Bill Gates - Im Visier der Verschwörungstheoretiker

Die Gerüchte sind zahlreich: Impfzwang. Mikrochips. Ein Virus aus seinem Labor. Microsoft- Milliardär Bill Gates ist Zielscheibe zahlreicher Verschwörungstheorien. Warum eigentlich?

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Gerüchte - Bill Gates - Im Visier der Verschwörungstheoretiker

Er trägt einen blauen V-Pulli und lächelt viel. Das Licht im Zimmer voller Bücherwände ist angenehm gedämpft, das Interieur gediegen, aber nicht protzig. Bill Gates beantwortet brav banale Fragen nach seinem Lieblingsessen ("Hamburger"), Lieblingssnack ("Nüsse"), Lieblingstier ("Hund") oder dem favorisierten Frühstück ("nichts"). Auch Tiefergründiges scheint der zweitreichste Mann der Welt zuzulassen. Nach seiner größten Angst befragt, sagt er: "Dass mein Hirn nicht mehr funktioniert."

Selten gewährte Gates, dessen Vermögen auf 100 Milliarden Dollar geschätzt wird, derart tiefe Einblicke wie in Davis Guggenheims aktueller dreiteiliger Netflix-Dokumentation "Der Mensch Bill Gates". Darin gibt sich der zuvor vor allem als berechnender Unternehmer und arrogantes Software-Genie verschrieene Microsoft-Gründer überraschend privat.

Paddeln, Puzzles, die prägende Mum

Man ist dabei, wenn der 64-Jährige mit seiner Frau Melinda beim Paddeln entspannt und beide konzentriert ein Puzzle legen. Beim Spazierengehen in den Wäldern Washingtons und der Wüste New Mexicos erzählt er von seinem Arbeitsethos und vom schlimmsten Tag seines Lebens, als seine Mutter an Brustkrebs starb.

Mary Maxwell Gates hat dem Sohn soziales Engagement vorgelebt. Nach ihrer Hochzeit mit einem erfolgreichen Anwalt war die Lehrerin Vorstandsmitglied in zahlreichen Unternehmen, aber vor allem wohltätig engagiert, etwa bei der Non-Profit-Organisation "United Way National", die sich für Gesundheit, Bildung und wirtschaftliche Stabilität jedes Gesellschaftsmitglieds einsetzt. In einer Rede sprach sie sehr differenziert über ihren Blick auf Erfolg: "Jeder muss seine Definition von Erfolg entwickeln. Wenn wir die Erwartungen, die wir an uns stellen, definiert haben, werden wir sie eher erfüllen. Letztendlich ist nicht wichtig, was man bekommt oder was man gibt, sondern was aus einem wird."

Bill Gates, der angeblich 150 Seiten in einer Stunde liest, wurde nach seiner Microsoft-Zeit zum Wissensjunkie. In einer eigens dafür ausgerichteten Tasche trägt er stets kiloweise komplexe Fachliteratur über Immunologie, Weltarmut oder Energie mit sich herum, darunter einen Wälzer von Robert Sapolsky ("Behave") über die Entstehung und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Gewalt oder Matthew Desmonds Analyse über den Kampf von Familien gegen die Obdachlosigkeit nach der Weltwirtschaftskrise 2008 ("Evicted").

Das filmische Portrait soll Gates nicht nur überdurchschnittlich klug und witzig zeigen, sondern empathisch und selbstkritisch. Das Ziel über allem ist ganz deutlich: sein unbedingter Wille zur Optimierung der großen Weltprobleme.

Alles für eine Impfung

Für das größte akute weltweite Problem, Covid-19, legt er sich im Moment besonders ins Zeug. Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung -die größte gemeinnützige Stiftung der Welt -ist Geldgeber von acht Projekten, die an einem Impfstoff forschen, um die Pandemie zu stoppen. Das deutsche Biotech-Unternehmen Biontech aus Mainz liegt angeblich weit vorne bei der Entwicklung. 2008 wurde Biontech vom Krebsspezialisten Uğur Şahin und dem Immunologen Christoph Huber gegründet. Vor zwei Wochen erhielt das Unternehmen die behördliche Zulassung zu ersten klinischen Studien für ein Corona-Impfprogramm. Gates war einer der Ersten, die in das Projekt investierten. Eine Impfung zu finden, ist "der einzige Weg, die Welt wieder zu dem Ort zu machen, der er vor Covid-19 war", schrieb Bill Gates Ende April in seinem Blog "Gatesnotes".

»Nur eine Impfung macht die Welt wieder zu einem Ort, der sie vor Covid-19 war«

Insgesamt waren es laut eigenen Abgaben bereits 300 Millionen Euro, die Bill und Melinda Gates über ihre Stiftung in den Kampf gegen das Virus investierten. Neben dem Ehepaar Gates kommt das Stiftungsvermögen von milliardenschweren Philanthropen wie dem Gates-Freund Warren Buffet. Bill und Melinda Gates waren auch an Bord, als sich die Staatspräsidenten der EU und weiterer Länder mit der WHO über den vereinten Kampf gegen Corona austauschten.

