Wiener Brut

Musik aus Österreich ist immer noch auf der Erfolgswelle. Gut so!

Der neue Austropop geht ins zweite Jahr seiner Erfolgsgeschichte. Nach Protagonisten wie Seiler und Speer oder Wanda prolongieren neue Künstler wie Voodoo Jürgens den Trend. Er ist Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen.

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Pop - Wiener Brut

In Hof an der Saale, irgendwo zwischen Dresden und Nürnberg, ist der Moment gekommen, in dem sich ältere Lederjackenmänner und junge Hoodieträger bierlaunig in den Armen liegen. Gemeinsam singen sie die Hymne dieses Abends und bemühen sich hingebungsvoll um österreichischen Zungenschlag: "Waunst amol no so hamkumst". Die zwei Österreicher auf der Bühne, aus deren Feder der Hit stammt, haben die Menge im Griff. Bei "I kenn di vo wo" haben sie sie nachdenklich gemacht, mit "Stopp doch die Zeit" ging's den Mitsingenden an die gehetzte Seele.

Noch vor zwei Jahren waren Christopher Seiler und Bernhard Speer aus Bad Vöslau ein Geheimtipp für Eingeweihte. Heute füllen sie als Seiler und Speer Hallen im gesamten deutschsprachigen Raum. Für ihr Debütalbum "Ham kummst" gab's für das Duo eine Vierfach-Platin-Auszeichnung. Die aktuelle Single "I kenn di vo wo" ist auf Platz drei der heimischen Singlecharts. Ihr Album ist nach eineinhalb Jahren noch immer auf Platz 28.

Misst man aktuelle Popmusik aus Österreich in Zahlen, ist der Erfolg von Seiler und Speer vergleichbar mit jenem der Band Wanda, die in Österreich in den vergangenen drei Jahren Doppelplatin- ("Amore") und Platin-Verkäufe ("Bussi") erreichte und es in Deutschland zuletzt auf Platz fünf der Albumcharts schaffte. Dann wären da noch Bilderbuch, deren drittes Album "Schick Schock" - nach zwei kommerziell mäßig erfolgreichen CDs - plötzlich Platinstatus erlangte und in Deutschland Chartplatz 14 schaffte. Oder Voodoo Jürgens, dessen Debütalbum "Ansa Woar" im Oktober hierzulande Chartplatz eins belegte und vom deutschen Fachblatt "Musikexpress" als "Austro-Pop-Hype der Stunde" bezeichnet wird. Nicht zu vergessen Pizzera &Jaus, die mit "Jedermann" im September an der Chartspitze waren und noch immer Platz sieben halten.

Wer vor einem Jahr an ein vorübergehendes Aufbäumen der österreichischen Popkultur glaubte, wird gerade eines Besseren belehrt. "Die neue Wiener Welle", jubelte damals "Die Zeit" über Pop aus Österreich. Derartiger Jubel ebbt im schnelllebigen Musikgeschäft meist ebenso rasch wieder ab. Nicht diesmal. Der Erfolg von Popmusik made in Austria hält an und wird durch neue Künstler weiter beflügelt. Austropop ist zurückgekommen, um zu bleiben.

Bei Seiler und Speer sitzt Matthias Ambros am Schlagzeug. Sohn jenes Herrn, der schon in den 70er-Jahren maßgebliche Kraft der über die Grenzen erfolgreichen Popmusik aus Österreich wurde. Damals wurde der Begriff Austropop erfunden und über alles gestülpt, was österreichischer Herkunft war, deutsch gesungen wurde und nicht Schlager oder Volksmusik war. Dass zwischen dem vollmundigen, lebensnahen Werk eines Wolfgang Ambros und dem morbid-makaberen eines Ludwig Hirsch oder auch dem poetisch-tiefgründigen eines Georg Danzer Welten lagen, störte dabei niemanden.

Daran hat sich nichts geändert. Auch heute liegen die Vertreter des Austro-Phänomens musikalisch weit auseinander. Da sind der lebenskluge Kinderlieder-Pop von Wanda, die humorigen Milieustudien im Akustikrock von Seiler und Speer, das schwülstige Popfunkpuzzle von Bilderbuch, die morbiden Alltagserzählungen im Folkstil von Voodoo Jürgens und der fröhliche Mainstreampop von Pizzera & Jaus. Es gäbe nichts, das diese Bands eint, wäre da nicht die Tatsache, dass sie alle Deutsch singen -mit Betonung des lokalen Idioms.

