tristan, darstellerisch und auch stimmlich und verfügt über die Qualitäten eines echten Heldentenors, gibt sich seiner Spielfreude hin, verausgabt sich exzessiv, was ihn im dritten Aufzug an stimmliche Grenzen führt. Ähnliches ist auch von Martina Serafin zu berichten. René Pape hält sich als Marke zurück, Iain Paterson ergänzt achtbar als Kurwenal. Ekaterina Gubanova überzeugt nicht als Brangäne. Josh Lovell, Martin Häßler, Clemens Unterreiner leisten Bestes in den kleineren Rollen. Es dauert aber, bis etwas von der Kraft dieser Partitur zu spüren ist. Philippe Jordan, der in diesen Tagen auch den "Rosenkavalier" dirigiert, hält die Sinnlichkeit straff im Zaum. Das Publikum feierte ihn und seine Darsteller.