Andy Holzer: "Blind Date" am Gipfel

Der blinde Bergsteiger zeigt, das nichts vorbestimmt ist - Sein "extremes Leben"

von Holzer - Unter Blinden © Bild: Thimfilm

Im Buch „Balanceakt. Blind auf die Gipfel der Welt“ schrieb Andy Holzer seine beeindruckende Lebensgeschichte im Jahr 2010 nieder. Es ist die Geschichte eines blind geborenen Jungen, der in einem kleinen Osttiroler Dorf ohne besondere Pflegeeinrichtungen heranwächst und sich auch dank der Hartnäckigkeit seiner Eltern, ihn wie ein sehendes Kind aufzuziehen, zum gefeierten Profibergsteiger und Seminarleiter in aller Welt wandelt.

Nach acht Auflagen, einer italienischen sowie einer koreanischen Version des Buches finden Teile dieser Story nun auch den Weg auf die Leinwand. „Unter Blinden –Das extreme Leben des Andy Holzer“ läuft ab 3. April in Österreichs Kinos. Vor dem Filmstart sprach der sympathische Protagonist mit NEWS.AT über verschiedene Welten, Vorurteile, Kritiker und Farben.

„Die blinde Welt interessiert Sie nicht“, heißt es im Film. Wie darf man das verstehen?

Andy Holzer: Diesen Satz würde ich ohne Erklärung so nicht stehen lassen. Was ist überhaupt „die blinde Welt“? Ich habe noch nie so viel blinde Welt erlebt wie unter den Sehenden. Das muss ich gleich einmal ganz klar sagen. Blinde Welt heißt nicht, dass man nichts sieht, sondern dass man nichts wahrnimmt. Wenn man sieht, wie blind sich Menschen weltweit sehenden Auges gegenseitig den Schädel einschlagen...

Wie definieren Sie also die „blinde Welt“?

Holzer: Es interessiert mich nicht, wenn Menschen wegen einer pathologischen Blindheit, also bei fehlendem Augenlicht, eine eigene Welt für Blinde zu kreieren versuchen. Meistens sind das ja nicht die Blinden, die das tun, sondern die Sehenden, weil die Blinden das ja nicht können. Schon vor 45 Jahren sagten die Nachbarn zu meinen Eltern, dass es klügere Leute gäbe, die sich schon lange Gedanken gemacht hätten, wie blinde Menschen funktionierten und wie sie leben sollten. Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich lasse mir als Blinder kein Leitsystem von einem Sehenden erklären. Natürlich meinen es die Menschen ja nicht böse, sondern geben sich Mühe. Aber letzten Endes ist es doch der Blinde selbst der Spezialist der Blindenwelt.

Holzer und Spreitzhofer bei Unter-Blinden-Premiere
© Dieter Nagl/Thimfilm Andy Holzer mit Regisseurin Eva Spreitzhofer

Und die „sehende Welt“ interessiert Sie?

Holzer: „Die Mehrheit auf dem Planeten ist sehend. Wenn du also in dieser Welt uneingeschränkt verkehren und kommunizieren möchtest, dann hast du die verdammte Verpflichtung, dich mit den Sehenden zu beschäftigen und nicht mit der blinden Welt. Deswegen interessiert es mich mehr, was eine Farbe ist, was ist Kelvin, was ist die Farbtemperatur, was Weißabgleich, was Kontrast. All diese Dinge finde ich spannend und viel interessanter, als über das zu reden, was nicht da ist.

Ist Ihr Schaffen, seien es nun die Vorträge oder der Film, der gezielte Versuch, diese von Sehenden geschaffene „blinde Welt“ zu verändern?