Der Begriff Austropop gilt ihnen als gut abgehangen, ein Relikt seiner Zeit, mit dem keiner der aktuell erfolgreichen Musiker in Verbindung gebracht werden will. An Respekt für die Protagonisten aus den 70er-Jahren fehlt es dabei allerdings nicht. "Wir machen weiter, wo das vor Jahren aufgehört hat", sagt Bernhard Speer über die Wiederbelebung der Austropop-Tradition, "nur in unserem eigenen, neuen Gewand." So sehen es die meisten Künstler heute: Den Legenden ist Tribut zu zollen, doch mit dem heutigen Erfolg hat das dann doch, bitte schön, nichts zu tun.

Deutsch als Erfolgsformel

Es kann kein Zufall sein, wenn die Zahl der deutschsprachigen Popalben österreichischer Herkunft in den Top 20 der Jahrescharts binnen zwölf Monaten von null auf vier springt. Wenn deutsche Medien wie der "Spiegel" konstatieren: "Nicht mehr Berlin, sondern Österreich ist aktuell der kreative Nährboden der Musikszene." Wenn Schöpfungen wie Tante Ceccarelli aus Wandas Hit "Bologna" oder der Begriff "schware Partie" aus Seiler und Speers "Ham kummst" plötzlich Teil des kollektiven Popgedächtnisses einer Generation werden.

Was steckt hinter der neu entdeckten Liebe zum Dialektpop aus Österreich, dessen erfolgreiche Aushängeschilder nichts gemeinsam haben außer der Sprache? Wanda-Sänger Marco Fitzthum versucht eine Erklärung über den einseitigen Status der deutschen Popkultur, die lange auch den österreichischen Musikmarkt dominierte. "Die Deutschen kommen aus der Hamburger Schule, einer sehr verkopften Musikkultur", sagt er. "Das war alles sehr intellektuell, da sind wir eine gelungene Abwechslung."

Andere Kollegen suchen im viel strapazierten Begriff der Authentizität nach Begründungen. "Wir sind eben nicht Teil der Plastikpopindustrie, in der alles geplant ist und ästhetisch sein muss, damit es jemand kauft", sagt Christopher Seiler. "Wir sind so, wie wir sind, und sagen, was wir denken. Und wenn sich wer über unsere Direktheit aufregt, setzen wir das nächste Mal eins drauf." Ähnlich sieht es der Steirer Paul Pizzera, der als Kabarettist reüssierte, bevor er zum Chartstar wurde: "Dialekt ist einfach viel authentischer und geht den Leuten deshalb mehr ans Herz, weil sie es besser verstehen. Karl Ferdinand Kratzl hat das schön gesagt: Hässlich ist ein schönes Wort, aber schiach ist treffender."

Demnach ist Liedgut in der Muttersprache erfolgreicher, weil es authentischer wirkt als englische Lieder? Der Umweg, den Voodoo Jürgens zum Durchbruch nehmen musste, geht als Bestätigung dafür durch. Immerhin versuchte der als David Öllerer geborene Tullner sieben Jahre lang mit seiner Band musikalisch Fuß zu fassen. Es blieb bei Achtungserfolgen im Alternativ-Biotop. Öllerer sang damals englisch, "weil ich geglaubt hab, dann kann ich auf der ganzen Welt spielen und das ist einfacher". Wirklich wohlgefühlt hat er sich mit den englischen Texten nie. "Ich hab gemerkt, dass ich mich nicht so gut ausdrücken kann und hin und wieder das Wörterbuch brauch."

Vor zwei Jahren begann er, deutsche Texte zu schreiben, und fabrizierte prompt das Nummer-eins-Album "Ansa Woar". Der Liedermacher, der in einer Art Wienerlied-Folk mit tiefschwarzem Humor von Außenseitern und Gestrauchelten erzählt, staunt selbst über die unerwartete Wendung. "Ich sing auf Wienerisch und hab geglaubt, das grenzt das Publikum ein, das ich erreichen kann. Aber es kommt an! Ich werde plötzlich nach Berlin und Hamburg eingeladen. Warum das so ist, kann ich selbst nicht genau erklären."

