Weltstar des Sports ist
dabei, alles zu verlieren

Doppelolympiasieger Peter Seisenbacher wegen Missbrauchs Unmündiger angeklagt

Judo ist nicht nur ein Sport, Judo ist eine Lebenseinstellung. "Der Stärkere trägt Verantwortung für den Schwächeren", so lautet eines der obersten Prinzipien. Einer, der für die japanische Kampfsportart steht wie weltweit kaum ein anderer, soll diese Prinzipien sträflich missachtet haben: Peter Seisenbacher, der erste Doppelolympiasieger, den es im Judo je gab, wurde nach dreijährigen Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt; wegen schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger sowie Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses.

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Missbrauchsvorwurf - Weltstar des Sports ist
dabei, alles zu verlieren

Ein Weltstar des Sports ist dabei, alles zu verlieren, wofür er gekämpft hat. Zwei der mittlerweile erwachsenen jungen Frauen soll er sexuell missbraucht haben, als sie jünger als 14 Jahre alt waren, Kinder also. Bei einer dritten soll er, als sie 16 Jahre alt war, den Versuch unternommen haben, sich sexuell zu nähern. Die Anzeige erfolgte Ende 2013. Gegen Seisenbacher wurde Anklage erhoben. Im Falle eines Schuldspruchs drohen bis zu zehn Jahre Haft. Am 19. Dezember hätte er sich im Wiener Landesgericht verantworten müssen. Zur Verhandlung erschien er aber nicht. Seit über zwei Wochen ist Seisenbacher spurlos verschwunden.

Rund 40 Zeugen befragt

Rund 40 Zeugen sollen zu der Causa befragt worden sein, darunter hauptsächlich Judoka aus dem Umfeld der Beteiligten. Sehr viel Zeit wurde zudem in die Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen investiert, da zwischen den vermeintlichen Taten und der Anzeige neun Jahre und mehr liegen. Nachdem der Abschlussbericht zwischen Mai und Juni dieses Jahres bei der Staatsanwaltschaft Wien eingelangt war, musste er wegen der Prominenz des Beschuldigten zusätzlich noch von der Oberstaatsanwaltschaft und dem Justizministerium überprüft werden. Drei Jahre, in denen die mutmaßlichen Opfer in Frage gestellt waren, drei Jahre, in denen die Schuld des mutmaßlichen Täters immer mehr außer Frage gestellt wurde.

Denn die Prominenz von Peter Seisenbacher erlaubte auch, dass sein voller Name von Beginn der Ermittlungen an in den Medien publiziert werden durfte, und das geschah weltweit. Der in Österreich dreimal zum Sportler des Jahres gewählte Judoka ist in manchen Ländern - und zwar nicht nur in Japan - ein größerer Star als in seiner Heimat. Als in Österreich kaum noch jemand öffentlich die Hand für ihn ins Feuer legen wollte, arbeitete er in Aserbaidschan als Trainer des Männernationalteams und wurde in dieser Funktion zu den Olympischen Spielen 2016 nach Rio de Janeiro entsandt.

In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, wo er hauptsächlich lebt, erreichte ihn dann die Nachricht der Anklageerhebung. Der Vater von zwei Kindern werde, das hat sein Anwalt bestätigt, zu einem Prozess anreisen. U-Haft wurde mangels Fluchtgefahr nicht angeordnet.

Die drei jungen Frauen, die im Mittelpunkt der schweren Vorwürfe stehen, sollen Mitglieder jenes Judoklubs gewesen sein, in dem der Wiener zwischen 1992 und 2007 Kampfsport unterrichtete. 1997, so heißt es in der Anklageschrift, sollen die ersten Übergriffe auf ein damals neunjähriges Mädchen begonnen haben, von dessen elftem bis 14. Lebensjahr soll es zu geschlechtlichen Handlungen gekommen sein. Ein 13-jähriges Mädchen soll er 2004 bei einem Trainingslager auf der Insel Krk missbraucht haben. Ein dritte Frau sagte bei der Vernehmung aus, sie habe im August 2001 als damals 16-Jährige den Versuch einer sexuellen Annäherung abgewehrt. Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses wäre auch dies in jedem Fall. Die Ermittlungen zogen zu Beginn eine weitere 16-Jährige mit ein, die mit Seisenbacher ein sexuelles Verhältnis gehabt haben soll. Sie gab aber an, dass dies einvernehmlich geschehen sei. Das ist nicht verboten.

