'Bühnen-Kaspar-Abgang': EAV-Mastermind Thomas Spitzer kündigt Band-Ausstieg an

Deutliche Worte: "Band als Dienstleistungs-Kombo" "Jede Pflichtwuchtl ist ein Canossagang für mich"

Ab 3. März geht die Erste Allgemeine Verunsicherung wieder on tour, die neue CD kommt bereits am 5. Februar. Im Interview rechnet Mastermind Thomas Spitzer mit der Mutantenstadlkultur ab und erklärt, warum er nach der Tour bei der EAV aussteigt.

'Bühnen-Kaspar-Abgang': EAV-Mastermind Thomas Spitzer kündigt Band-Ausstieg an

Im Bild: EAV-Gitarrist Thomas Spitzer (r.) mit Sänger Klaus Eberhartinger.

FORMAT: Mit Textzeilen wie „Ohne Hirn, mit viel Geduld wird aus jeder Scheiße Kult“ gehen Sie auf der neuen CD mit der Unterhaltungsbranche hart ins Gericht, sind aber selbst Bestandteil der Maschinerie. Ihr „Afrika“-Song ist Kult, Sie selber haben ein Haus in Kenia, jetzt gibt es Texte über Tanzklone, wie auch Klaus Eberhartinger erfolgreich einer war. Wie weit geht die Selbstironie?
Spitzer: Wie jeder Begriff ist auch die Unterhaltung ein weites Land mit sonnigen Hügeln und düsteren Tälern. Ich unterhielt mich stets prächtig bei Reich-Ranickis literarischem Quartett oder bei Elke Heidenreich, als sie noch durfte. Die Mehrheit tut’s aber doch lieber beim „Mutantenstadl“. Ähnlich uneindeutig verhält es sich auch mit Afrika, und gar vielschichtig sind die Beweggründe, diesen schönen Kontinent zu besuchen: Von Kolonialherren über sich peinlich produzierende Touris bis hin zu Männern wie Karlheinz Böhm waren dort schon die unterschiedlichsten Menschen tätig. Und der beste Beweis dafür, dass einer, der es in den Beinen hat, es auch im Köpfchen haben kann, ist in diesem Land wahrscheinlich Klaus Eberhartinger. Wenngleich ich persönlich bei Sendungen wie „Dancing Stars“ auch als Reinkarnation von Fred Astaire unter keinen vorstellbaren Umständen auftreten würde.

"Was allen schmeckt, ist selten genießbar"
FORMAT: Die EAV steht dafür, gesellschaftliche Phänomene in humorvoller Leichtigkeit mit Biss, aber ohne erhobenen Zeigefinger, rüberzubringen. Sehen Sie sich in der Tradition eines Nestroy?
Spitzer: Sich selbst in der Tradition eines so zeitlosen wie humorvoll-tiefsinnigen Beobachters wie Nestroy zu sehen wäre vielleicht noch keine dreiste Blasphemie, aber doch ein bissl so, als würde man am Tisch der Literaturgötter des Austro-Olymps, getrieben vom eigenen Geltungshunger, einem ganz Großen das Schnitzel aus der Panier ziehen wollen.
FORMAT: Jeder der Generation 30 plus kennt aus seiner Kindheit Passagen von EAV-Lyrics. Fühlen Sie sich stolz, etwas zur literarischen Fortbildung Ihres Publikums geleistet zu haben?
Spitzer: Wenn jemand behauptet, er schäme sich seines Erfolges, so lügt er. Wenngleich mir Erfolg, der zu sehr in die Breite geht, schon immer verdächtig vorkam, denn was allen schmeckt, ist selten genießbar. Man denke nur an die großen Popstars der Menschheit: Hitler, Dieter Bohlen, Papst Benedikt und andere pathologische Fälle … Wenn ich nach etwas literarisch Brauchbarem in meinen Texten grabe, finde ich es hin und wieder in den unbekannteren Liedern der EAV, selten aber in den sogenannten EAV-Hits, die möglicherweise mit schuld dran sind, dass Österreich PISA-mäßig wie ein schiefer Turm dasteht – mich schaudert’s!

