Artur Trofimov:
Auf der Flucht vor Interpol

Seine Existenz steht auf dem Spiel - in Österreich versucht er Asyl zu bekommen

von Artur Trofimov © Bild: Matt Observe

Nicht viele können behaupten, ein Leben wie in einem Thriller zu führen. Artur Trofimov ist einer von ihnen. In Russland war Trofimov einst ein gefragter Bankmanager. Heute lebt er als Flüchtling in Wien. Trofimov sagt, er sei ein politisch Verfolgter. Russland lässt den Mann hingegen mittels internationalen Haftbefehls über Interpol suchen. Russland sagt, er habe über 2,8 Milliarden Euro veruntreut. Wie passt das zusammen? Schützt Österreich einen weltweit gesuchten Verbrecher? Oder missbraucht Russland Interpol, um einen politischen Flüchtling zu verfolgen?

Zweifelsfreie Antworten gibt es in dieser Geschichte nicht, dafür aber einige Indizien. Über Wochen hinweg schickte Trofimov stapelweise Dokumente an News, um seine Unschuld zu beweisen. Es geht um viel Geld, eine steile Karriere -und einen noch steileren Absturz. Es geht um ein Leben auf der Flucht und um gegenseitige Anschuldigungen.

Trofimov ist 48 Jahre alt. Ein gepflegter, aber unscheinbarer Mann. Sein Lebenslauf liest sich wie eine Erfolgsgeschichte; eine Geschichte, die in Russland beginnt. In Moskau studiert er Betriebswirtschaft und arbeitet bei Baufirmen und Banken. Trofimov kämpft sich nach oben, wird zum Experten für Immobilienprojekte und schließlich sogar Vizepräsident der Bank Astana. 1999 lernt er den kasachischen Geschäftsmann Mukhtar Ablyazov kennen. Noch kann er nicht ahnen, dass diese Freundschaft sein Leben verändern wird. "Ablyazov ist der Grund, warum ich heute verfolgt werde", sagt Trofimov. Die beiden werden Freunde, und sie werden enge Geschäftspartner. Gemeinsam verwirklichen sie mehrere Bauprojekte. Trofimov leitet das Geschäft, Ablyazov stellt die Kontakte zu ausländischen Investoren her. Doch Ablyazov ist mehr als nur ein reicher Geschäftsmann: Er ist einer der erbittertsten politischen Gegner des kasachischen Herrschers Nursultan Nasarbajew. So finanziert Ablyazov mit seinen Millionen etwa die regimekritische Partei "Demokratische Wahl Kasachstan".

Bei einer Einvernahme gibt Trofimov an, Ablyazov solle zu ihm gesagt haben: "Du wirst wegen der Freundschaft zu mir Probleme bekommen."

Trofimovs Haare sind ergraut. Seit März 2010 war er nicht mehr in seiner Heimat. Damals fliegt er nach Frankreich. Offiziell ist es eine Dienstreise, Trofimov besucht eine Immobilienausstellung. Später wird er angeben, er wollte Moskau schnell verlassen: Die Luft sei zu dünn geworden. In Russland eskaliert die Lage. Die Polizei nimmt vier seiner Kollegen fest, seine Wohnung wird durchsucht. Russland beginnt nach ihm zu fahnden. Am 28. Oktober 2011 landet er schließlich auf der Interpol-Liste für international gesuchte Verbrecher, "Wanted Persons". Der Vorwurf: schwerer Betrug. Trofimov soll Kredite veruntreut und so einen milliardenschweren Schaden verursacht haben.

Die Situation ist ernst. 190 Länder sind Mitglied bei Interpol, der internationalen kriminalpolizeilichen Organisation. Das heißt: Russland bittet offiziell die Polizei von 190 Ländern, diesen Mann festzunehmen und auszuliefern. Trofimov kommt über Umwege nach Österreich und bittet um Asyl. Wegen des Interpol-Haftbefehls steckt ihn die Polizei kurz darauf ins Gefängnis. Russland verlangt seine Auslieferung. Drei Monate sitzt er in der Wiener Justizanstalt Josefstadt hinter Gittern, ehe er gegen 75.000 Euro Kaution freikommt.

