Gerhard Gulewicz: RAAM als
Leidenschaft und Lebensziel

Race across America - Vom härtesten Sport-Event der Welt mitten in die Kinos

von Extrem-Radfahrer Gerhard Gulewicz © Bild: Adrialpe-Media

"Ich muss sagen, es ist genial, wie Sascha Köllnreitner unsere Sportarten in ein anderes Licht setzt", erzählt Gerhard Gulewicz von dem Film, in dem er neben Apnoetaucher Guillaume Nery und Wingsuit-Flyer Halvord Angvik eine Hauptrolle einnimmt. Für ihn ist das Ultra-Cycling, so der englische Terminus, nicht nur sportlicher Zeitvertreib sondern das beste Beispiel für die Aufgaben, die einem das Leben stellt.

Wer knapp 5.000 Kilometer und insgesamt 52.000 Höhenmeter in weniger als 9 Tagen und mit einem Minimum an Schlaf bewältigt, ist auf den Alltag vorbereitet. Als Vortragender und Seminarleiter weiß der 47-Jährige, wovon er spricht...

NEWS.AT: Auf Deiner Homepage ist im Abschnitt über das RAAM groß „My Passion“ zu lesen. Wie kann das tagelange Quälen zur Leidenschaft werden?

Gulewicz: Wenn ich dir erzähle, dass es gar nicht so extrem ist, würdest du sagen, ich sei verrückt. Im Grunde genommen ist aber die ganze Vorbereitung im ganzen Jahr davor viel intensiver als das Rennen selbst. In den acht Tagen musst du dich quälen, da gibt es keine Alternative, wobei das Quälen dort sogar leichter ist. Da schaut die Öffentlichkeit auf dich, da gibt es Zuschauer, ein Team, kurz: Du bist fremdmotiviert. Dazu kommt noch das Adrenalin des Rennens. Aber die Disziplin, täglich aufzustehen und zu trainieren, trotz Müdigkeit, Kälte, Regens – das ist eigentlich härter als das Rennen selbst.

NEWS.AT: Also weiten wir die Frage aus: Wieso quälst du dich ein Jahr lang?

Gulewicz: Jetzt kommt das Aber an der Geschichte: Ich darf meine Leidenschaft meinen Beruf nennen. Ich lebe im Salzkammergut und darf jeden Tag Sport betreiben, darf an einem schönen Tag mit dem Rad auf den Gipfel fahren. Ich darf tun, was ich gerne mache, auch wenn ich ebenso Phasen der Lustlosigkeit habe. Aber andere zahlen viel Geld, um hierher auf Urlaub zu fahren und opfern obendrein ihre Freizeit. Ich darf mir beruflich eine Welt anschauen, der andere nur durch Sightseeing näher kommen. Der zweite Grund betrifft meinen Brotjob, die Seminare und Vorträge, für die der Sport bezüglich Motivation und Durchhaltevermögen die beste Plattform darstellt. Ein besseres Exempel gibt es nicht. Und Vorträge und Seminare sind ebenso meine Passion. Das macht mir unheimlich viel Spaß.

NEWS.AT: Du sprichst von Phasen der Lustlosigkeit. Wie schaffst du es trotzdem immer wieder aufs Rad?

Gulewicz: Ich verwende mein eigenes System, ähnlich der alten Bauernregel: Wie der Schelm denkt, so ist er. Denke Positiv! Hadere ich damit, wieder trainieren zu müssen, wird es mich nicht freuen. Sag ich mir, jetzt mache ich mein Training mit Spaß, werde ich den auch haben. Diese Gedankengänge muss ich, obwohl es implementiert ist, aber auch immer wieder selbst nach vorne holen.

Extrem-Radfahrer Gerhard Gulewicz
© Adrialpe-Media Gerhard Gulewicz auf seinem Arbeitsgerät

NEWS.AT: Radsport war aber nicht deine erste Wahl.

Gulewicz: Ich habe alle Sportarten durchgemacht. Klassisch Fußball in der „Bierzeltliga“. Ich habe Boxen, Karate und Handball versucht und bin dann mit 14 Jahren via Medien auf Arnold Schwarzenegger gestoßen. Muskeln haben mich fasziniert und so bin ich zum Kraftsport gekommen. Ich bin in Graz zur Schule gegangen und habe im selben Fitnessstudio wie Schwarzenegger zu trainieren begonnen. Er war mein großes Idol. Ich habe es in einigen Jahren relativ weit gebracht. Mit dem Staatsmeistertitel im Dreikampf habe ich mich für die WM qualifiziert. Doch dann zog ich mir eine so schwere Schulterverletzung zu, dass ich den Sport auf höchstem Niveau nicht mehr ausüben konnte. Dann bin ich sehr dick geworden, weil ich noch immer das Gleiche gegessen habe. Die Fitness-Studios habe ich zwar teils besessen, aber kaum noch besucht. Ich kam in dieses Hamsterrad, in dem es nur noch um Business geht.

