"Leute, was wollt
ihr eigentlich von mir?"

Österreichs Fußball-Rekordnationalspieler Andreas Herzog kehrte nach fünf Jahren aus den USA zurück und will 2017 Klubtrainer oder Teamchef werden - ein Interview

von Sport - "Leute, was wollt
ihr eigentlich von mir?" © Bild: Ricardo Herrgott News

Herr Herzog, Fußballinsider hatten Ihnen zuletzt gute Chancen gegeben, Sportvorstand bei Rapid zu werden. Sie haben sich selbst aus dem Rennen genommen. Erschien Ihnen der Job nicht spannend genug?
Doch. Rapid ist mein Herzensklub. Dort kann etwas entstehen und man kann viel entwickeln. Das wäre schon extrem interessant gewesen. Am Anfang war ich auch Feuer und Flamme. Nach ein paar Stunden habe ich mir aber gedacht: Wenn ich Sportvorstand bin, ist meine Trainerkarriere vorbei. Dann habe ich eine Nacht darüber geschlafen und festgestellt: So, wie Amerika geendet hat, möchte ich als Trainer noch einmal richtig Gas geben.

Es hatte also nichts damit zu tun, dass Sie sich keinem Hearing stellen wollten?
Absolut nicht. Hearings sind heutzutage Standard. Darauf wäre ich hundertprozentig vorbereitet gewesen. Es war für mich persönlich eine harte Entscheidung, Rapid abzusagen. Aber ich will auf dem Platz stehen und mit einer Mannschaft arbeiten. Ob auf Englisch oder Deutsch, ob in den USA, in Deutschland oder in Österreich, ist mir egal.

Warum ging denn das Abenteuer Amerika, wo Sie fünf Jahre lang Assistenztrainer von Teamchef Jürgen Klinsmann und zuletzt auch Chef des Olympiateams waren, im November zu Ende?
Ich hätte gehofft, dass wir ein wenig mehr Bonus haben und nicht nach zwei schlechten Spielen beurlaubt werden. Die fünf Jahre waren insgesamt eine sehr erfolgreiche Zeit. Als ich den Vertrag unterzeichnete, war das erste Ziel, die WM 2014 zu erreichen. Wir waren extrem erfolgreich, haben den Gold-Cup gewonnen, in der WM-Qualifikation Rekorde aufgestellt. Heuer waren wir im Semifinale der Copa América - aber das zählt alles nicht.

Was war aus Ihrer Sicht der Knackpunkt?
Angefangen hat alles damit, dass Jürgen Klinsmann die amerikanische Liga kritisierte. Er wollte auf gewisse Fehlentwicklungen hinweisen, aber das wollten die Amerikaner nicht. Der Amerikaner hat die Einstellung: Was wir machen, ist das Beste. Der Ligapräsident war am Ende Klinsmanns größter Feind. Er war vorher bei der National Football League.

»Es gab Spieler, die verdienten in Amerika plötzlich das Fünffache«

Klinsmann soll kritisiert haben, dass zunehmend ältere Spieler in die Liga geholt werden und ...
... völlig überteuert sind. Er kritisierte auch, dass das Training bei den Ligamannschaften mehr Intensität braucht. Wir wollten den Fußball auf das nächste Level heben. Ein Problem war auch, dass die amerikanischen Nationalspieler, die aus Europa in die Major League Soccer zurückkehrten, auf einmal sechs Millionen Dollar im Jahr verdient haben.

Eine schöne Stange Geld.
Niemand war ihnen das Geld neidig, darum geht es nicht. Aber anstatt in Europa Champions League auf höchstem Niveau zu spielen, sind sie dem Ruf des Geldes gefolgt und haben sich an das sportliche Niveau in Amerika angepasst. Wenn deine vier, fünf wichtigsten Nationalspieler - freundlich formuliert - auf einmal ein paar Prozent weniger Leistung bringen, dann bist zu zwangsläufig nicht mehr so erfolgreich. Als Nationaltrainer hältst du dann den Kopf dafür hin. Klinsmann und ich haben diese Entwicklung schon vor eineinhalb Jahren angesprochen. Es gab Spieler, die haben in England oder Deutschland ein Fünftel von dem verdient, was sie dann in der Major League Soccer bekommen haben. Die kommen dann zurück, haben weniger Trainingsaufwand, müssen nicht mehr bei jeder Einheit um ihren Stammplatz fighten und haben nicht mehr den Fitnesslevel, den sie hätten, wenn sie in Europa Champions League spielen würden.

