Betteln: Straßenzeitung als Schutz

Immer mehr falsche Verkäufer - Experten klären auf, was hinter Entwicklung steckt

von
Armut - Betteln: Straßenzeitung als Schutz

Statistisch gesehen sind laut Wiener Polizei im Jahr 2013 insgesamt 1.618 Anzeigen im Zusammenhang mit Bettelei in Wien eingegangen, von Jänner bis März 2014 waren es 293 Anzeigen. Rumänische Staatsbürger stellen nach Angaben von Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle Menschenhandel im Bundeskriminalamt, derzeit den größten Anteil an Bettlern, daneben spielen noch heimische, slowakische und bulgarische Bettler eine Rolle.

"Die Erfahrung zeigt, dass es überall in Österreich Bettler gibt, trotz Gesetzesverschärfungen", sagt Marion Thuswald von der "Bettellobby Wien". "Verbote bringen nichts, außer dass mehr gestraft wird und die Bettler in Wien in die Außenbezirke verdrängt werden".

Zeitung als Mittel zur Anerkennung

Für viele Bettler sei es erstrebenswert Straßenzeitungen zu verkaufen, um sich Legitimität und gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, so die Expertin. "Es ist der Versuch sich gegen Repressionen zu schützen", sagt Thuswald. Aus diesem Grund gebe es viele Missformen, wie die Bettelei mit Straßenzeitungen.

Die Grenzen zwischen Bettelei und Straßenzeitungsverkauf verwischen so. Und das regt die Kunden auf. Sie fühlen sich hintergangen, wenn eine Zeitung mehrmals angeboten oder eine alte Zeitung verkauft wird.

Durch diese Entwicklung "geht das Vertrauen in den 'Augustin' ein bisschen verloren", sagt "Augustin"- Redakteurin Lisa Bolyos. In den letzten Jahren sei es vermehrt vorgekommen, dass die Straßenzeitung auch von Leuten verkauft wird, die keine offiziellen "Augustin-Verkäufer" sind. Aktuell verkaufen rund 500 "Augustin"-Kolporteure regelmäßig die Zeitung, sie besitzen einen Ausweis. Die Nachfrage nach den Ausweisen sei groß, doch dem "Augustin" seien Grenzen gesetzt. "Wir sind bereits am Maximum angelangt, das die Kollegen an Sozialarbeit leisten können", berichtet Bolyos. Sie spricht ebenfalls davon, dass die Bettler durch die Straßenzeitung eine gewisse Legitimation erreichen können, um im öffentlichen Raum anerkannt zu werden.

Für die Straßenzeitung eine paradoxe Situation: Auf der einen Seite stehen die eigenen Verkäufer, auf der anderen Seite steht die Armut jener Menschen, die ihren Lebensunterhalt durch Betteln bestreiten. Die Mitarbeiter von "Augustin" versuchen die Kunden daher in Hinblick auf mehr Eigenverantwortung zu sensibilisieren. Die Käufer sollen selbst entscheiden können, wem sie ihr Geld anvertrauen.

Ähnlich wie beim "Augustin" gestaltet sich die Situation bei der Straßenzeitung "MO", ein Kolportageprojekt von SOS Mitmensch. Auch dort ist das Problem der falschen Verkäufer kein unbekanntes, auch dort ist die Nachfrage an Ausweisen größer, als das Angebot, berichtet Bernhard Spindler, Mitarbeiter des Straßenzeitungsprojekts. Das Prinzip ist das Gleiche wie beim "Augustin". 2,50 Euro kostet die Zeitung, die eine Hälfte davon kommt den Verkäufern zugute, die andere fließt in die Produktion der Zeitung. Rund 50 bis 70 aktive Verkäufer - zurzeit vor allem rumänische Staatsbürger - sind durchschnittlich unterwegs, im Sommer etwas weniger. Ein guter Verkäufer vertreibt an die 40 Zeitungen pro Woche und verdient sich so 50 Euro. "Das ist bereits das Maximum. Also reich wird damit sicher keiner", sagt Spindler. Und trotzdem ist der Straßenzeitungsverkauf ein heiß begehrtes Terrain: Einige erbetteln die Straßenzeitungen sogar oder verwerten einfach alte Exemplare wieder.

Von der Entkriminalisierung zur Arbeit

Doch was kann man tun, um dieser Zwickmühle zu entkommen? "Wenn man das Betteln entkriminalisieren würde, dann bräuchte es diese Missformen nicht mehr", teilt Marion Thuswald mit. Es sei geradezu ironisch, dass es erstrebenswert sei, so einen prekären Einkommenserwerb wie Straßenzeitungsverkauf anzustreben. Und selbst die Straßenzeitungsverkäufer werden von der Polizei immer wieder abgestraft, wie die Mitarbeiter von "Augustin" und "MO" mitteilen. Wer an einen strengen Polizeibeamten gerät, muss zahlen, wenn die Zeitung im Sitzen oder mit Hund verkauft wird. Wer Fußgänger behindert, muss nach Straßenverkehrsordnung (StVO) ebenfalls zahlen. "Die Strafhöhe liegt erfahrungsgemäß zwischen 30 und 50 Euro, oft auch mehr", sagt Spindler. Wird nicht rechtzeitig Einspruch erhoben, müssen die Verkäufer selbst in die Taschen greifen. Entkriminalisierung lautet das Zauberwort also ebenso beim Straßenzeitungsverkauf.