Die Asylbehörde prüft seinen Fall. Am 4. Dezember 2013 entscheidet sie: Trofimov bekommt kein Asyl, dafür aber subsidiären Schutz. Das heißt: Er ist zwar kein anerkannter politischer Flüchtling, aber sein Leben wäre bei einer Rückkehr dennoch bedroht. Trofimov darf somit in Österreich bleiben. Der Interpol-Haftbefehl ist aber bis heute in Kraft.

Er wirkt freundlicher als auf dem Fahndungsfoto von Interpol. Trofimov trägt ein schlichtes blaues Hemd, eine braune Stoffhose und eine günstige Armbanduhr. Sollte Trofimov das Geld damals eingesteckt haben, dann trägt er dessen Insignien jedenfalls nicht an seinem Körper. Das Geld? Trofimov schüttelt den Kopf. "Es gibt kein Geld", sagt er, "das ist alles erfunden.

Laut Anklageschrift waren Trofimov und Ablyazov Teil einer "kriminellen Bande". 2006 sollen sie über Scheinfirmen Kredite bei der BTA Bank aufgenommen haben, um in der Nähe von Moskau 2.500 Hektar Land zu kaufen. Die BTA Bank gehörte damals Ablyazov selbst, 2009 wurde sie von Kasachstan verstaatlicht. Kurz vor der Verstaatlichung sollen Ablyazov und Trofimov die Kreditverträge illegal gekündigt haben. Somit blieb das geborgte Geld bei ihren Scheinfirmen, der Bank entstand ein Schaden von 2,8 Milliarden Euro.

Trofimov streitet all dies ab. Er sagt, er sei das Opfer einer Intrige. Das eigentliche Ziel sei es, seinen Freund Ablyazov, den einflussreichen Regimegegner, verschwinden zu lassen. Ablyazov flüchtet nach der Verstaatlichung seiner Bank und bekommt 2012 in London Asyl. "Sie können Ablyazov nicht mehr fassen, daher versuchen Russland und Kasachstan, seine Geschäftspartner einzusperren", sagt Trofimov. Er fürchtet, dass ihm die russische Polizei unter Folter falsche Geständnisse über Ablyazov herauspressen möchte. Die Anklage sei nur ein Vorwand, um an ihn heranzukommen.

Tatsächlich gibt es Indizien, die für Trofimov sprechen. Laut russischem Recht ist eine Fahndung nur dann vorgesehen, wenn unklar ist, wo sich der Beschuldigte aufhält. Trofimov hat aber nachweislich wiederholt seinen Aufenthaltsort mitgeteilt, zuletzt schickte er etwa seinen Meldezettel und Reisepass. Für die russischen Ermittler sind diese Nachweise nicht ausreichend.

Noch ein Indiz spricht für ihn. Nachdem Ablyazov Kasachstan verließ, wurden zahlreiche seiner Mitstreiter eingesperrt. Jene, die fliehen konnten, bekamen Asyl -in Spanien, Belgien, Polen, Italien und Großbritannien. Manche stehen wie Trofimov nach wie vor auf der Interpol-Liste.

Interpol sorgt dafür, dass die Fahndung nach Verbrechern nicht an der Landesgrenze endet. Seit einigen Jahren werden aber auch Fälle von Missbrauch bekannt (siehe Kasten); Mitglied bei Interpol sind nicht nur Demokratien, sondern auch autoritäre Regime. Auch solche Länder haben die Möglichkeit, weltweit nach unliebsamen Personen fahnden zu lassen.

"Der Vorwurf der Wirtschaftskriminalität ist typisch für Russland und Kasachstan, um politische Gegner zu verfolgen", sagt Marju Lauristin, eine sozialdemokratische Europa-Abgeordnete aus Estland, die mit dem Fall vertraut ist. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International geben ihr recht. Kaum ein Land verfolgt politische Gegner offiziell aus politischen Gründen; stattdessen erfinden die Regime andere Vorwürfe. Wirtschaftskriminalität ist beliebt, weil die Anschuldigungen da schwer zu widerlegen sind.