Holzer: Ich versuche, niemandem etwas zu zerstören, wenngleich ich das wohl ein wenig mache. Ich falle blinden Menschen in den Rücken, denen es nicht so gut geht. Jene, die anders als ich aufgewachsen sind, sagen schnell, dass sie etwas wegen ihrer Blindheit nicht machen können, weil sie es nicht anders gelernt haben. Genauso wie ich eben gelernt habe, dass ich es machen kann." Gleichzeitig zerstöre ich die Vision der von Sehenden geschaffenen „blinden Welt“ und falle so Institutionen in den Rücken. Die bemühen sich und dann kommt der Holzer daher und sagt, man braucht das alles nicht. Das meine ich nicht so. Ich finde nur, dass man beides gelten lassen muss.

» Ich falle blinden Menschen in den Rücken. «

Und doch profitieren auch Sie von Errungenschaften dieser Institutionen.

Holzer: Natürlich. Ich bin ja auch auf Hilfsmittel am Handy oder am Computer sowie auf die Schulter meiner Frau Sabine, an der ich mich beim Stadtspaziergang anhalte, angewiesen. Die Hemmschwelle im Kopf, deswegen nicht alles erreichen zu können, lasse ich mir allerdings nicht gefallen. So gibt es eben Blinde wie Erik Weihenmayer, die auf den Mount Everest steigen, und Blinde, die sich nicht vor die Haustür trauen. Genauso gibt es aber auch bei den Sehenden Generaldirektoren und CEOs, die auf den Everest steigen und Hartz-IV-Empfänger. Da gibt es keinen Unterschied zwischen sehend oder nicht sehend. Die Möglichkeiten sind mit oder ohne Augenlicht gleich groß beziehungsweise klein. Mein Wille ist, den Menschen damit Trost zu spenden.

Holzer - Unter Blinden
© Thimfilm Andy Holzer mit Ehefrau Sabine

Kommen wir zu Ihrer Passion, dem Bergsteigen. Ich habe gedacht, die Lust einen Berg zu besteigen, entsteht, wenn man auf die kolossalen Dimensionen blickt. Was macht für Sie den Reiz aus?

Holzer: Diese Lust ist bei mir ja dieselbe. Wenn ich den Berg nicht innerlich sehen würde, hätte das alles doch gar keinen Sinn. Ich muss ja zu Hause die Strategie entwickeln, wie ich da und da umgehen werde, wie ich auf 7.300 Meter diese und jene Stelle bewältige. Wenn ich an den Himalaya denke, fängt es schon in der Stadt Kathmandu an. Der Reiz des Bergsteigens ist für mich, das Problem zu suchen und dann die Lösung zu entwickeln und sich Herausforderungen zu stellen. Das Größte für mich ist die Bestätigung, dass du die richtige Strategie gewählt hast. Beim Bergsteigen bekommst du eins zu eins die Antwort auf das, was du dir vorher überlegt hast. Wenn du einen einzigen Schritt falsch gedacht, ausgeführt oder interpretiert hast, stürzt du beinhart ab. Der Berg hat keine Emotion. Der weiß nicht, ob du rauf oder runter willst. Der weiß nicht, dass du blind bist. Der gibt dir nur auf physikalischer Ebene die Antwort. Das ist der Reiz für mich. Da gibt es keine Ausreden, keine zweiten Chancen. Da gibt es nur dich selbst.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in einer Felswand hängen?

Holzer: Wenn schwierige, heikle, gefürchtete Stellen kommen, bin ich auf den Quadratmeter fokussiert. Da kann neben mir eine Bombe einschlagen. Ich weiß, ich kann nichts verändern, nichts bewegen, außer vielleicht den rechten Zeigefinger und den linken Zehen. Ich weiß, kein Mensch auf dieser Welt kann mir jetzt helfen oder ist für mich zuständig, mit Ausnahme von mir selbst. Und da bekomme ich so eine Kraft, dass ich spüre: Herrlich, das bist genau du, der das macht. Beim ersten Mal kannst du verzweifeln, beim zweiten Mal wirst du narrisch, beim zehnten Mal hältst du es nicht aus. Aber wenn du es ein Leben lang so gemacht hast, wenn du diese Ausnahmesituationen trainiert hast, ist das ein geiles Gefühl.