NEWS.AT: Und dann kam eine Wette.

Gulewicz: Im Fitness-Studio sind einige zusammengestanden und haben über den Bad-Goisern-Radmarathon geredet. Ich war immer schon ein selbstsicherer Typ und behauptete, dass ich das ebenso machen kann. Dann wurde daraus eine Wette, in der ich die 100 Kilometer bei 3.000 Höhenmeter um Bad Goisern in acht Stunden zu bewältigen. Ich hatte mir nichts dabei gedacht, Radfahren ist ja nicht so schwer. Ich fuhr mit und starb dabei tausend Tode. Ohne Ausdauer-Training im Vorfeld habe ich es geschafft. Da ich nicht trainiert hatte, gaben sie mir einen Bonus von fünf Minuten und ich kam in acht Stunden, zwei Minuten und ein paar Sekunden ins Ziel. Dort habe ich dann gesagt: Nie wieder! Beim RAAM bin ich stets trainiert, da war ich untrainiert. Im Nachhinein war es also um einiges schlimmer.

»Ich habe gesagt: Nie wieder Radfahren«

NEWS.AT: Das härteste Rennen der Welt ist also der Bad-Goisern-Radmarathon?

Gulewicz: Wenn man es untrainiert bestreitet, sicher. (lacht) Im nächsten Jahr haben wir wieder gewettet, diesmal um die Teilnahme beim langen Marathon mit über 200 Kilometern und 7.000 Höhenmetern. Ich habe die Wette erneut akzeptiert, mich aber ordentlich vorbereitet und bin 14. geworden. So habe ich gemerkt, welche Erfolge möglich sind, und meine Liebe zum Langdistanzsport geweckt.

NEWS.AT: Diese Liebe hat dich dann im Jahr 2006 zum Race Across America gebracht. Neben großen Erfolgen wie dem 2. Platz 2009 und 2010 gab es auch herbe Niederlagen. Eine solche wird im Film "Attention - A Life in Extremes" thematisiert. Wie geht es dir, wenn du die Szenen siehst?

Gulewicz: Ich habe den fertigen Film erst beim Filmfestival in Kitzbühel im August gesehen und war im Anschluss an das Screening persönlich betroffen. Ich habe ich viel gesehen, dass ich so nicht mehr erleben möchte. Natürlich wird man als Sportler nicht gerne bei Niederlagen gefilmt. Das widerspiegelt nicht das Streben, ganz nach vorne zu kommen. Auf der anderen Seite geht es genau darum im Leben.

Extrem-Radfahrer Gerhard Gulewicz
© Adrialpe-Media Niederlagen gehören dazu

NEWS.AT: Wie darf man das verstehen?

Gulewicz: Jeder muss mit Niederlagen umgehen. Deshalb ist der Sport das Best Practice Example für das Leben. Was macht man nach einer Niederlage? Aufhören ist leicht, weitermachen und am Ziel festhalten umso schwerer. Auch wenn es scheinbar unmöglich zu erreichen ist. Deshalb bin ich im Nachhinein wieder sehr glücklich über die Bilder. Mir gefällt der Film wahnsinnig gut, aber für mich als Sportler ist es beim ersten Mal sehr schwer gefallen, das zu verkraften.

NEWS.AT: Wie nimmt man das Rennen selbst, bei dem du nach eigenen Aussagen zwischen Kleinkind und Superheld pendelst, wahr?

Gulewicz: Gewisse Dinge werden nach 10 Teilnahmen zur Routine. Da kann man sagen, das kenne ich…und das muss ich dagegen tun. Beim ersten Mal war das ganz anders: Das waren furchtbare Phasen. Da sitzt du am Rad und beginnst zu weinen. Du schreist nach der Mama, übertrieben gesagt. Ein ander Mal fliegst förmlich aufgrund des Adrenalins. Du denkst dir, kein Berg kann zu hoch sein, kein Tempo zu schnell. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, mit beiden Situationen besser umzugehen und es in beide Richtungen abzufedern. Dadurch wird die Leistung auch konstanter und du selbst erfolgreicher.

»Schlafentzug ist die extremste Folter, die man einem Menschen antun kann und genau das habe ich erlebt«
Extrem-Radfahrer Gerhard Gulewicz
© Adrialpe-Media Gerhard Gulewicz am Ende seiner Kräfte

NEWS.AT: Und was ist dann in jenem im Film beschriebenen Jahr 2011 geschehen?