"Politik in akrobatischer Schräglage"
FORMAT: Politisch stand die EAV immer für starke Aussagen & Haltung: vom „Burli“ bis zum Waldheim-Song. Macht die aktuelle Situation nicht manchmal mutlos?
Spitzer: Die Politik befindet sich in einer derart akrobatischen Schräglage, dass sie schon wieder Bewunderung verdient, wenn sie behauptet, sie hätte alles im Griff. Wäre ich mehr Zyniker als Strache-Gegner, würde ich sagen: Jedes Volk bekommt, was es verdient. So schäme ich mich eben nur für manche österreichischen Wahlergebnisse, wenn wir im Ausland auf Tour sind.
FORMAT: Manche der neuen Texte wirken ernsthafter als bisher gewohnt. Ist der Kantengang, bestimmte Themen in der Leichtigkeit eines Kinderliedes zu transportieren, schwerer geworden?
Spitzer: Entweder fällt mir der Nettigkeits-Spagat mit zunehmendem Alter immer schwerer, oder ich werde zum Leidwesen der Plattenfirma und mancher Bandmitglieder doch noch erwachsen.
FORMAT: Das neue Album ist am Puls der Zeit, von den Watschen gegen das Trottel-TV über Obama, die Klimakrise bis hin zum Esoterrorismus: Hat die EAV eine Mission?
Spitzer: Ein neues EAV-Album kann immer nur das widerspiegeln, was die Realität bereits vorgibt; ergo gebührten Letzterer eigentlich die Spitzer-Tantiemen – aber ich muss ja auch von was leben! Die einzige Mission, die ich schätze, ist die Bahnhofsmission, denn sie will keinen zu seinem Glück – denn das heißt meistens auch in die Knie – zwingen.

Satire mit der Motorsäge
FORMAT: Die EAV hat den Begriff Rock-Kabarett neu definiert. Hat sich das Format der Rock-Comic-Band weiterentwickelt?
Spitzer: Den Markt der späten Siebziger bis Mittachtziger, auf dem sich bunte Schausteller wie Jango Edwards, die EAV, Drahdiwaberl oder die Hallucination Company zur Freude Latz-behoster Müslifreaks herumtrieben, gibt es zwar in dieser alternativen Form nicht mehr, er wird aber von Schrägvögeln wie Helge Schneider noch immer großartig bedient.
FORMAT: Wie definieren Sie Satire, und wie ist es derzeit um sie bestellt?
Spitzer: Satire ist das Sezierbesteck des philosophischen Zeitgeist-Chirurgen, doch heute wird vorwiegend von Fleischhauern mit dem Fallbeil und der Motorsäge operiert. Satire hat nichts mit Hohn und Spott zu tun, die ja bekanntlich die Lieblingskinder der Unwissenheit sind.
FORMAT: Die EAV ist auch in Deutschland erfolgreich, spielt dort demnächst 16 Konzerte. Beobachten Sie Ihrerseits die deutschen Comedians nach dem Motto „Kann denn Schwachsinn Sünde sein“?
Spitzer: Die Comedyszene von heute, vor allem die deutsche, unterläuft uns offenen Hosentürls mit derart großzügigen Unterleibsgeschenken, dass jedem Witzbold vor Scham das Lachen vergeht – aber zum anderen geraten dadurch echte Kabarett-Künstler wie Hader oder schrullige Humor-Anarchisten à la Alf Poier zu einem rettenden Luft- bzw. Gruftröhrenschnitt.

