Während sie schlief

Baby zu Tode geschüttelt: Mutter will geschlafen haben, Vater nun verurteilt

von Die Hände eines Babys
© Bild: iStockphoto.com/pederk

* Das Urteil ist nicht rechtskräftig Die Ermittlungen gegen die Mutter wurden eingestellt. Emma Jacqueline wurde laut Obduktionsergebnis so heftig geschüttelt, dass es binnen weniger Sekunden das Bewusstsein verlor und aufhörte zu atmen.

News hat die Tragödie recherchiert und sich auf Spurensuche nach Klagenfurt begeben:

Abschied am Friedhof

Die Kerzen sind erloschen, die Rosen bald verwelkt. Nur die Figuren sind noch an ihrem Platz: Zwei Osterhasen, ein Herz, eine Biene, die Windmühle ist umgefallen. "Mein Engel, ich werde dich nie vergessen" steht auf der Schleife am Blumenbouquet. Am Friedhof in Klagenfurt hat sich die Mutter vor ein paar Wochen von ihrem toten Kind verabschiedet.

Als Sanitäter die zwei Monate alte Emma Jacqueline in das Krankenhaus bringen, hat Manuela noch Hoffnung. Es ist Donnerstag, der 12. März 2015, früher Morgen. Das Kind ist in eine Decke gehüllt, die Mutter trägt es die Stiegen hinunter, neben ihr der Arzt - diese Szene wird später eine Nachbarin beschreiben.

Manuela steht unter Schock. Auf die Frage der Ärzte, was passiert sei, sagt die 27-Jährige, dass sie geschlafen habe. Sie wisse es nicht. Auf der Kinderintensivstation im Klinikum Klagenfurt wird Emma Jacqueline untersucht. Die Verletzungen deuten auf ein Schütteltrauma hin. Die Ärzte fragen, woher die Verletzungen stammen. Manuela bleibt dabei, sie habe geschlafen. Der Kindsvater Tobias habe sich an diesem Morgen um das Baby gekümmert. Das Krankenhaus alarmiert die Polizei. Einen Tag später, am 13. März, um 14.55 Uhr stirbt Emma Jacqueline.

"Ein stolzer Papa"

Als Emma Jacqueline, Rufname Emma, noch lebte, war sie oft unruhig, weinte viel. Als Schreibaby beschreibt Manuela ihre Tochter. Nur drei Wochen hat sie das Kind gestillt, dann hat sie ihr das Fläschchen gegeben. Emma wollte nicht trinken, sagt Manuela. Freunde sagen, Manuela wollte nicht aufhören zu rauchen. Für das Füttern war oft Emmas Vater Tobias zuständig. Ein 23-Jähriger, der in der Siedlung vor allem wegen seiner alkoholkranken Mutter bekannt war. Er ist "im Kopf zurückgeblieben", sagen Bekannte über Tobias. Aber sie sind sich sicher, dass er sich über Emma gefreut habe: "Ein stolzer Papa."

Die Jugendwohlfahrt Klagenfurt hatte Emma seit ihrer Geburt im Blick, weil sich eine Sozialarbeiterin schon um Manuelas ältere Tochter Laura Marie gekümmert hatte. Lauras leiblicher Vater war im Jahr 2012 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Kurz danach habe sich die Mutter bei den Behörden gemeldet, weil Laura verhaltensauffällig gewesen sei. "Ich habe geglaubt, dass meine Tochter an ADHS leidet", sagt Manuela.

Das Jugendamt bestätigt das nicht. "Eine Kinderbetreuungseinrichtung hat uns im Spätherbst 2013 auf die Familie aufmerksam gemacht", sagt Christine Gaschler-Andreasch, die Leiterin der Kinder-und Jugendwohlfahrt Klagenfurt. Bei Laura seien Erziehungsdefizite bemerkbar gewesen, deshalb sei die Familie seit April 2014 ambulant betreut worden.

Ab diesem Zeitpunkt besucht eine Helferin vom Amt einmal in der Woche die ältere Tochter Laura. Als die junge Mutter mit Emma schwanger wird, kommt eine zweite Sozialarbeiterin zur Familie. Manuela sagt: "Eine für meine Tochter, die andere für mich."

Manuela ist eine zierliche Frau. In ihren großen grünen Augen sammeln sich die Tränen, bevor sie über das mädchenhafte Sommersprossengesicht fließen. Sie hat ein Oberlippenpiercing und manikürte Fingernägel, ist sorgfältig geschminkt. Manchmal versagt beim Sprechen ihre Stimme. Sie verflucht sich selbst, dass sie geschlafen hat, an diesem 12. März 2015.