Holzer - Unter Blinden
© Thimfilm Angespannt bis auf Zeigefinger und Zehen

Welche Rolle spielt die Gefahr oder besser gesagt das Abschätzen von Gefahr?

Holzer: Diese ganze Gefahrendiskussion ist extrem heikel. Ich bin weit davon entfernt, das zu beurteilen, sowohl bei sehenden Bergsteigern als auch bei Bergführern oder Touristen. Wer die Gefahr besser eingeschätzt hat, weißt du nicht einmal am Ende des Tages. Bei einer Lawinen-Situation kannst du zu Hause sagen: Ich bin ein cooler Hund, ich habe das alles richtig eingeschätzt. Aber wenn du am Gipfel nicht uriniert hättest, wäre die Lawine vielleicht mit dir abgegangen. Das im Nachhinein zu beurteilen ist daher einfach ein Schwachsinn.

Ist die Gefahr für Sie als Blinden größer?

Holzer: Als Blinder Mensch habe ich sicher noch höhere Notwendigkeiten, auf gewisse Dinge zu achten, zu analysieren und zu kalkulieren. Weil ich im Falle des Falles weniger Chancen habe. Ohne Augenlicht schnell einmal wo hinspringen geht nicht und das weiß ich auch. Deswegen versuchen wir auch immer noch einen Anker mehr zu bauen und noch eine Sicherung mehr einzulegen. Von außen sieht man das ganz anders. Der Blinde geht natürlich ein höheres Risiko ein. Das ist logisch. Der ist ja langsamer. Aber stell dir mal eine Querung unter einer eislawinenträchtigen Flanke auf einem hohen Berg vor! Was ist nun besser? Die 200 Meter schnell rüberlaufen oder langsam rübergehen. Wir wissen es nicht. Ich möchte den Menschen einfach sagen, dass das nicht vorherbestimmbar ist.

»Der Blinde geht natürlich ein höheres Risiko«
Holzer - Unter Blinden
© Thimfilm

Wie gehen Sie nun mit den Menschen um, die das Bergsteigen für Sie schlicht zu gefährlich halten? Spornt diese Kritik an, stört sie, nervt sie?

Holzer: Das ist eine Epochenfrage meines Lebens. Vor 25 Jahren hat mich das komplett wahnsinnig gemacht, vor 20 Jahren hätte ich dagegen argumentiert, vor 10 Jahren hätte es mich traurig gemacht, vor fünf Jahren hat es mir selbst überhaupt nichts ausgemacht. Dafür aber umso mehr meinen Freunden, die ständig darauf angesprochen werden, ob sie denn wissen, was sie tun. Für die hat es mir leid getan. Heute bin ich so weit, dass ich sage: Eigentlich ist es ein Kompliment.

Wie darf ich das verstehen?

Holzer: Es beweist das, was ich immer sage: Der Außenstehende ist in jedem Leben ein Passant. Egal ob das ein sehender Journalist von NEWS ist, der von Außenstehenden wahrscheinlich auch immer wieder zu Unrecht kritisiert wird oder ein blinder Bergsteiger. Passanten sind halt Passanten. Sie schauen von außen auf dein Spiel, ohne eine Ahnung zu haben, woher du kommst oder warum du so denkst. Noch heute sagen Erwachsene, dass ich nicht blind bin, weil sie mich in ihr Blindenbild nicht hineinbekommen. Für mich ist es ein Kompliment, ein Spiel und manchmal ein einfach bäriges Kabarett. Wenn du als 48-Jähriger immer noch deine Blindheit beweisen musst, hast du es geschafft.

Holzer - Unter Blinden
© Thimfilm

UNTER BLINDEN.

DAS EXTREME LEBEN DES ANDY HOLZER
Ein Film von Eva Spreitzhofer
Ab 3. April im Kino

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