Die Geschichte vom Scheitern am englischen Liedgut und dem Durchbruch in der Muttersprache teilt Voodoo Jürgens übrigens mit Marco Fitzthum. Der Komponist und Produzent Paul Gallister erinnert sich gut an den Moment, als der Wanda-Sänger begann, deutsche Texte zu schreiben. "Das Problem mit Österreichern, die Englisch singen, kenne ich aus Bandwettbewerben, bei denen ich oft in der Jury war", sagt er. "Da wird versucht, etwas auszudrücken, das nicht rüberkommt. Als Marco gesagt hat, er studiert jetzt Sprachkunst, habe ich gleich gedacht: Das brauchen wir!" Ein paar Monate später hatte Gallister die ersten Songs von Fitzthum, die leichtfüßig und lebensklug im Wiener Idiom von Leben, Liebe und Tod philosophieren. Die Erfolgsgeschichte von "Amore" nahm ihren Lauf.

Für Stefan Redelsteiner, Manager von Voodoo Jürgens und Wanda, ist der Erfolg mit der deutschen Sprache kein Zufall.

"Das war lange vorhersehbar, weil die Musikindustrie vergessen hat, womit sie erfolgreich war. Jetzt wird überkompensiert." Dass fast alle Musiker, die er betreut, deutsch singen, hat damit zu tun, dass für ihn die Qualität dort zu Hause ist. "Ein Künstler kann eine breite Masse erreichen, wenn er etwas erzählt, das er mit den Leuten teilt. Wenn er seine Texte mit dem Wörterbuch schreiben muss, stellt er keine Verbindung zum Herzen her", sagt er.

Die Heimat in der Sprache

Kritische Geister müssten hier natürlich anmerken, dass es auch in der Zeit vor der neuen Austrowelle Popkünstler gab, die ihr Publikum authentisch im Dialekt erreichten. Harald Huber, Professor für Popularmusik an der Wiener Musikuniversität, ist so ein kritischer Geist und verweist auf die Leistungen von Texta, Skero oder Attwenger. Dass kommerzielle Höhenflüge für sie früher unerreichbar waren, bringt Huber mit einer neuen gesellschaftlichen Befindlichkeit in Zusammenhang: "Ein Auslöser des Trends ist, dass die Musik eine allgemeine Strömung reflektiert, die gerade zur Aufwertung des Lokalen, des Regionalen führt. Das hat die Bundespräsidentenwahl gezeigt, bei der es stark darum ging, wer den Begriff Heimat besetzen kann."

Eine neue gesellschaftliche Entwicklung, durch die der Heimatbegriff entstaubt und neu besetzt wird, sieht auch Lebens-und Sozialberater Dieter Schmutzer als Basis für das frische Austropop-Faible. "Wir leben in einer Zeit der Globalisierung, in der das Individuum leicht verschwindet. Das fördert eine Sehnsucht nach dem, was uns Österreichern nahe ist, nach Regionalem, nach Vertrautem. Gleichzeitig will man in so einer Situation seine Individualität betonen, und das geht hervorragend durch die Betonung der Sprache. Das schlägt sich natürlich in der Unterhaltungsmusik nieder", sagt Schmutzer. In den 70er-Jahren sei es nicht anders gewesen. Nach der starken Orientierung Richtung Amerika in den 50er-und 60er-Jahren half der Austropop damals, im Mainstream nicht unterzugehen und seine Position neu zu definieren. Dass nun die Nähe zur deutschen Sprache auch im Pop gesucht wird, habe klar mit ihrer identitätsstiftenden Wirkung zu tun.

Für den Erfolg bei den deutschen Nachbarn macht Schmutzer eine Mischung aus Exotik und Mut verantwortlich: "Für die Deutschen hat unsere Sprache etwas Exotisches, ohne fremd zu sein. Das heißt, ich kann mich von der Masse abheben, wenn ich Musik in österreichischem Dialekt höre. Außerdem ringt wohl dieses neue Selbstbewusstsein Respekt ab: Nach dem Motto: Die aus dem kleinen Nachbarland trauen sich aber was."

Ausgerechnet in wirtschaftlich schwierigen Zeiten werden Künstler also selbstbewusst und tun, was davor jahrelang erfolglos blieb? Für Schmutzer ist das kein Widerspruch. Es sei eine Überlebensstrategie, sagt er. "Ich muss ja der Globalisierung und Einheitswelle die Stirn bieten, in dem ich zeige, wer ich bin. Dafür brauche ich ein stark abgegrenztes, kantiges Profil."