Wird in der amerikanischen Fußballliga tatsächlich so wenig trainiert?
Die Qualität der Liga wird immer besser. Aber um eine der Top-fünf-Ligen der Welt zu werden, muss noch viel und hart gearbeitet werden. Da fällt mir eine Anekdote ein.

Erzählen Sie!
Als ich am Ende meiner aktiven Karriere in Los Angeles spielte, war Jürgen Klinsmann Berater des Klubs. Er forderte, dass wir zweimal am Tag trainieren. Plötzlich sind die Mitspieler zu mir gekommen und sagten: "Das geht doch nicht. Wir trainieren eh am Vormittag. Wir sind in Los Angeles, am Nachmittag wollen wir surfen."

Was konnte Andreas Herzog in den letzten fünf Jahren von Jürgen Klinsmann lernen?
Er hat Visionen, die er knallhart verfolgt und umsetzen möchte. Wenn du so einen Visionär verpflichtest, musst du ihn auch arbeiten lassen. Das Tollste aber war, wie er seinen Betreuerstab geführt hat; er ist beruflich und menschlich eine Ausnahmeerscheinung. Jeder konnte seine Stärken einbringen und hatte absolute Freiheiten. Er war ein Topmanager, der seine Spezialisten unter sich hat und sich freut, wenn ein Rad ins andere greift. Ich nehme viel Lockerheit und Selbstvertrauen mit: Als ich 2013 das Olympiateam übernommen habe, habe ich mir gedacht: "Na bumm, das hättest du dir vor ein paar Jahren auch nicht zugetraut, dass du in ein fremdes Land kommst, dich hinstellst und ganz locker über Fußball plauderst." Da wusste ich: Jetzt habe ich wieder einen Riesenschritt vorwärts gemacht.

Und jetzt wieder Österreich. Ein harte Landung?
Nein. Es gab auch schon Gespräche mit Vereinen. Aber ich habe beschlossen, mich zwei, drei Monate um meine Familie zu kümmern, weil ich doch das halbe Jahr immer weg war. Dann bin ich für alles offen. Für einen Verein oder ein Team, das nach oben strebt und bei dem ich etwas entwickeln kann. Am Beispiel Altach sieht man, dass auch mit kleinen Vereinen in Österreich viel möglich ist. Die stehen völlig zu Recht an der Spitze. Einfach fantastisch.

© Ricardo Herrgott News Back in Vienna: Andreas Herzog in seinem Büro. Fahne und Fotos zeugen von fünf Jahren Abenteuer in Amerika

Spricht das für die gute Arbeit der kleinen oder auch gegen jene der wirtschaftlich potenteren Klubs?
Beides ist Teil der Wahrheit. Es spricht eindeutig auch gegen die großen Vereine.

Ab 2018 verpasst sich Österreichs Liga ein neues Format. Dann werden im Winter die Punkte halbiert und zwei Play-offs gebildet. Legt man das auf die aktuelle Meisterschaft um, dann würde Altach trotz grandioser Leistung indirekt bestraft. Ist das gerecht?
Es ist wie bei jeder Reform: Es kann Gutes entstehen, es kann aber auch Dinge geben, die nicht so greifen. Ich frage mich zum Beispiel, was passiert, wenn Rapid und Austria das letzte Spiel im Herbst bestreiten und beide noch einen Punkt brauchen, um im oberen Play-off dabei zu sein: Gibt es dann einen Nichtangriffspakt? Es gibt sicher kein Format, das absolut perfekt ist. In den USA wurde soeben Seattle Meister. Die waren zur Halbzeit der Meisterschaft die schlechteste Mannschaft der Western Conference, sind gerade noch in die Play-offs gerutscht und hatten in der entscheidenden Phase die beste Form. Jetzt kann man sagen, das sorgt für Spannung - hundertprozentig gerecht ist es nicht.

