Wenn die Luft dünn wird:
Apnoetaucher Guillaume Nery

Er taucht ohne Sauerstoffflasche und ohne Angst. Aber mit umso mehr Leidenschaft.

von Guillaume Nery beim Apnoetauchen © Bild: Julie Gautier

NEWS.AT: Du kommst aus Nizza, einer wunderschönen Stadt am Meer, die Sportbegeisterten viele Möglichkeiten bietet. Warum also Apnoetauchen?

Guillaume Nery: Ich habe viele verschiedene Sportarten betrieben und eines Tages im Alter zwischen 14 und 15 mit einem Freund gewetteifert, wer länger die Luft anhalten kann. Als ich verlor, war ich wütend, zugleich aber auch animiert, mich zu verbessern. Mit der Zeit habe ich dann realisiert, dass ich meinen Atem mit Training länger und länger anhalten kann. Ich wurde fasziniert von der Idee, die Grenzen des menschlichen Körpers zu erkunden. In Nizza war es für mich ziemlich leicht, in diese Unterwasserwelt einzutauchen.

Guillaume Nery beim Apnoetauchen
© Julie Gautier Guillaume Nery in der Tiefe des Ozeans

NEWS.AT: Du warst mit 14, 15 also ein typischer wetteifernder Teenager?

Nery: Ja, ich war zwar in keinem Club. Aber der Wettkampf und die Herausforderung waren für mich immer im Kopf. Wettkämpfe zu bestreiten war allerdings nicht die Haupt-Motivation für mich, Free Diving zu betreiben. Ich wollte nicht alle anderen schlagen sondern war einfach von meinem Körper selbst fasziniert.

»Ich war einfach von meinem Körper fasziniert.«

NEWS.AT: Wie vollzog sich dann die Wandlung vom Erlebenden des eigenen Körpers hin zum professionellen Free Diver?

Nery: Als ich das erste Mal ins Wasser sprang, war das eine Art neue Welt für mich. Eine neue Welt, in die ich mich sofort verliebt habe. Wenn du das Meer von einem Boot aus beobachtest, ist das schön, wenn du aber unter Wasser bist, ist das etwas ganz Anderes. Ich wollte einfach dort sein. Ich wusste nicht, was ich in der Tiefe finden würde, aber der Gedanke, nach unten zu tauchen, war einfach faszinierend. Es ist einfach das Streben nach dem Unbekannten. Ich erinnere mich noch genau, als ich das erste Mal nicht nach dem Meeresboden sondern ins dunkle Nichts getaucht bin. Das war ein unglaubliches Gefühl. Und genau dasselbe Gefühl treibt mich heute noch immer wieder an.

NEWS.AT: Mit der steigenden Lust am Unbekannten nimmt aber auch die Schwierigkeit zu. Ab wann und wie hast Du professionelles Training genossen?

Nery: Ich begann mit einem Freund im Jahr 1997 und wir fanden heraus, dass einer der wenigen Free Diving Clubs weltweit in Frankreich und noch dazu in Nizza ist. Eine glückliche Fügung des Schicksals (lacht). Dort fühlte ich mich sicher und bereit, neue Tiefen zu tauchen. Meine Eltern waren anfänglich dagegen, deshalb ging ich auch nur einmal in der Woche. Nach einem Jahr kristallisierte sich aber heraus, dass es genau das war, was ich machen wollte. Mit nicht einmal 18 Jahren war ich dann einer der besten Free Diver Frankreichs.

Guillaume Nery beim Apnoetauchen
© Julie Gautier

NEWS.AT: Der Sport war weiterhin aber noch ein Hobby, dein weiterer Lebenslauf erscheint mit dem Beginn eines Studiums als „normal“.

