AUA-Mitarbeiter: Ohne Zweitjob geht es nicht

Die Corona-Pandemie und damit verbundene Verluste in bislang ungekannter Höhe zwingen die AUA zu einem drastischen Sparkurs. Der bringt auch die 6.600 Mitarbeiter, die sich alle in Kurzarbeit befinden, in Not: Immer mehr nehmen einen Zweitjob an, um finanziell über die Runden zu kommen. Und über allem schwebt das drohende Gespenst des finalen Groundings der Lufthansa-Tochter.

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Luftfahrt in der Krise - AUA-Mitarbeiter: Ohne Zweitjob geht es nicht

"Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah." Dieser vielzitierte, an Goethe angelehnte Ausspruch hat zwar einen wahren Kern, in Zeiten des Lockdowns klingt er dennoch wie eine Provokation.

Und das nicht nur für viele vom Fernweh geplagte Menschen, sondern mehr noch für die Luftfahrt, die von der Covid-19-Pandemie so schlimm erwischt worden ist wie kaum eine andere Branche. Das Reiseaufkommen ist weitgehend weggebrochen, Tausende Flugzeuge stehen nach wie vor am Boden, und selbst für große Vorzeigeairlines geht es mittlerweile ans Eingemachte. So auch für die AUA-Mutter Lufthansa, bei der nach einem bisherigen Verlust von 4,2 Milliarden Euro heuer der wirtschaftliche Druck so groß ist wie noch nie in ihrer Geschichte -und damit wird es auch für die österreichische Tochter AUA, der es um keinen Deut besser geht, immer enger.

So hoher Verlust wie noch nie

In den ersten drei Quartalen des heurigen Jahres hat die AUA ein Minus von 341 Millionen Euro eingeflogen; im Vorjahreszeitraum waren es dagegen noch plus 14 Millionen Euro gewesen. Das Passagieraufkommen ging um 75 Prozent zurück, und das auch nur deshalb, weil Jänner und Februar noch weitgehend normale Monate waren. "Das ist natürlich ein Verlust, den es in dieser Höhe noch nie gegeben hat. Der ist aber nicht durch Missmanagement entstanden, sondern weil unverschuldet eine Art Naturkatastrophe von ungekannter Härte und Dauer über uns hereingebrochen ist", sagt AUA-Chef Alexis von Hoensbroech im Gespräch mit News. Nachsatz: "Das ist eine ganz harte Probe." Tatsächlich ist die Lage ausgesprochen ernst: Zwar hat die Lufthansa-Tochter 450 Millionen Euro Staatshilfe von der Republik Österreich erhalten plus 150 Millionen vom Mutterkonzern, aber ob diese Summe ausreicht, die Krise durchzustehen, bleibt offen.

© Matt Observe AUA-Chef Alexis von Hoensbroech muss an allen Ecken und Enden Kosten sparen; jetzt werden die Gratis-Snacks in der Economy Class gestrichen

Aktuell bietet Austrian Airlines nur rund zehn Prozent ihrer Flüge an -und das wohl über den gesamten Winter mit Ausnahme der Weihnachtszeit, in der es mit Glück 20 Prozent sein dürften. Es wird mit einem Minimalprogramm geflogen; von den 80 Maschinen sind derzeit rund 30 in der Luft, und das auch nur sporadisch - ganz nach dem Motto: zwei Tage fliegen, fünf Tage parken. Nach dem Sommer sei man noch recht zuversichtlich gewesen, aber im September und Oktober sei aufgrund der verschärften Reisebedingungen ein neuerlicher Passagierrückgang festzustellen gewesen, so der AUA-Chef: "Einen gewissen Bodensatz an Buchungen gibt es nach wie vor, und wir halten auch unsere Drehkreuzfunktion aufrecht."

"Mittel reichen über den Winter"

Trotz rigorosem Sparkurs verbrennt die AUA aktuell "ein bis zwei Millionen Euro pro Tag", also zumindest 40 Millionen Euro pro Monat. Bei der Mutter Lufthansa sind es sogar 350 Millionen Euro monatlich. Niemand weiß, wie lange die Krise noch dauert und wann das Vorkrisenniveau wieder erreicht sein wird. "Über den Winter werden wir mit unseren liquiden Mitteln auf jeden Fall kommen", erklärt von Hoensbroech, der davon ausgeht, dass "im Sommer das Geschäft zu 50,60 0der 70 Prozent wieder zurückkommt." Das AUA-Management sei bei seinem Businessplan auch von einem solchen Szenario ausgegangen, und man sei hoffnungsvoll, dass es halbwegs wieder zu einer Normalisierung komme. Dafür würden die Fortschritte bei der Entwicklung eines Impfstoffs, bessere Therapien bei der Behandlung Corona-Kranker und der Einsatz von Schnelltests sprechen, mit denen vermieden werden könne, dass Infizierte an Bord eines Flugzeugs kämen.