Gulewicz: 2011 haben wir zu Ende des Rennens die letzte Schlafpause auch noch gecancelt, nur um überhaupt noch eine Chance auf den Sieg zu haben. Da bin ich in einen Bereich gefahren, den ich nicht kannte. Da war ich mental weg. Schlafentzug ist die extremste Folter, die man einem Menschen antun kann und genau das habe ich erlebt. Du kommst in psychische Situationen, in der du alles bewusster mitbekommst und sich die Sinne schärfen. Du hörst alles, du schmeckst alles, kannst aber nicht mehr abwechselnd in die Pedale treten. Die Koordination lässt völlig aus, obwohl du völlig wach bist. In einer anderen Phase wurde ich nach 300 Kilometern wach, ohne jemals geschlafen zu haben. Ich war davor einfach mental weg, bin in Trance gefahren und konnte mich an die eben zurückgelegten Kilometer nicht mehr erinnern. Im besten Fall bist du weder hellwach noch entschlafen, denn dann bist du schnell. Dass dir dieses perfekte Rennen gelingt, ist aber selten.

Extrem-Radfahrer Gerhard Gulewicz
© Adrialpe-Media "Manchmal glaubst du, du fliegst"

NEWS.AT: Und dennoch ist eben jenes perfekte Rennen, wie es etwa Christoph Strasser, dem Sieger 2014, gelungen ist, dein Ziel.

Gulewicz: Gewinnen ist so eine Sache. Ich bin mittlerweile 47 Jahre alt und möchte auch dahingehend den Menschen eine Message vermitteln, dass man nie zu alt für irgendetwas ist, auch nicht für Extremsport. Ich glaube an mein Ziel, meinen Traum und halte daran fest. Wenn ich nächstes Jahr nicht gewinne, fahre ich eben noch einmal. Es müssen erst andere, die momentan stärker sind als ich, sich erneut beweisen. Man darf nicht immer den Fehler auf andere schieben sondern bei sich selbst sehen, was man besser machen kann.

NEWS.AT: Die Zielsetzung ist ja auch ein zentraler Punkt bei deinen Seminaren.

Gulewicz: Zielsetzung, Motivation und Durchhaltevermögen. Ziele hat man schnell, mit dem Ziel ist man auch schnell motiviert. Doch wenn die ersten Probleme auftauchen, fällt die Motivation. Deswegen ist das Durchhaltevermögen der wichtigste Punkt. Beim RAAM und im Leben. Ich fasste vor neun Jahren das Ziel, das RAAM zu gewinnen, war schwer motiviert und erlebe doch immer wieder Niederlagen. Also geht es ums Durchhalten. Natürlich ist es mit 47 Jahren nicht leichter geworden. Wenn ich merke, dass ich mich nicht mehr verbessere, werde ich mein Ziel vielleicht neu definieren. Doch wer sagt, dass dann schon mein Zenit erreicht ist. Wir beschränken unsere Ziele aufgrund unserer eigenen Denkweise. Warum soll ein Siebzigjähriger nicht Höchstleistungen bringen können? Nur weil alle sagen, das geht nicht?

Extrem-Radfahrer Gerhard Gulewicz
© Adrialpe-Media RAAM: Allein durch die Weiten Amerikas

NEWS.AT: Gab es viele, die zu dir gesagt haben, dass es nicht geht?

Gulewicz: Anfänglich waren viele skeptisch. Aber auch nun werden Stimmen laut, die nach den zwei Ausfällen in Folge, ohne die Hintergründe zu kennen, nicht mehr an mich glauben. Wenn man aber auf das Leben dieser Kritiker blickt, erkennt man, dass es genau dieselben Menschen sind, die sich selbst nichts zutrauen. Andere glauben voll an dich und erkennen in dem, was ich tue, eine Art Anker für sich. Das motiviert mich im Gegenzug wieder.

NEWS.AT: Abschließende Frage: Siehst du dich als Extremsportler?

Gulewicz: Ich glaube, dass extrem eher ein Medienbegriff ist. Wenn ich ein großes Haus mit hundert Fenstern habe, ist der Fensterputz für mich extrem. Für die Putzfrau, die das täglich macht ist das Business as usual. Für jeden Menschen gibt es Situationen, die für ihn persönlich extrem sind. Das ist meine Definition - Situationsbedingt.

» Wenn ich ein großes Haus mit hundert Fenstern habe, ist der Fensterputz für mich extrem.«

Gerhard Gulewicz nimmt seit 2006 ununterbrochen am Race Across America teil. 2013 und 2014 musste er vor dem Ziel aufgeben. 2015 wird er wieder am Start sein. Zur Zeit radelt er von Kino zu Kino, um den Film "Attention - A Life in Extremes" (ab 26.9. im Kino) gemeinsam mit Regisseur Sascha Köllnreitner zu präsentieren. Alle Infos zu seinen Motivations-Seminaren finden Sie hier.

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