"Polarisierung ist nicht böse"

Der Rektor der Sigmund Freud Universität (SFU), Alfred Pritz, über den Wahlausgang in Frankreich. Und die Erfahrungen, die er mit dem Auf- und Ausbau der größten Privatuniversität Österreichs gemacht hat

von Auf einen Kaffee mit... - "Polarisierung ist nicht böse" © Bild: Matt Observe

Die weite Aussicht garantiert tiefen Ein-und Ausblick. Alfred Pritz, Rektor der größten Privat uni des Landes, der 2005 eröffneten SFU, sitzt im sechsten Stock und erblickt die Wirtschaftsuni gegenüber - und einen riesigen Kran, der dazu beitragen soll, dass sich "seine" Universität im nächsten Jahr noch einmal um 50 Prozent vergrößert.

Thematisch startet er mit dem französischen Wahlgang vom Sonntag. Nicht nur deshalb, weil in Paris 2009 die erste ausländische Dependance der SFU gegründet worden ist. Nach Österreich 2016 nun wieder eine komplett polarisierende Wahl, zwei kaum versöhnbare Lager. Frage an den Therapeuten: Ist Polarisierung per se böse? "Per se sicher nicht, wenn dahinter klar ersichtlich unterschiedliche Werte stehen, Konzepte, Weltanschauungen. Aber dann böse, wenn damit persönliche Abwertung verbunden ist, das Verächtlich-und Niedermachen des Gegenübers." Schon kommt der Vergleich mit dem Privatleben: "Auch für Kinder ist es oft besser, wenn es bei polarisierenden elterlichen Gegensätzen zu einer Trennung kommt, die klare Verhältnisse schafft. Der schönste Satz nach einer gelungen Scheidung: We agree to disagree. Böse wird es dann, wenn Rosenkriege Vater oder Mutter jeweils entwertet erscheinen lassen."

Scheidung auf Französisch

Im konkreten französischen Fall ging es nach Interpretation der Unterlegenen um die Polarisierung zwischen dem "Globalisierer" Macron und der "Patriotin" Le Pen. Pritz: "Ein Unsinn. Die Welt ist globalisiert. Jede Minute laufen Tausende Geld-,Daten-,Erfahrungs-oder Wissensströme um den Erdball. Übrigens seit Jahrhunderten, spätestens seitdem spanische, britische oder portugiesische Seefahrer die Welt zu entdecken begannen. Das geht bis zur Raumfahrt, mit deren Hilfe heute jeder Weltwinkel sichtbar wird." Speziell hinter dem Patriotismus à la française stecke die Sehnsucht nach der scheinbar unbeschwerten Welt der Kindheit, wo angeblich alles netter und einfacher war. Und gerade im staatsgläubigen Frankreich auch die Sehnsucht nach dem Staat, der alles im Griff habe, auch Staatskapitalismus und Handel - was der Entwicklung komplett widerspreche.

Überforderungsangst

Macron, der Optimist, der die Chancen der Weltöffnung (re)präsentiert, müsse auch die Gefühle der Pessimisten verstehen, ohne sie komplett ausräumen zu können: Auf soziale Perspektivlosigkeit folgten oft Einkapselung, Verbitterung, Kommunikationsverweigerung. "Ausgangspunkt: Eine Person sieht sich in ihrer Würde nicht respektiert." Le Pen versuchte, diese Gefühle gegen Macron zu instrumentalisieren: "Sie sind der Kandidat der wilden Globalisierung, der Uberisierung, der sozialen Brutalität, des Krieges aller gegen alle"(Originalzitat). Sie unterstelle dazu: "Der schützt mich nicht, alles wird noch schneller und undurchschaubarer." Das sei ernst zu nehmen, diese Überforderungsangst spüre er selbst bisweilen, etwa, wenn der 30-jährige Sohn dem demnächst 65-jährigen Vater neueste digitale Entwicklungen beibringe. "Seit Internet und Handy besteht eine Umkehr zwischen den Generationen: Die Kinder unterrichten die Eltern. Das kann das Gefühl einer Entwertung erzeugen -man fühlt sich wie ein unmündiges Kind, wie ein Teilanalphabet." Bewältigbar werde dieses Gefühl vieler Älterer nur mit zweierlei: "Der Bereitschaft zum Um-und Weiterlernen. Und der Gelassenheit, nicht jede Neuerung für sich entdecken zu müssen. So nutze ich etwa weder Twitter noch Facebook. Ich finde einfach nicht genug Energie und Zeit dafür."

Pritz, seit 1996 Präsident des Weltverbandes für Psychotherapie, hat die energie-und zeitintensive Pflege seiner internationalen Kontakte auch für sein "Lebensprojekt" genutzt, die Installierung der Psychotherapie als Wissenschaft samt akademischer Ausbildung. 2005 gründete er mit drei Kollegen die SFU, die weltweit erste Universität für Psychotherapiewissenschaften. Die SFU mit derzeit 4.000 Studierenden -das Ambulatorium bietet auch psychotherapeutische Versorgung für drei Bezirke wächst weiter: Es gibt auch akademische Ausbildungen in Psychologie, Medizin und Rechtswissenschaften. Und neben zwei weiteren Standorten in Österreich (Linz, Bregenz) gibt es vier internationale, neben Paris noch in Berlin, Mailand, und Ljubljana. Die nächsten Projekte hat Pritz schon mehr als nur im Kopf: Außenstelle in Shanghai, Ausbildungsmöglichkeit zum Augenarzt in Wien.

Eine auch unternehmerisch gewaltige Expansion. Wie gelingt das dem kaum veränderten Gründungsteam?"Wir machen alle alles, Finanzierung, Studienplanung, Marketing." Mit viel öffentlicher Förderung? "Wir finanzieren alles mit den Studiengebühren, je nach Studienrichtung zwischen 1.000 und 2.000 Euro monatlich. Wir haben keinen Cent Steuergeld bekommen, die Stadt Wien hat uns das Grundstück zu marktgerechtem Preis verkauft." Alles gelinge mit einem Grundrezept: "Es macht uns großen Spaß."

Peter Pelinka geht für News jede Woche "auf einen Kaffee" mit interessanten Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. pelinka.peter@news.at