Dennoch: Sowohl bei der Lufthansa, die neun Milliarden Euro Staatshilfe erhalten hat, als auch bei der AUA tickt die Uhr immer lauter. Und das spüren auch die aktuell 6.600 Austrian-Mitarbeiter, die bis 2024 einen Krisenbeitrag in Höhe von 300 Millionen Euro leisten müssen.

Kurzarbeit und Jobabbau

Bis zum Jahr 2022 sollen insgesamt 1.100 Mitarbeiter abgebaut werden, wobei hier laut AUA "die natürliche Fluktuation bestmöglich genutzt" werden soll. Einstweilen befinden sich aber alle zumindest bis März 2021 in Kurzarbeit. Solange gilt die momentane gesetzliche Basis der Regierung dafür; bei der AUA will man sie aber zumindest bis zum ersten Quartal 2022 nutzen. Von Hoensbroech: "In der Praxis sollte die Kurzarbeit so lange genutzt werden können, bis das Geschäft wieder zurückkommt." Auch wenn in der Kurzarbeit niemand gekündigt werden darf, so ist die Situation für die Betroffenen -die zwischen zehn und 80 Prozent ihrer ursprünglichen Arbeitsleistung erbringen -alles andere als erfreulich. Besonders die vielen jungen Mitarbeiter, die zum Mindestgehalt von 1.700 Euro brutto oder knapp darüber beschäftigt sind, stöhnen ob der Einbussen. Bei den rund 2.500 Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern fallen nämlich auch die variablen Gehaltbestandteile wie beispielsweise Provisionen aus dem Bordverkauf weg, die rund 20 Prozent des Einkommens ausmachen können.

Das sei für viele AUA-Mitarbeiter finanziell schwierig zu verdauen, ist aus dem Unternehmen zu hören. Deshalb würden sie immer öfter Zweitjobs annehmen, um über die Runden zu kommen. "Eine Kürzung von zehn oder 20 Prozent plus der Wegfall der variablen Gehaltsbestandsteile, die in der Kurzarbeitsregelung nicht erfasst sind -das reicht dann für viele Mitarbeiter nicht", bestätigt Bordbetriebsratsvorsitzender Rainer Stratberger. Jene AUA-Mitarbeiter, die aus diesem Grund zusätzliche Beschäftigung annehmen würden, seien jedenfalls keine Einzelfälle, so der Betriebsratschef: Das ziehe sich durch alle Unternehmensbereiche. Viele hätten in der Gastro-bzw. Cateringbranche angeheuert - die jetzt aber auch zugesperrt ist -, manche bei den ÖBB Nightjets und andere wieder sogar bei Hilfs-oder Pflegediensten. Stratberger: "Da werden alle sich bietenden Möglichkeiten genutzt."

"Demotivierende Situation"

Einen langjähriger AUA-Manager, der aber nicht namentlich genannt werden will, überrascht es ebenfalls nicht, dass junge Stationsmitarbeiter, Techniker oder Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen sich einen Nebenjob suchen würden: "Es sind aber auch Leute dabei, die bereits 20 Jahre bei der AUA sind." Andere würden überhaupt aussteigen, weil ihnen die Perspektiven fehlten. "Die aktuelle Entwicklung ist natürlich schlecht. Jetzt gibt es auch noch den Lockdown, und es kommt gewissermaßen alles zusammen. Das ist für viele eine demotivierende Situation."

Auch bei der Gewerkschaft Vida ist man sich dieser unerquicklichen Situation bewusst: Daniel Liebhart, Fachbereichsvorstand Luftfahrt, sagt, man habe "immer auf das Problem hingewiesen, dass variable Gehaltsbestandteile von der Kurzarbeitsarbeitsregelung nicht erfasst sind." Das betreffe natürlich vor allem jene, die wenig verdienen; wenn jemand aber über längere Zeit 30 Prozent weniger Gehalt hat, wirkt sich das bei allen aus." Deshalb seien die Zusatzjobs offenbar immer häufiger notwendig.

