Austro-Kurde unter Terror-Verdacht

Rechtsvertreter: Türkische Behörden suchen "Sündenbock" für Anschläge in Istanbul

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Italien - Austro-Kurde unter Terror-Verdacht

Der Anwalt des Mannes weist die Vorwürfe aufs Schärfste zurück. Noch sei ihm nicht klar, was genau seinem Mandanten vorgeworfen werde, da er erst am Nachmittag Akteneinsicht bekommen werde, sagte Nicola Canestrini Mittwochfrüh der APA. Bereits jetzt könne er jedoch "striktest dementieren", dass Ünal E. in den vergangenen Jahren in der Türkei je "politisch tätig war".

Vielmehr würden die türkischen Behörden nach der Geiselnahme des Staatsanwaltes in Istanbul unter Druck stehen, "weil sie beweisen müssen, dass sie stark durchgreifen". Die Vorwürfe seien "wirklich Blödsinn" und Ünal E. ein "Sündenbock", nicht mehr.

Festnahme in Venedig

Der Österreicher war am Montag aufgrund eines internationalen Haftbefehls von Jänner 2014 im venezianischen Vorort Mestre festgenommen worden, wo er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern die Osterferien verbrachte. Die Türkei wirft dem 45-Jährigen nach Angaben der italienischen Behörden vor, an einem Terroranschlag auf eine Bankfiliale 1995 sowie einem Molotow-Anschlag auf eine Hochschule 1994, beides in Ankara, beteiligt gewesen zu sein.

In Österreich, wo Ünal E. vor Jahren politisches Asyl und 2005 dann die Staatsbürgerschaft erhielt, war der internationale Haftbefehl bekannt. Nach einer Prüfung, sei jedoch entschieden worden, ihn nicht ins österreichische System zu übernehmen, hieß es am Montag aus dem Justizministerium gegenüber der APA. Der "Tatbeitrag" sei zu vage gewesen.

Einspruch gegen Auslieferung

In Italien droht dem Tiroler nun die Auslieferung an die Türkei. Am morgigen Donnerstag soll eine erste Anhörung vor einem Gericht in Venedig stattfinden. Sein Mandant werde die Auslieferung verweigern, sagte Canestini. Das Gericht müsse dann über die Fortsetzung der Haft entscheiden und detaillierte Unterlagen aus der Türkei anfordern. Diese müssen binnen 40 Tagen einlangen, danach sei es am Oberlandesgericht einen neuen Termin für die Verhandlung anzusetzen. Auch der Polizeichef von Venedig, Angelo Sanna, erklärte am Mittwoch, die italienische Justiz müsse möglicherweise zusätzliche Unterlagen von ihren türkischen Kollegen einfordern.

Die linksextreme DHKP-C steht in der Türkei, in der EU und in den USA auf der Terrorliste und zuletzt wieder vermehrt im medialen Rampenlicht: Am Dienstag vorige Woche brachten zwei Mitglieder der DHKC-P den Istanbuler Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz in ihre Gewalt. Nach mehrstündigen Verhandlungen zwischen Tätern und Behörden stürmte die Polizei das Büro und erschoss die beiden Geiselnehmer. Kiraz wurde verletzt und starb wenig später im Krankenhaus. Bei der Beerdigung des Staatsanwalts kündigte Justizminister Kenan Ipek an, die Hintermänner zur Rechenschaft ziehen zu wollen.

Der getötete Staatsanwalt ermittelte in dem politisch bedeutenden Fall Berkin Elvan. Der Jugendliche war bei den sogenannten Gezi-Protesten gegen die Regierung im Sommer 2013 von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen worden. Im Alter von 15 Jahren starb er nach neun Monaten im Koma. Bisher wurde niemand dafür zur Rechenschaft gezogen. Die Geiselnehmer hatten öffentliche Geständnisse der verantwortlichen Polizisten gefordert.

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