Manuela lernt Tobias im Februar 2014 über Freunde kennen. Sie verlieben sich, verbringen viel Zeit in seiner Wohnung. Nach drei Wochen merkt Manuela, dass ihre Periode ausbleibt. Schwangerschaftstest. Positiv. Tobias freut sich überschwänglich, ruft seinen Opa an und verkündet die Nachricht. Sie planen ihr Leben als Familie. Manuela, Tobias, Laura und das Baby. Doch die Schwangerschaft ist nicht leicht. Bei Manuela wird ein verkürzter Muttermund diagnostiziert. Sie muss viel liegen, darf sich nicht anstrengen, nichts Schweres heben. Als die Familie im November 2014 in eine Wohnung im obersten Stock eines Gemeindebaus am Stadtrand von Klagenfurt zieht, muss Tobias alles alleine schleppen. Wenn Manuela Schmerzen hat, massiert Tobias ihren Bauch. Jeden Abend cremt er ihn ein. Der 23-Jährige spielt mit Laura im Hof, schlüpft in die Vaterrolle. Am 15. Jänner 2015 wird Emma Jacqueline geboren. Tobias lässt sich ihren Namen auf die Brust tätowieren.

Der Tatabend

Am Abend bevor Emma ins Klinikum gebracht wird, hat die Familie Besuch. Tobias Mutter, sein Opa und die 16-jährige Schwester sind gekommen. Manuela hat Ripperln gemacht, das Lieblingsessen von Tobias' Schwester. Es ist ein lustiger Abend. Manuela und Tobias trinken keinen Alkohol, sagen sie. Gegen 22 Uhr geht der Besuch. Manuela legt sich auf das Sofa. Hier schläft das Paar, seit der Lattenrost des Ehebetts kaputt ist. Emma liegt in ihrem Bett im Elternschlafzimmer. Tobias holt sie ins Wohnzimmer, wickelt sie, gibt ihr ein Fläschchen. Kurz vor Mitternacht schlafen sie zu dritt auf dem Sofa ein. So schildert Manuela den 11. März. Nichts deutet in ihrer Erinnerung darauf hin, dass es die letzten Stunden für ihre Tochter sein werden.

Was jetzt passiert, erfährt Manuela erst später von Tobias. In der Nacht steht der 23-Jährige auf und bringt seine Tochter ins Kinderbett. Um vier Uhr in der Früh weint das Baby. Tobias füttert es. Keine drei Stunden später ist Tobias wieder bei Emma und merkt, dass etwas nicht stimmt. Um kurz vor sieben Uhr weckt er Manuela. "Er war aufgebracht. Er wollte, dass ich mitkomme, zu Emma." Manuela rennt ins Schlafzimmer. Emma liegt in ihrem Bettchen. Ihr Gesicht ist blau. Sie gibt keinen Ton von sich. Manuela ruft die Rettung. Über das Telefon bekommt sie Anweisung, Emma zu reanimieren. Nachbarn beobachten zwei Rettungsautos und einen Notarzt. Und sie sehen den Opa, der unten vorm Haus steht und auf die ältere Laura wartet, um sie zur Schule zu bringen. Das Mädchen sei zu ihm gelaufen, sagen die Nachbarn später. Dann habe er in Richtung Wohnung hochgeschrien: "Du Verbrecher!"

In der Klinik raten die Ärzte dem Paar, einen Geistlichen zu rufen. Der Pfarrer aus der Siedlung kommt. Tobias kennt ihn. "Es ist eine Nottaufe gewesen", schildert der Pfarrer. Sogar der Geistliche will lieber anonym bleiben. Das Kind sei an Dutzende Kabel angeschlossen gewesen, während er es segnete, erzählt der.

Am Tag darauf versammelt sich die Familie auf der Kinderintensivstation. Zwei Tanten von Tobias sind gekommen, seine Mutter, Manuelas Schwester, eine Cousine, die selbst in der Klinik arbeitet. Kurz vor 15 Uhr verlassen alle das Zimmer. Nur Manuela und Tobias sowie ein Arzt und eine Schwester bleiben. Die Geräte, mit denen das Kind verbunden ist, werden abgeschaltet, die Kabel entfernt. Emma ist tot. Erst jetzt darf die Mutter das Baby noch einmal in den Armen halten. Noch im Krankenhaus müssen Manuela und Tobias mit zwei Kriminalbeamten reden. Tobias duzt sie, es kommt zum Wortgefecht. Die Stimmung ist aufgeladen, sagt Manuela später. Die Polizisten gehen, kommen erst am Abend in die Wohnung des Paars zurück. Während Manuela mit der Polizistin im Wohnzimmer wartet, muss Tobias im Schlafzimmer zeigen, was passiert ist. Zwei Kriminaltechniker fotografieren die Wohnung. Einen Tag später wird auch Manuela einvernommen. Sie bleibt bei ihrer Aussage, sie habe geschlafen.

Zwei Tage nach Emmas Tod wird der Leichnam freigegeben. Die Eltern und Manuelas Schwester bringen das Totenhemd ins Spital - ein weißes Kleid mit einem dazu passenden Stirnband. Auf dem Weg dorthin soll Tobias zu Manuela gesagt haben: "Wenn ich ins Gefängnis muss, kommst du mit." Das sagt später Manuelas Schwester.