Kein Wunder, ist die Stiftung doch nach den USA zweitgrößter Geldgeber der WHO - und die USA kündigten bekanntlich an, ihre Zahlungen einzustellen. Es sollen 2,4 Milliarden Dollar gewesen sein, die die WHO in den letzten 20 Jahren seit Stiftungsgründung bezogen hat. So viel Macht erzeugt Misstrauen.

Zielscheibe wirrer Gerüchte

"Kill Bill" ist der Schlachtruf von Demonstranten, die auf die Straßen gehen, um vor angeblich üblen Machenschaften des Milliardärs und seiner Stiftung zu warnen. Die "New York Times" berichtet von Verschwörungstheorien über Gates in sozialen Netzwerken, die seit Ausbruch der Pandemie 1,2 Millionen Mal erwähnt wurden.

Die Legenden sind vielfältig. Da ist jene, die erzählt, Gates selbst habe Covid-19 erfunden, um mit dem Impfstoff ein Vermögen zu verdienen. Dass der Geschäftsführer der Gates-Impfallianz Gavi, Seth Berkley, sich öffentlich dafür ausgesprochen hat, einen Impfstoff ohne Gewinnabsicht zur Verfügung zu stellen, und dass Pharmaunternehmen erst nach Ende der Krise damit verdienen dürften, lassen Verschwörungstheoretiker dabei unbeachtet.

Sie weisen lieber darauf hin, dass Bill Gates 2015 in einer TED-Rede über das Ebola-Virus warnte: "Wenn wir es versäumen, uns auf eine Pandemie vorzubereiten, könnte die nächste ein Virus sein, bei dem sich die Menschen, obwohl sie infiziert sind, so gut fühlen, dass sie in ein Flugzeug steigen." Ein Beweis dafür, dass Gates Corona plante? Oder doch nur die Folge davon, dass Gates mit seiner Stiftung seit 20 Jahren an Krankheiten, ihrer Verbreitung und an Impfprogrammen forscht? Vier Milliarden Dollar hat die Stiftung laut eigenen Angaben für Impfprogramme bereitgestellt. Impfungen gehörten zu seinen ersten Investitionen, so Gates, "weil sie alle Kinder schützen, egal, wie arm oder reich sie sind".

»Dies ist eine verrückte Situation, und so gibt es eben auch verrückte Gerüchte«

Gates-Gegner vermuten in der Impfforschung freilich anderes: Der Milliardär wolle Menschen weltweit im Zuge einer Impfung Mikrochips einpflanzen lassen, um so die absolute Datenkontrolle zu erlangen, so ein weiteres Gerücht. Dabei wird dem Philanthropen eine Aussage in einem "Reddit"-Interview Anfang des Jahres zum Verhängnis. Auf die Frage, wie die Wirtschaft wieder angekurbelt werden soll, ohne dass sich erneut viele Menschen anstecken, sagte er: "Irgendwann werden wir digitale Zertifikate haben, aus denen hervorgeht, wer sich erholt hat, wer getestet wurde oder - wenn es einen Impfstoff gibt - wann geimpft wurde." Dass seine Stiftung Forschungen im digitalen Bereich betreibt, mit dem Ziel, via Infrarot über die Hautoberfläche den Impfstatus einer Person zu bestimmen, und Mikrochips als Verhütungsmethode erforscht, ließ sich danach gut zur Verschwörungstheorie vermantschen.

Faktenchecker wie in den USA "Factcheck.org" oder auch von der Nachrichtenagentur Reuters beschäftigten sich mit dieser Theorie und entlarvten sie als Falschmeldung. Das Gerücht, dass die Gates-Stiftung das Coronavirus entwickelt habe und sogar gleich patentieren ließ -es gibt ein einsehbares Patent -, klärten die Faktenchecker der Agentur AFP auf: Bei dem Patent, das ein von der Stiftung gefördertes Institut angemeldet hat, handelt es sich um die Forschung nach einem Impfstoff gegen ein Geflügelvirus aus der großen Familie der Coronaviren. Dabei wird - wie in der Immunologie üblich -der Erreger verändert, um seine Wirkung abzuschwächen.

Aufgeben gibt es nicht

Bill Gates absolviert aktuell eine nie dagewesenen Medienoffensive. In Dutzenden Interviews erklärte der sonst zurückhaltende Unternehmer die Pandemie und warum er eine Impfung für unabdingbar hält. Nur als die "New York Times" ihn zu den einzelnen Verschwörungstheorien befragen wollte, lehnte er ab. Sein einziges Statement dazu stammt aus einem Interview mit dem chinesischen Fernsehsender GCTN. "Ich erachte es als Ironie, dass dies jemanden betrifft, der sein Bestes gibt, um die Welt zu wappnen. Jemanden, der Milliarden Dollar investiert, um Werkzeuge gegen Infektionskrankheiten zu finden, vor allem solche, die Pandemien auslösen. Aber dies ist eine verrückte Situation, und so gibt es eben auch verrückte Gerüchte", so Gates zur Legende, das Virus stamme aus seinen Forschungen.

Diese Gerüchte werden Gates kaum beeinflussen, denn Widerstand ist für den Mann höchstens Ansporn. So viel macht er in der Netflix-Doku klar: "Manchmal muss man aufgeben. Aber manchmal muss man einfach zugeben, dass man sich mehr anstrengen muss."

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 20/20