Wie viele Klubs verträgt Österreichs Profifußball?
Eine schwierige Frage. Der Lask gehört in die höchste Liga, Innsbruck auch. Mindestens zwölf, vielleicht 14 Vereine gibt es. Entscheidend ist die Infrastruktur. Wenn ein, zwei Vereine kein brauchbares Stadion haben, leidet die ganze Liga. Was man auch sagen muss: Wir jammern in Österreich gern auf hohem Niveau. Wir sehen im Fernsehen die deutsche Bundesliga und die schönen Stadien der Premier League. Mit denen dürfen wir uns nicht messen! Wir müssen uns mit den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Schweden vergleichen. Da sind wir nicht so schlecht aufgestellt. Ich war als Beobachter für das US-Team viel in Europa unterwegs und dachte oft: Wo bin ich denn da? Das hat ja mit Fußball nichts zu tun.

Wo waren Sie denn da?
In Holland oder in Belgien gibt es auch schwache Spiele. Und dann wird in Österreich immer gejammert, weil wir im TV die Champions League mit Ronaldo und Messi sehen und uns erwarten, dass in unserer Liga auch lauter Ronaldos und Messis spielen. Das spielt's leider nicht.

Der gemeine Österreicher schwankt gern zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt - Stichwort Nationalmannschaft.
Der Hype um das Nationalteam erfolgte vor einem Jahr völlig zu Recht, die Spiele waren fantastisch. Jetzt wird, typisch österreichisch, alles schnell negativ gesehen. Das ist - ganz klar - die österreichische Mentalität. Das ist aber in anderen Ländern auch so und teilweise noch extremer.

Woran lag es, dass Österreich bei der Europameisterschaft keinen Erfolg hatte?
Da tu ich mir schwer, weil ich nicht dabei war. Die Spielergeneration ist jedenfalls richtig gut. Ich dachte, das erste Spiel gegen Ungarn gewinnen wir. Dann gab es ein paar Rückschläge, die eine Klassemannschaft wegstecken muss, aber diese Klasse hat Österreich in der wichtigen Phase anscheinend nicht gehabt. Das zeichnet die Turniermannschaften aus: Die Deutschen, die Spanier, die sind von ihrer Qualität überzeugt. Und dann dominieren sie. Es ist eine mentale Sache und hat auch mit der eigenen Geschichte zu tun. Das habe ich von Jürgen Klinsmann gelernt.

Inwiefern?
Wenn ich mir dachte: "Oh mein Gott, jetzt geht das Spiel total den Bach runter!", stand Jürgen positiv an der Outlinie und hat die Spieler gepusht. Und auch wenn wir eigentlich keine Chance mehr hatten, hat sich diese eine Chance, dieser letzte Eckball dann ergeben, der noch zum Tor geführt hat. Jürgen hat gesagt: "Du musst authentisch bleiben, positiv, die Spieler kriegen das mit." Da hab ich mir gedacht: Wahnsinn, der hat eine Mentalität. Deshalb ist der Weltmeister und Europameister geworden. Er glaubt immer, bis zuletzt, an seine Chance.

»Leute, was wollt ihr eigentlich von mir? Ihr könnt doch meine Arbeit in den letzten fünf Jahren gar nicht beurteilen«

Was wären Sie eigentlich lieber: Klubtrainer oder Teamchef?
Für mich ist beides interessant. Früher war ich da zu ehrlich und habe öffentlich gesagt: Klar würde es mich reizen. In Zukunft muss ich den Ball flacher und mich bedeckter halten. Grundsätzlich: Wenn ich in Österreich engagiert bin und viermal pro Jahr gegen denselben Gegner spiele, brauche ich auch mehrere taktische Varianten, um nicht ausrechenbar zu sein. Ich hatte mit dem US-Olympiateam teilweise Spiele zu absolvieren, da habe ich die Gegner oft nicht einmal richtig gekannt, weil plötzlich acht neue Fußballer aufgetaucht sind, die noch nicht im Kader waren. Dann musst du innerhalb der ersten zehn, fünfzehn Minuten das Spiel lesen, darauf reagieren, improvisieren. Das war ein extremer Lernprozess. Und wenn dann die Leute sagen: "Na, der Herzog, der hat ja als Cheftrainer keine Erfahrung!", dann denke ich mir schon: Leute, was wollt ihr eigentlich von mir? Ihr könnt doch meine Arbeit in den letzten fünf Jahren gar nicht beurteilen.

