Die Menschen starren mich an. Das liegt sicher am schwarzen Hightech-Anzug, den ich mir umgeschnallt hab’. Oder doch an meinem langsamen, gebückten Gang über die Straße? Die Ampel ist schon wieder auf Rot, und ich bin erst bei der Hälfte des Zebrastreifens. Andere schlurfen an mir vorbei, ich denke nur an die Autofahrer und hoffe auf ihre Gnade. Sorry, schneller geht’s nicht. Echt nicht. Das liegt nicht an mir, ich bin fitte 29 Jahre alt und sportlich.
In wenigen Minuten 50 Jahre älter
Es liegt am Altersimulationsanzug, der mich innerhalb von Minuten um 50 Jahre altern ließ. Gehen ist zur echten Belastungsprobe geworden, weil 18-Kilo- Gewichte an meinem Körper hängen und die Rückenmuskulatur fordern. Dazu kommen eine Halskrause, Gelenksbandagen an Ellbogen und Knien, eine Spezialbrille, Handschuhe sowie Kopfhörer.
Das alles schränkt mich schrecklich ein. Genau darum geht es den Anbietern des Altersanzugs "Gert" auch: Sie wollen jüngere Menschen nachempfinden lassen, wie sich Ältere fühlen, welchen Einschränkungen sie im Alltag ausgeliefert sind. Das macht für Architekten, die barrierefrei planen, für Öffi-Bauer und die Schreiber von Fahrplänen Sinn. Bereits nach zehn Minuten würde ich gerne meinen Hut vor jedem älteren Mitbürger ziehen - allein es die insgesamt vier Kilo schweren Gewichte an meinen Handgelenken verhindern es.
Große Ziele, sehr kleine Schritte
Jetzt geht es zunächst einmal zur Straßenbahn. Die erste fährt mir vor der Nase davon. Ich kann eben nicht schneller. Ein Blick auf den Fahrplan soll verraten, wann die nächste kommt. Bloß: Ich sehe auf dem rechten Auge so gut wie gar nichts. Also Nase ans Schild und langsam entziffern. Auch vom Geschehen rundum bekomme ich wenig mit. Ich höre fast gar nichts mehr, blicke nur auf den Boden, damit ich ja nicht stolpere. Aufstehen? Das wäre zu anstrengend.
Bis ich herausgefunden habe, in wie vielen Minuten die nächste Bim kommt, ist sie auch schon da. Wenigstens vergeht so die Zeit schneller (ein bisschen Galgenhumor wird wohl noch erlaubt sein).
Nächste Hürde: Das Einsteigen. Ich kralle mich am Geländer fest und schleppe mich die drei Stufen hoch. Geschafft. Kann mir jetzt bitte jemand einen Platz anbieten? Die Gewichte fühlen sich schon ganz schön schwer an. Wieder nur ungläubige, starrende Blicke. Was soll’s? Damit kann ich leben, mit dem Gedanken daran, dass ich gleich wieder aussteigen muss, aber weniger. Denn ich bin jetzt schon müde. Nein, eher erschöpft. Der Weg zurück ins Büro ist reich an Hindernissen. Ständig Stufen. Viele Stufen. Ein Schweißakt, den ich nur mit festem Griff ans Geländer meistere.
Zwei Dinge auf einmal sind zu viel
Dann läutet auch noch mein Handy. Wer ruft mich gerade jetzt an? Ich kann es am Bildschirm einfach nicht erkennen. Es läutet weiter. Ich rutsche vom Display ab. Endlich gibt der Anrufer auf. Den Rückruf verschiebe ich auf später. Ich kann nicht zwei Sachen gleichzeitig machen.
Weiter geht’s in den Supermarkt. Sechsertragerl? Das hält der Rücken nicht aus. Ich nehme lieber nur eine Flasche. Nach drei Stunden wird mir der Anzug endlich abgenommen. Ich fühle mich leicht. Glücklich bin ich nicht. Denn jetzt weiß ich, was im Alter alles auf mich zukommen kann. Aber wenigstens kann ich mit meinen wiedererworbenen 29 Lenzen ohne Probleme den Hut ziehen. Vor älteren Menschen.