Den neuen Mut, Traditionen weiterzuführen, die zwischendurch schon mal als peinlich angesehen wurden, sieht auch Pop-Professor Harald Huber als wesentlichen Faktor der Austro-Renaissance. Bei Seiler und Speer sei das etwa das morbide Kabaretttheater der Mundl-Tradition. Der Nino aus Wien und Ernst Molden sind wiederum am nächsten an der Austropop-Tradition dran, die das Wienerlied zitiert. Sie setzen auf die typische Mischung aus Milieustudie und Schmäh und interpretieren mit Gesang, Gitarre, Mundharmonika und Akkordeon auf ihrem Album "Unser Österreich" Lieder von Ludwig Hirsch, Georg Danzer, Wolfgang Ambros und erreichten damit prompt Chartplatz drei.

Ein Hit reicht nicht mehr

Kann man den Austropo-Trend also auf Authentizität durch Betonung der Sprache, eine gesellschaftliche Sehnsucht nach Heimat und erstarktes Selbstbewusstsein im Angesicht der Globalisierungskrise zurückführen? Wo bleibt dann die musikalische Qualität? Die sehen alle Experten als Voraussetzung für Erfolg in solchen Größenordnungen an. Wobei auch hier neue Entwicklungen festzuhalten sind, die wesentlich zum Trend beitragen.

"In der Popmusik geht es um Gesamtpakete", sagt Huber. "Da sind neben der Musik auch das Image, die Bühnenshow und die Videos mindestens genauso wichtig. Die Inszenierung macht mit der Musik das Gesamtpaket aus, das zum Erfolg führt." Diesbezüglich ist bei Bands wie Wanda und Bilderbuch schon eine neue Qualität zu beobachten; die neuen Stars kümmern sich demnach nicht mehr bloß darum, einen Hit zu schreiben.

Paul Pizzera, steirische Hälfte des Duos Pizzera &Jaus, pflegt mit seinem Wiener Partner Otto Jaus genau dieses neue Kunstverständnis, das über die Musik hinausgeht. Für jeden ihrer bislang drei Hits ("Jedermann","Absätze Hauptsätze","Wir gewinnt") investierten sie viel Zeit und Geld in detailverliebte Videos. "Wir machen nur noch Kabarett, um uns die Videos für unsere Musik leisten zu können", sagt Pizzera. Ein Scherz mit wahrem Kern.

Die perfekt inszenierten und aufwendig erzählten Filmgeschichten leisteten sich die beiden Kabarettisten mit der Leidenschaft für Musik schon zu einer Zeit, als ein Hit noch lange nicht in Sicht war. Das war einst anders. Oftmals wurden in der Popgeschichte Videos im Schnelldurchlauf nachgedreht, wenn ein Song überraschend zum Hit wurde. Spätestens seit die Onlinevideoplattform Youtube Stars machen kann, sind die Videos Teil des Gesamtauftritts einer Band.

"Wir haben immer gesagt, wenn wir's machen, dann g'scheit", sagt Pizzera. Sie wollten etwas machen, auf das sie stolz sein können. "Es wäre doch schade, wenn du das Video siehst und denkst: Mei, hätt ma 5000 Euro mehr in die Hand genommen." Auch die Inszenierung als attraktive Posterboys auf Plakaten und Fotos ist kein Zufall. "Natürlich wollen wir damit ein junges Publikum ansprechen. Ich finde, wir müssen uns auch nicht schämen."

Ob die Liebe zum Dialekt-Pop von Dauer ist? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Popmanager Redelsteiner prognostiziert eine Übersättigung und dadurch den Weg ins Verderben: "Bald singt jeder, der eine Gitarre halten kann, dann ist es ausgereizt." Harald Huber glaubt an eine Weiterentwicklung. "Dieser Trend ist lange nicht am Ende. Das 21. Jahrhundert wird das einer neuen Weltmusik: Lokale Kulturtraditionen werden weiter betont und vermischen sich mit überregionalen. Dadurch entstehen neue Crossovers. Ein unerschöpfliches Reservoir." Als Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen beurteilt Lebensberater Schmutzer den Trend: "Unsere Gesellschaft sagt gerade: Wir Österreicher sind wer, wir wollen stolz sein dürfen auf unsere Eigenheiten!"

Schreibt also noch ein paar Hits!

Kommentare

Sorry, aber alle Genannten produzieren leider ausnahmslos Schrott. Die „neue Austropop-Szene” ist genauso verzichtbar wie es die „Alte” war. Auch jetzt kippen Wandas & Co in selbstherrliches Superstar-Gehabe und können nicht mal ihre Gitarren stimmen, geschweige denn singen (Nino aus Wien -Hilfe!). Die österr Musikszene ist/war international nicht mal ein Fliegenschiss.

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