Dienstleistungs-Kombo statt Gesinnungskollektiv
FORMAT: Sie haben früh ein eigenes Bühnenshow-Format geprägt, mit exaltierter Lichttechnik gearbeitet: Wie wichtig ist die musiktheatralische Ebene heute?
Spitzer: Das theaterhafte Element der früheren EAV, wo ein Großteil der Platteneinnahmen in Bühnenbild, künstlerisches Lichtdesign und Kostüme gesteckt wurde, vermisse ich persönlich in der Band wohl am meisten. Es ist aber heute leider nicht mehr finanzierbar. Punkten kann man im heutigen Meer der Reizüberflutung wohl am besten, wenn man, bar jeden Tiefgangs, unten wie oben ohne auftritt und auf der Bühne kopuliert.
FORMAT: Die alten Hadern kommen bei den Konzerten immer am besten an. Was hat für Sie selbst noch Bestand, was würde die Band auf keinen Fall mehr spielen?
Spitzer: Die heutige Band, die für mich als Ur-EAVler leider schon lange kein Gesinnungskollektiv mehr ist, würde als Dienstleistungs-Kombo bedauerlicherweise fast alles spielen, was Kohle bringt. Dass die alten Hadern auch heute noch am besten ankommen, liegt in der Natur des Rezipienten, der sich nur schwer mit Neuem anfreunden will. Ernst nehme ich nach nunmehr drei Jahrzehnten EAV noch immer jede neue CD, sprich: das Texten wie das Komponieren, sowie jedes neue dazugehörige Bühnenprogramm inklusive Bühnenbild und Kostümen, wie etwa das jetzige, das ich für die im März beginnende „Helden“-Tour gerade versuche, auf die Beine zu stellen.

Mut für die Post-"Bühnen-Kaspar"-Ära
FORMAT: Inklusive alter Hits?
Spitzer: Auch wenn die Musiker der EAV die alten Hits heute absolut rockig interpretieren, ist jede der obsoleten Pflichtwuchtln ein kleiner Canossagang für mich, jede Gala ein Gang aufs Schafott, jeder TV-Auftritt bei Schlagersendungen der Seelentod und jedes Bierzelt das Selbstwert-Graberl, das ich mir schwerer schaufle als andere. Dies sind auch die Hauptgründe, warum ich mich nach Abschluss des konzertanten „Helden“-Tour-Abschnitts im Mai vorerst einmal von der Bühne zurückziehen werde.
FORMAT: Ein Leben ohne EAV?
Spitzer: Ich hoffe, nach meinem Abgang von der EAV als Bühnen-Kaspar endlich für das mehr Zeit zu finden, was ich immer schon bevorzugt machen wollte: wieder malen, wiederum, wie in früheren Jahren, mit hungrigen jungen Künstlerseelen Theatergeschichten unzensierten Inhalts entwickeln können, meine Bücher schreiben, endlich ein sehr persönliches Soloalbum fertig stellen, bei dem mir weder eine Plattenfirma noch sonst wer dreinquasseln kann – kurz, kompromisslos ich sein dürfen: Was lange gärt, wird endlich Mut!

Befreiung aus dem "EAV-Tralala-Korsett"
FORMAT: Sie sind ja nicht nur der EAV-Texter, sondern auch für das gesamte Artwork zuständig. Warum haben Sie erst 2008 das erste Mal Ihre Arbeiten abseits der EAV gezeigt?
Spitzer: Schon Ende der Neunzigerjahre, als mir das alte EAV-Tralala-Korsett jede ernste Idee abzuschnüren drohte, begann ich aus absoluter Unzufriedenheit heraus zu zeichnen, zu malen, für mich zu schreiben, andere Musik zu machen, und bemerkte, dass so ziemlich alles, was ich abseits der EAV tue, mir mehr Freude macht, als dem zu genügen, was andere von mir erwarten bis fordern. Dass ich dann erst nach zehn Jahren, von meinem ehemaligen Kunstakademie-Lehrer und Freund, dem Maler Gerald Brettschuh, mehr genötigt als freiwillig, erstmals ausstellte, liegt daran, dass mir im Grunde die Öffentlichkeit ziemlich am Arsch vorbeigeht, obwohl es sich, wie in meinem Glücksfalle, gut von ihr leben lässt.
FORMAT: Auf welchen Song sind Sie rückblickend am meisten stolz?
Spitzer: Nach dem Motto „Besser von wenigen geachtet, als von der Masse bejohlt“ machen mich diejenigen Songs stolz, die meiner Tochter und den wenigen Menschen, auf deren Urteil ich Wert lege, gefallen. In den Hitparaden waren solche Songs aber nie zu finden. Die Lieder, die mir ganz dicht am -Herzen liegen, liegen mit der gleichen Beharrlichkeit seit Jahren in der Schublade, da sie außer einigen Ausnahmen seit dem „Frauenluder“-Album für die momentane EAV kaum geeignet zu sein scheinen.