Es ärgert Sie sichtlich, wenn Ihnen mangelnde Erfahrung als Klubtrainer vorgehalten wird.
Ich habe fünf Endrunden mitgemacht: Zweimal Gold-Cup, Copa América, die WM mit den USA, die EM in Österreich. Na ja, wenn man jetzt glaubt, dass ich ein Trottel bin, der dabei nicht irgendetwas aufgeschnappt und mitgenommen hat, dann sollen es die Leute glauben. Ich selbst bin der Meinung, dass ich extrem viel gelernt habe. Aber so, wie ich mir jetzt schwertue, über die Arbeit von Marcel Koller zu urteilen, tun sich andere schwer damit, zu beurteilen, was ich die letzten fünf Jahre getan habe. Wir waren bei der WM auch zehn Wochen kaserniert. Da bist du schon fast eine Klubmannschaft. Wenn du zehn Wochen lang zweimal täglich trainierst - na halleluja!

Im Klubfußball erhalten immer jüngere Trainer eine Chance, auch in Österreich: Der Interimstrainer von Altach ist 31, der Cheftrainer der Admira 38 Jahre alt. Halten Sie diesen Jugendwahn für übertrieben?
Es ist legitim. Es gibt viele junge Trainer -in Deutschland etwa Thomas Tuchel -, die Klassespieler waren und verletzungsbedingt früh aufhören mussten. Anstatt 15 Jahre zu spielen, haben die schon 15 Jahre Trainererfahrung. Andererseits kommt's mir heutzutage auch so vor: Du musst nur gut über Fußball reden, mit Fachausdrücken um dich werfen und eine Präsentation hinknallen können, schon heißt es bei den Verantwortlichen: "Na, der ist aber super!" Ob auch die Spieler den Trainer dann verstehen, können ja viele Verantwortliche nicht hundertprozentig beurteilen, weil sie selbst keine Fachleute sind. Es ist ein Trend. Für die älteren Trainer ist es sicher etwas schwieriger derzeit.

Lassen Sie derzeit auch einen Manager für sich sondieren?
Bis jetzt nicht.

Kein Manager? Ist das noch zeitgemäß?
In den letzten fünf Jahren brauchte ich keinen Manager. Der Job in Amerika hat mir Riesenspaß gemacht. Es gab zwar Anfragen, aber der Level in den USA war so hoch, dass ich immer gesagt habe: Dafür höre ich dort nicht auf. Mein Pech war auch: Weil ich einen guten Namen als Fußballer habe, wurde ich immer wieder als Topfavorit gehandelt, zum Beispiel bei Werder Bremen. Dabei ist klar: Wenn du über die Medien als Topfavorit gehandelt wirst, sucht der Verein längst eine andere Variante.

Könnten Sie sich auch vorstellen, ein neues Projekt mit Jürgen Klinsmann anzugehen?
Gut möglich. Unsere Zusammenarbeit basierte auf blindem Vertrauen. Könnte gut sein, dass er wieder ein großes Projekt angeht. Er hat international einen Wahnsinnsruf, unter anderem in England. Das sind ganz andere Sphären. Der kriegt Anrufe, wo du dir nur denkst: Bist du deppert!


Andreas Herzog

Österreichs Fußball-Rekordnationalspieler (103 Länderspiele) war als Profi u. a. bei Rapid Wien, Werder Bremen und beim FC Bayern aktiv, am Ende seiner Karriere kickte er bei Los Angeles Galaxy. Ab 2005 war der heute 48-Jährige Co-Trainer des österreichischen Nationalteams, ab 2009 Teamchef der Unter-21. 2011 holte ihn US-Teamchef Jürgen Klinsmann als Assistenten in die USA, ab 2013 coachte er daneben auch das US-Olympiateam. Herzog lebt mit seiner Frau Katharina und den Söhnen Luca, neun, und Louis, sechs, am Wiener Stadtrand.

Kommentare