Nery: Ja ich habe begonnen, Sportwissenschaften zu studieren. Einerseits natürlich, um mehr über meinen Körper zu erfahren, andererseits aber auch, weil ich nicht wirklich wusste, was ich machen will. Ich hatte den Traum, vom Free Diving leben zu können, aber es war hart daran zu glauben. So versuchte ich Lehrer zu werden, da mir so bei der vielen Freizeit mehr Zeit für meine Leidenschaft bliebe. Nach zwei Jahren habe ich eingesehen, dass das nicht der richtige Weg ist - du solltest das tun, was du wirklich tun willst. Also habe ich mich nach meinem Bachelor auf Sponsorsuche begeben, um Free Diving professionell zu betreiben. Es ging Schritt für Schritt von Event zu Event, von Rekord zu Rekord, immer wieder gut, dauerte aber eine Weile, ehe ich mich voll auf das Apnoetauchen konzentrieren konnte.

»Wenn du 100 Prozent deiner Energie für deinen Traum gibst, hilfst du dem Schicksal ein Stück weit nach«

NEWS.AT: Hast du also einen finanziellen Druck gespürt, unbedingt neue Rekorde aufstellen zu müssen, um weiterhin vom Free Diving leben zu können?

Nery: Niemals! Alles passierte sehr natürlich. Ich musste nie eine Entscheidung treffen, weil der Druck von außen zu groß war, so wie es etwa Herbert Nitsch ergangen ist. (Österreichischer Free Diver, der bei einem Weltrekordversuch schwer verunfallte, Anm.) Ich habe Rekorde aufgestellt, weil ich es wollte, nicht weil ich dazu gedrängt wurde. Das Schicksal meinte es aber auch immer gut mit mir. Gerade als etwa von 10.000 Euro eines Sponsors nahezu nichts mehr übrig war, tauchte ein Uhrenhersteller als Großsponsor auf. Es heißt keinesfalls, dass es im Leben immer so leicht läuft, aber ich bin von einem überzeugt: Wenn du 100 Prozent deiner Energie für deinen Traum gibst, hilfst du dem Schicksal ein Stück weit nach.

Guillaume Nery beim Apnoetauchen
© Julie Gautier Eins mit den Elementen

NEWS.AT: Schicksalhaft wurde auch die Begegnung mit Julie Gautier, ebenso Free Diverin und schließlich deine Frau.

Nery: Wir trafen uns im Jahr 2000, als ich bei einem Wettkampf in Nizza, an dem sie für Reunion teilnahm, im Organisationskomitee saß. Ich war 18, sie 21 und Frauen mit 21 schauen nicht auf junge Männer (lacht). Vier Jahre später sah ich sie auf Reunion wieder und habe sie zu überzeugen versucht, aber sie war vergeben. Im Jahr 2005 kam sie dann nach Frankreich, um ihr Studium über Wasserkultur zu beenden. Sie schlief bei mir im Appartement und obwohl ich aus Angst vor einem weiteren Rückschlag beschloss, keinen weiteren Versuch zu starten, klappte es nach einem Monat endlich.

NEWS.AT: Und wenig später wart ihr ein Paar, das gemeinsam spektakuläre Tauchfilme dreht.

Nery: Erst 2010 machten wir den ersten Film, die Jahre davor tauchten wir nur gemeinsam. Sie nahm weiter an Wettkämpfen teil, weil ich es tat, aber auch weil sie sehr, sehr talentiert war. Aber sie genoss Free Diving nicht. Also kaufte sie eines Tages eine Kamera und begann stattdessen Fotos zu machen. Der Sponsor bezahlte das, auch weil es für ihn billiger war, uns die Fotos machen zu lassen als selbst einen Tauch-Fotografen zu bezahlen. Eine Win-Win-Situation also, denn wir hatten so unsere eigene Kamera. Damit beschlossen wir dann während eines Wettkampfes auf den Bahamas einen Film zu drehen. Basejumping unter Wasser – mit dieser Idee hatte ich schon länger gespielt. Wir beschlossen nur so zum Spaß einen Film im Deans Blue Hole zu machen und den dann der Free Diving Comunity zeigen. Es war sehr einfach. Julie filmte, ich tauchte, alles wurde mit I-Movie gemacht. Die Musik hatte ich bereits auf meinem I-Pod und das Verlangen, dazu einen Film zu machen, schon länger. Es war, als ob du ein Urlaubsvideo drehst. Und dann geschah Magisches!