Tobias ist ein schmächtiger Mann. Er ist 23. Und schaut zehn Jahre jünger aus. Er soll einst eine Malerlehre begonnen haben, abgeschlossen hat er sie nicht. Er habe oft auf seine jüngere Schwester aufgepasst, sagt eine Freundin, und: "Der Tobi hat immer ein weiches Herz gehabt." An dem Tag, als Emma ins Spital eingeliefert wurde, hätte Tobias seinen ersten Tag als Schülerlotse gehabt.

Zu Tode geschüttelt

Drei Tage nach Emmas Tod wird Tobias festgenommen. "Es besteht der Verdacht auf eine schwere Misshandlung des Säuglings mit Todesfolge", sagt Staatsanwältin Antoinette Tröster. Für Manuela ist dies einer der schlimmsten Momente, sagt sie. Erst da habe sie realisiert, dass ihre Tochter keines natürlichen Todes gestorben ist. "Ein Schütteltrauma ist die schwerste Form eines Schädel-Hirn-Traumas, das einem Säugling als Misshandlung zustoßen kann", erklärt Wolfgang Novak, Kinderarzt im Wiener Donauspital. Die Täter seien meist Männer, die das Kind mit voller Kraft schütteln. "Dabei pendelt und rotiert der Kopf des Kindes wie ein Ball an einer Schnur hin und her." Das führe dazu, dass Nervenbahnen und Blutgefäße gedehnt oder sogar ganz zerstört werden. Allein das Donauspital verzeichnet ein bis zwei solcher Fälle pro Jahr. "Die meisten Täter wissen nicht, was sie tun", sagt Novak. "Unaufhörliches Schreien kann sogar liebende Eltern zur Verzweiflung bringen. Manche Täter können diese Verzweiflung nicht kanalisieren, sind überfordert und schütteln das Kind mit ganzer Kraft." Durch das Schütteln hören die Kinder auf zu schreien, da es zu einem Atemstillstand kommt. Laut Polizeistatistik wurden im vergangenen Jahr 210 Kinder in Österreich misshandelt, davon sechs schwer. Geschlagen, verbrüht, geschüttelt, vernachlässigt. Die Opfer sind meist Säuglinge und Kleinkinder.

Tobias soll dem Haftrichter verschiedene Aussagen präsentiert haben, das erfährt Manuela später. Einmal habe er behauptet, das Kind sei schon blau im Gesicht gewesen, als er ins Zimmer kam. Er habe sich erschrocken und Emma geschüttelt. Dann soll er erzählt haben, dass ihm das Kind durch die Hände gerutscht und runtergefallen sei. Der Richter verhängt gegen Tobias U-Haft wegen Verdunklungs-und Tatbegehungsgefahr. Hinter Gittern soll Tobias noch ein drittes Mal seine Aussage geändert haben. Er soll behauptet haben, dass Manuela noch mal gegen vier Uhr bei Emma im Zimmer gewesen sei.

Die Staatsanwaltschaft reagiert und leitet Ermittlungen gegen die Mutter ein. Manuela bleibt bei ihrer Version. Sie habe geschlafen. Tochter Laura wird in der Kinder-und Jugendpsychiatrie im Klinikum Klagenfurt untersucht. Manuelas Mutter zieht mit dem Kind für zehn Tage ins Spital. Bei dem Mädchen werden keine Hinweise auf physische oder psychische Gewalt festgestellt.

Am 20. März wird Emma Jacqueline auf dem Friedhof in Klagenfurt beigesetzt. Tobias ist nicht dabei, aber seine Familie und die von Manuela. Eine Sozialarbeiterin der Jugendwohlfahrt kommt zum Begräbnis, um die trauernde Mutter zu trösten. Eine Geste, die bei dem leiblichen Vater von Laura nicht ankommt. Er gibt der Jugendwohlfahrt eine Mitschuld. Schon vor Monaten habe er die Behörden über Schnitte und blaue Flecken bei Laura informiert. Als er vom Tod des Babys aus den Medien erfuhr, habe er gewusst, dass es um Emma geht. Manuelas Mutter glaubt das nicht: "Wenn die Jugendwohlfahrt eine Schuld hätte, dann auch die Mediziner." Denn im Klinikum Klagenfurt sei Manuela am 10. Februar mit Emma zur Mutter-Kind-Pass-Untersuchung gewesen. Und wenige Tage vor seinem Tod habe das Baby bei einem Kinderarzt die Schluckimpfung erhalten. Christine Gaschler-Andreasch von der Jugendwohlfahrt sagt: "Der Fall wurde sorgfältig geprüft. Wir haben nichts gefunden, was unsere Kolleginnen hätten anders machen können."

Einen Monat nach Emmas Tod verbringt Manuela die erste Nacht wieder zu Hause. Das Babybettchen ist leer. Das Kinderzimmer wirkt kalt. Manuela kauert sich auf das Sofa. Irgendwann schläft sie ein.

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