"Die Verbote bewirken nur, dass Bettler jetzt vermehrt herumgehen anstatt zu sitzen, damit sie schneller verschwinden können", erklärt Thuswald. Das Herumgehen werde von vielen Passanten jedoch als lästig und aggressiv wahrgenommen. Es müssen also andere Lösungsmöglichkeiten als Verbote gefunden werden. Und die Experten sind sich einig: "Eine produktive Lösung ist der Zugang zum Arbeitsmarkt", sagt "Augustin"-Redakteurin Bolyos. Noch passiert in der Richtung nicht viel. "Oft sind die Deutschkenntnisse nicht perfekt, die Bildung ist nicht gut, manche können kaum Lesen und Schreiben, und natürlich spielen Vorurteile und Diskriminierung eine Rolle", teilt Spindler mit.

Unwort Bettelmafia

In Österreich misstraut man den Bettlern eben mehr, als man vertraut. Laut einer "profil"-Umfrage vom Mai 2014 glauben 88 Prozent der Österreicher, dass hierzulande eine Bettelmafia am Werk ist. Dabei geht selbst die Polizei davon aus, dass Bettler nur in seltenen Fällen Opfer von Menschenhändlern sind. Gerald Tatzgern spricht in diesem Zusammenhang von der kleinsten Gruppe der Bettler. "Die sogenannten Bettel-Banden bestehen aus Nachbarn und Familienmitgliedern", sagt "Bettellobby Wien"-Vertreterin Thuswald. Das Bestehen einer mafiösen Struktur weist sie vehement zurück.

Die Polizei spricht zwar nicht von einer Bettelmafia, aber von organisiertem Betteln, das entweder innerhalb oder außerhalb der Familienbande passiere, wie Tatzgern mitteilt. Das reiche von Zuweisungen der Bettel-Plätze bis hin zum Organisieren und Zuteilen von Schlaf- und Wohnmöglichkeiten. Für diese Art der Organisation kassiere diejenige Person, die nach Erfahrungen der Polizei zumeist selbst betteln geht, zusätzliches Geld ab. Organisiertes Betteln sei allerdings schwer nachzuweisen und es sei fraglich, inwieweit man in diesen Fällen von Ausbeutung sprechen kann.

Lohnendes Geschäft?

Menschen, die sich auf den Arbeitsmarkt und staatliche Hilfen - in ihrem Land und in Österreich - nicht verlassen können, seien praktisch auf ihre sozialen Netzwerke angewiesen, legt Thuswald die Position der "Bettellobby Wien" dar. "Hintermänner gibt es nicht. Es gibt maximal Vermieter in Österreich, die die Bettler mit horrenden Mieten ausbeuten", so die Expertin.

Die Bettler wohnen daher oft zu mehreren Personen in winzigen Zimmern. Laut einer Studie erhalten Bettler in Österreich zwischen 20 und 30 Euro pro Tag, Menschen mit Behinderung etwas mehr, wie die Caritas in einer Aussendung vom Mai 2014 mitteilt. Aber rentieren muss es sich doch, oder? Für arme Menschen zahle es sich durchaus aus, so Thuswald. Denn wenn vom erbettelten Geld im Monat 100 Euro übrig bleiben, ist das für rumänische oder bulgarische Verhältnisse bereits viel Geld.

Kommentare

RobOtter

Wenn Bettler eigens in dieses Land einreisen um Geld mit dem Zeitungsverkauf zu verdienen, hat dieses Projekt keine Lebensberechtigung mehr. Wenn dann Wohnungsmisstände mit diesem Problem einhergehen muss man schon fragen dürfen ob der Zeitungsverkauf nicht sogar verboten werden sollte.

Praetorianer

nix kaufen , nix geben, wenn keiner etwas gäben würden dem gsindel, na dann würdens a net da bleiben,.,....

Thomas Gubier

Mich würde ja die konstelation der "Parkplatz" Bettler intersieren die zwar auch Zeitungen "verkaufen" sich selbst aber eher als Parkplatz beschaffer sehen und sich dann( teilw. agressiv) dafür die Hand aufhalten trauen ? Weil für mich die Anzahl der Leute schon eher Banden mäßig ist und für mein empfinden das Alter der jenigen für mich als Strafunmündig erscheint .

Würde ich komplett verbieten lassen! Kann diese aggressiven Bettler nicht leiden, die entweder vorm Billaausgang warten und um Geld flehen oder die sich bei den U-Bahn Stationen in den Weg stellen, damit man ja nicht an ihnen vorbei kommt. Hier sollte die Exekutive endlich was machen. Will ich ne Zeitung, kauf ich sie mir selber. Da brauch ich keinen der mir damit vor dem Gesicht herum fuchtelt.

Seite 1 von 1