NEWS.AT: Magisches, du sagst es. Knapp 20 Millionen Aufrufe auf Youtube für deinen Film „Free Fall“. Hast Du selbst einmal Basejumping ausprobiert?

Nery: Nein, aber ich habe vor dem Film einen Kurs im Fallschirmspringen belegt. Nach ca. zehn Sprüngen habe ich es aber aufgegeben, da es sehr teuer wird, ehe man zu den Besten im Skydiving gehören kann.

NEWS.AT: Ist das Gefühl in Luft und Wasser vergleichbar?

Nery:Nein, nein, nein. In der Luft geht alles sehr schnell und du bekommst Adrenalin-Stöße. Es sind auch nur knapp 50 Sekunden. Im Wasser geht alles sehr geschmeidig. Du hast Zeit zu genießen, kannst die Richtung selbst entscheiden und brauchst auch keinen Fallschirm (lacht). Aber das Gleiten und Bewegungsänderungen sind ähnlich.

NEWS.AT: In deinen Filmen und auch in „Attention – A Life in Extremes“ steht bei dir die Ästhetik im Vordergrund. „Die Ästhetik ist Bestätigung“ lautet ein Zitat von dir. Wie lässt sich diese Anschauung mit der Rekordjagd verbinden?

Nery: Ich verliebte mich in Free Diving, weil ich von den Grenzen des menschlichen Körpers fasziniert war, aber in einer Dokumentation über Umberto Pelizzari wurde ich von den Bewegungen fasziniert. Die Doku war jedoch nur auf die Rekorde fokussiert. Ich erkannte aber eine Schönheit, eine Kunst an den Bewegungen. Wenn ein menschlicher Körper im Dunkel der Tiefe verschwindet, ist das wunderschön. Um Rekorde zu erreichen, sind auch schöne Bewegungen vonnöten. Wenn du dich wie ein Fisch im Wasser bewegst, ist das sehr mächtig.

Guillaume Nery
© Adrialpe-Media Guillaume Nery und die Weite des Meers

NEWS.AT: Sprechen wir ein wenig über den Film „Attention – A Life in Extremes“. Wie kam der Kontakt mit Sascha Köllnreitner, dem Regisseur zustande?

Nery: Sascha hat mich im Frühjahr 2011 kontaktiert und mir das Konzept erklärt. Die Story hinter der Dokumentation gefiel mir von Anfang an, weil es etwas anderes war, als schlicht Bilder von Menschen, die Faszinierendes machen, aneinander zu reihen. Ein Teil dieses Films zu sein und die Erfahrungen im Vergleich zu den anderen zwei Protagonisten zu sehen, war sehr interessant.

NEWS.AT: Hast Du die beiden anderen „Hauptdarsteller“, Gerhard Gulewicz und Halvor Angvik, gekannt?

Nery: Nein, aber mittlerweile habe ich durch den Film viel von ihnen gesehen.

NEWS.AT: Kannst Du Gemeinsamkeiten zwischen euch erkennen?

Nery: Die Leidenschaft verbindet uns ganz klar, wobei ich mich dem Basejumper Angvor näher fühle. Gerhard, der Extrem-Radfahrer, hat den Schmerz als ständigen Begleiter und muss ihn überwinden. Ich habe kaum Schmerzen beim Tauchen.

NEWS.AT: Aber du musst doch das Gefühl der beginnenden Bewusstlosigkeit besiegen.

Nery: Ja, es gibt dieses Gefühl, unbedingt atmen zu müssen. Aber die Tauchphase ist so kurz und ich bin so fokussiert. Diese ca. 30 Sekunden des Auftauchens sehe ich nicht einmal als leiden an. Gerhard leidet hingegen über Tage hindurch. Und der Basejumper leidet überhaupt nicht. Das ist schlicht purer Genuss. Aber ein kleiner Fehler bei ihm und alles ist vorbei. Ich glaube, ich bin so in der Mitte veranlagt.