Politisch motivierte Haftbefehle sind laut Interpol-Statuten eigentlich verboten. Jeder Haftbefehl wird einzeln geprüft. Allein die Zahlen machen aber stutzig. Im vergangenen Jahr gingen über 10.000 Haftbefehle bei Interpol ein. "Die Kontrollmechanismen existieren praktisch nur auf dem Papier", sagt Jędrzej Czerep von der polnischen Plattform Open Dialog. Die Ressourcen seien schlicht nicht vorhanden. Seine NGO fordert daher seit Jahren Reformen. In Österreich machte die Menschenrechtssprecherin der Grünen, Alev Korun, vor zwei Wochen im Parlament mit einem Entschließungsantrag auf den Missstand bei Interpol aufmerksam. "Anerkannte Flüchtlinge haben auf der Interpol- Liste nichts zu suchen", sagt sie.

Die Behörden scheinen zu reagieren. "Wir arbeiten daran, dass Asylämter Zugang zu den Interpol-Daten erhalten, um bei Bedarf die Löschung von Fahndungen zu beantragen", sagt Mario Hejl, Sprecher des Bundeskriminalamts, bei dem auch das Österreich-Büro von Interpol angesiedelt ist.

Flüchtling oder nicht: Wer einmal auf der Liste landet, kommt nur schwer wieder von dort weg. Theoretisch könnte das Land, das den Haftbefehl veranlasst hat, die Fahndung wieder einstellen. In den meisten Fällen, so auch bei Trofimov, ist das aber sehr unwahrscheinlich. Ansonsten gibt es noch eine Beschwerdekommission. Sie tagt dreimal im Jahr. Auch Medienberichte spielen dort eine Rolle. Trofimov macht keinen Hehl daraus, dass er sich deshalb an die Öffentlichkeit wendet. Er hofft, dass dieser Artikel dabei hilft, ihn von der Interpol- Liste zu streichen.

Solange das nicht passiert, kann er außerhalb von Österreich jederzeit festgenommen werden. Auch innerhalb der EU. Trofimovs subsidiärer Schutz schützt ihn nur in Österreich. Zurzeit sucht er einen neuen Job. Ein gut bezahltes Angebot scheitert aber daran, dass er nicht verreisen kann. Trofimov sitzt in Österreich fest. Der Exmanager lebt daher nun von der Mindestsicherung. Vermögen hat er - zumindest in Österreich -nachweislich keines.

Doch selbst in Österreich kommt Trofimov nicht zur Ruhe. Bei einer Einvernahme gibt er zu Protokoll, ein kasachischer Agent habe ihm vor seiner Wohnung in Wien aufgelauert und ihn bedroht: Trofimov solle "zum Wohle aller" nach Russland zurückkehren. Nach dem Vorfall schaltet sich der Verfassungsschutz ein. Auch das spricht für ihn.

Gegen ihn spricht allerdings die Vergangenheit seines Geschäftspartners Ablyazov, zumindest Teile davon. Ablyazov hat nämlich eine Vorgeschichte mit Österreich. 2008 versuchte der Oligarch hier vergeblich, für 50 Millionen Euro die Staatsbürgerschaft zu kaufen, wie News aufdeckte. Ablyazovs Geschichte ist undurchsichtig. Nach seiner Flucht aus Kasachstan bekommt er zwar in England Asyl, sein Fall geht aber vor Gericht. Wegen Missachtung richterlicher Anordnungen wird er in London zu 22 Monaten Haft verurteilt. Ablyazov flieht erneut und wird 2013 in Frankreich festgenommen. Jetzt droht ihm wieder die Auslieferung.

Wer also ist Artur Trofimov? Ein politischer Flüchtling? Oder womöglich doch ein korrupter Manager? Diese Frage könnte nur ein Gericht letztgültig beantworten. Nur: welches Gericht? Ein russisches wohl kaum -das Land genießt nicht gerade den Ruf, eine unabhängige Justiz zu haben. Und Österreich? Woher sollen österreichische Ermittler wissen, was vor Jahren in einer ausländischen Bank passiert ist? Die Behörden hier sind erst recht auf Dokumente aus Russland und Kasachstan angewiesen.

Hier endet die Geschichte. Trofimov kämpft weiter dafür, in Österreich als Flüchtling anerkannt zu werden; subsidiärer Schutz ist ihm zu wenig. Das AMS schickt ihn inzwischen in Fortbildungskurse. Dort lernt Artur Trofimov, der ehemals so erfolgreiche Manager, wie man sich richtig für einen Job bewirbt.

Kommentare

Ipan

Unsere Justiz scheint ja sonst keine Arbeit zu haben !
Österreich scheint sich um ALLE zu kümmern,nur nicht um die eigene Bevölkerung !

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