Eine ratlose Zeugin

Als Tatorte gelten unter anderem die Räumlichkeiten des Judoklubs in Wien, wo der Judo-Star unterrichtete, sowie ein Anwesen im burgenländischen Güssing, das Seisenbacher gehörte und wo er ein Trainingszentrum eingerichtet hatte. Regelmäßig fanden dort Trainingslager des Klubs statt. Eine, die oftmals dabei war, von der Polizei als Zeugin vernommen wurde und die mutmaßlichen Opfer kennt, sagt: "Seit ich sechs Jahre alt war, habe ich bei Peter Seisenbacher trainiert. Niemals ist irgendetwas vorgefallen, andere Kinder haben nie etwas gesagt oder angedeutet, das in diese Richtung gegangen ist. Nicht einmal Gerüchte habe ich gehört. Darum bin ich von den Vorwürfen, die es jetzt gegen ihn gibt, schockiert und kann das alles gar nicht glauben."

Die junge Frau (Name der Redaktion bekannt) erlebte bei den Trainingskursen in Güssing ein familiäres Umfeld: "Dort waren immer viele Erwachsene, Peters damalige Freundin hat dort gewohnt, andere Trainer waren vor Ort, oft auch Eltern von Kindern. Die Mädchen und Buben haben gemeinsam in der Trainingshalle auf den Matten übernachtet, untertags waren wir zusammen. Schwer vorstellbar, dass dort etwas passiert sein könnte."

Dass in den Wiener Trainingsräumlichkeiten sexuelle Handlungen unbeobachtet geblieben wären, könne sie sich auch nicht vorstellen, sagt sie. "Ab dem frühen Vormittag war immer Betrieb, Kinder und Erwachsene sind ein-und ausgegangen. Nirgendwo war eine Türe abgesperrt, jederzeit war es möglich, die Garderoben oder das Büro von Peter zu betreten, wenn er da war." Die Wienerin betreibt kein Judo mehr. Zu den mutmaßlichen Opfern habe sie seit einigen Jahren keinen Kontakt. Auf eine bestimmte Seite wolle sie sich nicht stellen.

Verdächtiges scheint während des fraglichen Zeitraums, den die Anklage umfasst, niemandem aufgefallen zu sein, der sich im Umkreis der handelnden Personen bewegte. Selbst nach drei Jahren des Darüber-Nachdenkens nicht. Der Vater eines der mutmaßlichen Opfer war ein guter Freund des Welt-und Europameisters. Die Mutter eines der anderen Mädchen eine Ärztin, die bei Trainingslagern oft dabei gewesen sein soll. Dass Missbräuche unbemerkt bleiben, kommt aber sogar in den besten Familien vor.

Die persönlichen Naheverhältnisse erschwerten allerdings die Ermittlungen. In einer Apa-Meldung zum Abschlussbericht wird das besonders langwierige Überprüfen der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen so begründet: "Eine der jungen Frauen soll nach dem von ihr behaupteten Missbrauch weiter Kontakt zu Seisenbacher bzw. dessen Familie gehalten haben." Der lange Zeitraum zwischen den Taten und der Anzeige erschwerte die Beweisfindung zusätzlich. Der Auslöser für die Anzeigen, bei denen sich die jungen Frauen direkt an die Staatsanwaltschaft gewendet haben, könnte darin gelegen haben, dass eines der mutmaßlichen Opfer ein Studium der Rechtswissenschaften begann.

Fakten und Verschwörung

Seisenbacher war in früheren Jahren als einer bekannt, der Frauen, und zwar erwachsenen, zugetan war -solange sie nur nicht dem Judosport frönten. Im Judo hätte er sie lieber nicht gesehen, woraus er kein Geheimnis machte. Generationen junger weiblicher Judoka schwärmten dennoch für ihr Idol. Dass er dies ausgenutzt haben könnte, schien ausgeschlossen. Gerüchte, gerade die negativen, verbreiten sich in der Szene rasant, es gibt wohl keines, das über Peter Seisenbacher nicht in Umlauf gebracht worden wäre, um ihm nachhaltig zu schaden. Nur dieses machte -entgegen anderslautenden Meldungen -nie die Runde. Erstaunlich zum einen, verständlich zum anderen: Ein solcher Vorwurf gegen die Galionsfigur bringt indirekt auch den ganzen Kampfsport in Verruf.