NEWS.AT: Ein gemeinsamer Nenner von euch drei ist die Bezeichnung extrem für das, was ihr tut. Ist Free Diving Extremsport? Wie beschreibst du Extremsport?

Nery: Extrem ist nur das Level des Risikos, das du akzeptierst. In unserer Gesellschaft sind wir dazu getrieben, alles zu kategorisieren. Und extrem sind diejenigen, die gefährlicher sind. Wenn du Tischtennis spielst, gibt es die extrem kleine Chance zu sterben, wenn du den Ball verschluckst (lacht). Es ist natürlich riskanter, aber du selbst setzt die Grenzen der Sicherheit. Ich selbst hatte noch nie das Gefühl, jetzt irgendwie etwas Gefährliches zu machen.

NEWS.AT: Also versuchst du einfach, das Risiko so gut wie möglich zu minimieren. Ähnlich wie es etwa David Lama im Interview ausgedrückt hat.

Nery: Genau. Ich bin in der Position, wo ich sehr viel Kontrolle habe. Beim Klettern etwa bist du von den äußeren Bedingungen abhängig, auf die du keinen Einfluss hast, beim Basejumpen kann etwas mit deiner Ausrüstung sein. Beim Free Diving hingegen kann nicht viel passieren. Es wird in den knapp drei Minuten keine Tsunamis oder Wasser-Veränderungen geben. Wenn du den Tauchgang startest, gibt es keine Gefahr mehr. Die Gefahr liegt beim Festlegen der Tiefe, wenn du nicht auf deinen Körper hörst und zu tief willst. Es gilt, einen klaren Kopf zu bewahren und auf den Tag hin genau zu funktionieren. Als ich das letzte Mal beim Tauchen ohnmächtig wurde, habe ich um genau einen Meter übertrieben. Der war schließlich ausschlaggebend.

NEWS.AT: Der Geburt deiner Tochter vor zwei Jahren war ein weiterer Meilenstein deines Lebens. Hat die neue Vaterrolle dich bei deinem Sporttreiben verändert?

Nery: Nicht signifikant. Im Jahr, als meine Tochter geboren wurde, nahm ich an zwei großen Wettkämpfen teil, ein Jahr danach tauchte ich um den Weltrekord so tief wie nie zuvor. Die Beeinflussung war also nicht unmittelbar, wird mich aber jetzt in Zukunft einholen. In den ersten Monaten ist das Neugeborene sehr auf die Mutter fixiert, du als Vater bist da nur Assistent (lacht). Wenn meine Tochter also größer wird, werde ich eine andere Beziehung zu ihr haben und das wird meine sportliche Karriere schon beeinflussen. Da erfahre ich einfach die Verantwortung, die ich ihr gegenüber habe und überlege, ob die Gefahr es wert ist.

NEWS.AT: Das heißt, man könnte dich in Zukunft öfter auf dem Rednerpodium als im Wasser sehen. Was erzählst du den Hörern deiner Seminare?

Nery: Ich teile einfach meine Erfahrungen mit ihnen. Die Menschen wollen einfach Geschichten aus dem Leben hören und etwas über meine Werte, Herangehensweisen und Zielsetzungen erfahren. Ich erzähle über meine Prinzipien, das Fokussieren auf einen Tag hin und die Geschehnisse unter Wasser. Eine der Grundregeln beim Tauchen ist etwa zu relaxen und nicht gegen den Druck anzukämpfen. In vielen Sportarten geht es immer ums Kämpfen, beim Free Diving nicht. Wenn Du beim Tauchen fighten willst, verlierst du gegen die Elemente. Ich erzähle das und die Menschen ziehen ihre Schlüsse daraus. Sie kämpfen auch stets, sei es mit anderen Menschen, sei es gegen die Zeit. Wenn du im Stau stehst, hilft es nichts, nervös zu werden und zu schreien, weil du nichts tun kannst. Manchmal muss man lernen, loszulassen, um ein besseres Leben zu haben. Und auch wenn unsere Tätigkeiten verschieden sein mögen, geben wir alle unser Bestes. Das bringt uns dann wieder zusammen.

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