© Newsinfografik Karin Netta

Das sieht auch der AUA-Chef so: Mit dem Kurzarbeitsmodell könnten trotz der produktionsschwachen Zeit viele Jobs erhalten bleiben. Dass Kollegen und Kolleginnen in dieser angespannten Situation Zusatzjobs nachgehen, um in der nun verfügbaren Zeit ihr Einkommen zu erhöhen, sei verständlich. Alexis von Hoensbroech: "Kurzarbeit ist für viele eine Herausforderung. Wenn jemand in seiner freien Zeit etwas dazuverdient, ist uns das als Arbeitgeber recht, sofern alle Regularien eingehalten werden." Detailzahlen zu Nebenbeschäftigungen sowie Gehaltsgruppen will man seitens der AUA aber nicht veröffentlichen. Und auch Mitarbeiterinnen sowie Mitarbeiter, die der Redaktion bekannt sind, wollen sich zu ihren Nebenjobs nicht äußern, weil sie Nachteile befürchten.

Druck auf das Management

Aber nicht nur die Mitarbeiter befinden sich in einer unerfreulichen Situation, auch das Management steht gehörig unter Druck. Und nicht nur das der AUA, sondern noch mehr das der Lufthansa: Der erfolgsverwöhnten Konzernboss Carsten Spohr muss neben der Bewältigung der Corona- Folgen -derzeit sind 410 der 763 Lufthansa-Maschinen gegroundet -endlich die Kostenstruktur des von wiederkehrenden Streiks geplagten Airlinekonzerns nachhaltig senken. Seit Jahren gibt es Konflikte zwischen Management, Belegschaft und Gewerkschaft um zu hohe Personalkosten. Erst jüngst konnte mit der Gewerkschaft Verdi eine Einigung für 35.000 Bodenbeschäftigte mit Kündigungsschutz bis März 2022 erzielt werden. Im Gegenzug verzichten diese auf Gehaltsbestandteile im Volumen von 200 Millionen Euro. Mit dem teureren fliegenden Personal und der Vereinigung Cockpit steht ein Verhandlungsergebnis, das 450 Millionen Euro bringen soll, allerdings noch aus. Sollten die Gespräche scheitern, würde das die Umsetzung betriebsbedingter Beendigungskündigungen für Piloten der Lufthansa Airline zur Folge haben, heißt es dazu aus dem Büro von Spohr, dessen Krisenmanagementfähigkeiten zuletzt nicht nur in Regierungskreisen angezweifelt wurden. Vor allem seit der als Patriarch geltende Knorr- Bremse-Eigentümer Heinz Hermann Thiele bei der AUA-Mutter eingestiegen ist, weht Spohr ein eisiger Wind entgegen. Thiele ist neben der Bundesrepublik Deutschland mit 12,42 Prozent zweitgrößter Lufthansa-Aktionär und gilt als Verfechter eines radikalen Sparkurses. Er fiel auch dadurch auf, dass er sich bei der Lufthansa-Rettung durch den Staat lange querlegte -angeblich, um damit für sich Zugeständnisse zu erwirken.

»Jene Mitarbeiter, die wegen der Gehaltseinbussen einen Zweitjob annehmen, sind keine Einzelfälle«

Bordbetriebsratsvorsitzender Rainer Stratberger zu den finanziellen Folgen der Kurzarbeit

Spohr stehen aktuell zwar noch 10,1 Milliarden Euro an liquiden Mitteln zur Verfügung, Thiele soll aber befürchten, dass der Lufthansa schon nächstes Jahr das Geld ausgehen und eine Überschuldung drohen könnten. Laut dem "Spiegel" drängt er den Vorstand, den Verkauf aller strategischen Beteiligungen in Betracht zu ziehen. Und dazu sollen neben der Lufthansa Technik die Finanzsparte AirPlus sowie Swiss und eben auch die AUA gehören, heißt es in dem Bericht.

Ein Ansinnen, dass aber auf Nachfrage von allen Beteiligten dementiert wird: sowohl von der Lufthansa, Austrian als auch der österreichischen Beteiligungsholding Öbag, die im Gegenzug für die Staatshilfe jüngst zwei Vertreter für die AUA-Kontrolle entsandt hat. Die AUA sei als Hub-Airline Teil des Kerngeschäftes der Lufthansa Groupm decke mit Österreich einen wichtigen Markt ab und nehme mit ihrem Osteuropa-Netz eine wichtige Rolle ein, heißt es allgemein. Derzeit dürfte eine AUA-Veräußerung allein schon aus einem Grund kein Thema sei, wie ein Luftfahrt-Insider meint: "Wer soll denn heute schon eine Fluglinie kaufen?"

Der Beitrag erschien ursprünglich im News der Ausgabe 47/2020.