Der Präsident des Österreichischen Judoverbands, Hans Paul Kutschera, sah sich nach Bekanntwerden der Anzeigen unter Zugzwang und erklärte: "Wir hoffen, dass sich die Vorwürfe gegen das österreichische Aushängeschild im Judosport in Sachen Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs nicht bewahrheiten. Selbstverständlich werden wir alles unternehmen, bei der Aufklärung des Sachverhalts unterstützend behilflich zu sein." Rückendeckung sieht anders aus.

Wahre Freunde von Peter Seisenbacher finden sich in heimischen Judokreisen kaum. Der Doppelolympiasieger ist in seinen Ansichten als ebenso kompromisslos bekannt, wie er es als aktiver Sportler auf der Matte war. Trotz seiner sportlichen Erfolge blieb er im heimischen Judosport stets ein Außenseiter. Als Trainer wegen seiner Härte gefürchtet, als Funktionär wegen seiner einzementierten Ansichten nicht Österreich-kompatibel. Er selbst sagte in einem News-Interview, dass er als "sehr bedrohend in der Funktionärswelt" empfunden werde. Und weiter: "Wenn es um den Leistungssport geht, habe ich radikale Positionen. Da gibt es nichts Lauwarmes, mit Halbtraining oder Halbleistung bin ich nicht zufrieden."

Kurz nach Beendigung seiner Sportkarriere bekleidete er von 1989 bis 1993 das Amt des Sporthilfe-Generalsekretärs. Damals war er auch kurze Zeit österreichischer Herrennationaltrainer, bis er einem seiner Schützlinge eine Ohrfeige verpasste und gesperrt wurde. Von 2005 bis 2010 war er Präsident des Wiener Landesverbands. Danach arbeite Seisenbacher in Georgien als Nationaltrainer. Einer seiner Schützlinge holte bei den Olympischen Spielen 2012 in London Gold. Dann wechselte er als Nationaltrainer nach Aserbaidschan. Nach einem Jahr endete die Zusammenarbeit, bevor er 2015 erneut verpflichtet wurde.

In der Zeit dazwischen erfolgte die Anzeige der jungen Frauen. Anlass für Verschwörungstheorien: Schließlich ist es kein Geheimnis, dass Seisenbacher durchaus imstande gewesen wäre, mächtige Funktionärsämter anzustreben. Er hat Verbindungen bis in die obersten internationalen Sportkreise -und damit auch Feinde, wie jene betonen, die an eine perfide Falle glauben wollen.

Doch nur noch die wenigsten, die im Zuge der Ermittlungen befragt wurden, schließen die Möglichkeit aus, dass das einstige Idol getan haben könnte, was ihm zur Last gelegt wird. Die breite Öffentlichkeit hat das Urteil gefällt, egal wie das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Christoph Bauer urteilen wird. Wie Seisenbachers Verteidigungsstrategie aussehen wird, lässt sich ansatzweise aus bisher bekannten Verhaltensmustern vorhersehen: akribisch die Vorbereitung, rigoros die Durchführung. Fraglich ist nur, mit wem er in diesem Kampf kurzen Prozess zu machen plant. Womöglich mit sich selbst.

Der Artikel erschien Mitte Oktober 2016 im News Nr. 40/2016

Kommentare

Ein sehr guter, objektiver und ausgewogener Artikel der Fr. Strasser. Diese Qualität der Berichterstattung wäre öfters wünschenswert. Es scheint, dass den Richtern hier eine schwierige Entscheidung bevor steht. Einerseits ist die Staatsanwaltschaft hier wohl tatsächlich akribisch vorgegangen, andererseits liest es sich nicht wie "gmahde wiesn" Mal schauen wie sich das Verfahren entwickelt.

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