Spitzers Band-Beziehungsgeheimnis
FORMAT: Nach Erfolgen diverser Jukebox-Musicals von Abba bis Udo Jürgens – wo bleibt da das EAV-Musical?
Spitzer: Es ist ein lang gehegter Wunsch von mir, eine Zweitauflage des EAV-Klassikers „Cafe passé“ in Form eines Musicals auf die Bühne zu bringen, in welchem statt der ehemaligen Helden von Woodstock die EAV auf ihrem verführerischen Weg durch die Musikindustrie selbstironisch aufs Korn genommen wird. Klaus und ich im Zuhälter- und Nuttengwand in der Stretchlimousine, welche nach dem Höhenflug in den Pophimmel wieder zum Smart schrumpft – das kann ich mir großartig vorstellen.
FORMAT: 33 Jahre EAV, 29 davon gemeinsam mit Klaus Eberhartinger. Was ist das Geheimnis Ihrer glücklichen Bandbeziehung?
Spitzer: Zweckgemeinschaften haben viel mit den meisten Ehen gemeinsam: Man benötigt sich gegenseitig, und man täuscht ein Grundmaß an Respekt vor. Glück sucht und findet man woanders.

Eberhartinger: "Mick-fast-alles-Jagger"
FORMAT: Sie werden 57 Jahre, Klaus Eberhartinger feiert heuer den 60er. Wie steht es mit den Branchen-Mythen von Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll?
Spitzer: Ohne einen anmaßenden Vergleich strapazieren zu wollen, ist Klaus für mich der geschäftstüchtige, sportive „Mick-fast-alles-Jagger“ der EAV, der, zu Lebzeiten bereits zum Dancing Sir geadelt, sich immer wieder kopfschüttelnd fragt, warum sein Antipode Keith Spitzer noch immer am Leben ist. Obwohl ich eine große Empathie für Ozzy Osbourne und Iggy Pop in mir trage, sind bei uns zumindest die Drogen lange schon kein Thema mehr. Ganz selten nur, dass sich ein Lichttechniker hinter einer Box verstohlen einen Kleinen durchzieht – was ist nur aus dem guten alten Rock ’n’ Roll geworden?
FORMAT: Haben Sie nie Angst, sich selbst zu recyceln, nicht mehr an vergangene Höhenflüge anschließen zu können?
Spitzer: Nur wer bereits hoch gestiegen ist, hat das Privileg, tief zu fallen. Bungee-Jumper müssen dafür zahlen. Der Herr Ambros hat zu Zeiten, als die EAV erfolgsmäßig im Zenit war, einmal zu mir gesagt: „Nur wer von der Bühne einer 10.000er-Halle den Weg zurück auf eine kleinere findet, hat es als Musiker wirklich geschafft.“ Recht hatte er. Wer sich nicht selbst recyceln oder bis ans Lebensende seine eigene Hitparade spielen will, der muss seinen Stil ändern oder, wie ich, die Band wechseln.

Interview: Michaela Knapp

Neue CD und Tour: „Neue Helden braucht das Land“ (Sony, € 14,95) kommt am 5. 2. in den Handel, hat aber nach den Vorbestellungen schon Goldstatus. Die EAV ist mit der neuen CD ab 3. 3. wieder on Tour (29. 4., Wr. Stadthalle).