Die Engel aus dem Osten

Längst sind sie aus dem österreichischen Pflegesystem nicht mehr wegzudenken

von 24-Stunden-Pflege © Bild: Ricardo Herrgott

Ingrid A. ist 24-Stunden-Betreuerin. Vor mehr als vier Jahren ist die gebürtige Slowakin bei Franz K. und dessen Lebensgefährtin Elfriede S., 83, eingezogen. Sie wäscht ihn am Morgen, turnt mit ihm, macht Gedächtnistraining mit ihm, geht mit ihm spazieren, führt den Haushalt für ihn und seine Partnerin. Wenn er in der Nacht etwas braucht, eilt sie zu ihm. Weil Ingrid für ihn da ist, kann Franz K. weiter zu Hause leben.

Die Nachfrage nach Pflegerinnen wie Ingrid A. steigt stark an. Ende 2014 waren fast 50.600 Personenbetreuerinnen in Österreich tätig. Rund 21.000 pflegebedürftige Menschen bezogen jene staatliche Förderung, die für den Einsatz von 24-Stunden-Pflege gewährt wird. Im Jahr 2010 waren es noch rund 26.700 Pflegerinnen und 6.800 Förderbezieher.

Die Betreuerinnen sorgen aber nicht nur dafür, dass hilfsbedürftige Menschen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Weil sie rund um die Uhr da sind, mit ihren Patienten plaudern und ihren Alltag teilen, bewahren sie viele vor der Einsamkeit. Für die Angehörigen ist es eine Beruhigung, ihre Lieben gut versorgt zu wissen.

Wirtschaftliche Not oder Berufung

Wie Ingrid A. stammen die meisten Personenbetreuerinnen aus den östlichen Ländern Europas. Die größte Gruppe kommt mit fast 26.500 Pflegerinnen aus der Slowakei, gefolgt von rund 16.800 aus Rumänien. Pro Kunde sind zwei Betreuerinnen zuständig. Meist lösen sie einander im Zwei-Wochen-Rhythmus ab.

24-Stunden-Pflege
© Ricardo Herrgott "Sie ist so lieb", sagen Alois und Anna P. über ihre Pflegerin Maria Kosturikova

Viele sind berufliche Umsteigerinnen. Wegen niedriger Löhne in ihrem Heimatland oder schlechter Wirtschaftslage absolvieren sie einen sechs-bis achtwöchigen Pflegekurs, vergleichbar mit der Ausbildung einer Heimhelferin, und gehen dann als 24-Stunden-Pflegerin ins Ausland. So wie Maria Kosturikova, 41, die einen Universitätsabschluss in Marketingmanagement hat und fünf Sprachen spricht. Um ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen, pflegt sie ein betagtes Ehepaar in Oberösterreich.

»Ich liebe alles an meinem Beruf«

Andere wiederum gehen diesem Beruf mit ganzer Seele nach. Ludmila Vankova, 57, ist diplomierte Krankenschwester und seit 20 Jahren als Pflegerin tätig. "Ich liebe alles an meinem Beruf", sagt die quirlige Frau mit dem ansteckenden Lachen. In ihrer Gemeinde in Oberösterreich kennt und schätzt sie jeder.

Sorgsame Auswahl

Ludmila Vankova wird von neuen Kunden oder deren Familien selbst kontaktiert. Die Mehrheit der Pflegerinnen aber wird von Agenturen vermittelt. Neben vielen kleineren Unternehmen bieten dies auch Hilfsorganisationen wie die Volkshilfe, das Rote Kreuz oder das Hilfswerk an, meist in Zusammenarbeit mit Partneragenturen in den Heimatländern der Frauen. Diplomierte Pflegefachkräfte übernehmen die Einstufung, wählen die passende Betreuerin aus und machen im Abstand von wenigen Wochen sogenannte Qualitätsvisiten. "Sie überprüfen das Wohlergehen der Kunden, leiten die Personenbetreuerinnen an und arbeiten mit dem Hausarzt zusammen", sagt Rainer Zeithammel, Geschäftsführer der 24-Stunden-Personenbetreuung GmbH der Volkshilfe.

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© Ricardo Herrgott Ludmila Vankova arbeitet seit 20 Jahren als Pflegerin

Bei den großen Organisationen verdienen die Pflegerinnen zwischen 65 und 80 Euro am Tag. Die meisten von ihnen sind selbstständig, sie müssen sich also selbst versichern. Für Kunden gibt es eine staatliche Förderung von 550 Euro bei Beschäftigung einer selbstständigen Pflegerin, bei einer unselbstständigen sind es 1.100 Euro. Allerdings gilt eine Einkommensgrenze von 2.500 Euro netto im Monat.

Pflege zum Dumpingpreis

Weil die Nachfrage stark wächst, wollen immer mehr Unternehmen an diesem Geschäft teilhaben. Meist geht das zulasten der Pflegerinnen. Agenturen bieten Dumpingpreise von 35 Euro am Tag an. Frauen aus weiter entfernten Ländern wie Rumänien oder Bulgarien arbeiten bis zu vier Monate durch, ehe sie abgelöst werden.

Eine Entwicklung, die Eva Strýčková mit Sorge verfolgt. Die gebürtige Slowakin ist selbst Personenbetreuerin und setzt sich beim Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband für Pflegerinnen und Pfleger ein. "Eine Betreuerin sollte 700 bis 1.000 Euro für zwei Wochen verdienen", sagt sie. "Es ist eine anstrengende Arbeit. Man kann oft in der Nacht nicht schlafen. Wenn eine Pflegerin 50 Euro am Tag bekommt, sind das zwei Euro in der Stunde. Man sollte sich bewusst machen, dass dies im Vergleich zu österreichischen Löhnen ohnehin sehr gering ist."

»Es ist eine anstrengende Arbeit«

Zudem hält sie es für problematisch, wenn Pflegerinnen mehrere Monate durcharbeiten. "Die Frauen aus ärmeren Ländern sind aus wirtschaftlichen Gründen oft dazu gezwungen", sagt Eva Strýčková. "Aber zu Hause zerbrechen ihre Familien, ihre Kinder sind alleine oder bei den Großeltern. Ich denke nicht, dass es für die Patienten gut ist, eine Pflegerin zu haben, die daheim auch noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat." Zudem wünscht sie sich mehr Wertschätzung von den Kunden: "Die Familien sollen sehen, dass wir keine Maschinen sind, sondern Menschen."

Respekt und Einfühlungsvermögen

"Die Angehörigen vieler Pflegebedürftiger sind sehr zufrieden, aber manche sind wirklich fordernd", sagt auch Monika Wild, die Leiterin der Gesundheits-und sozialen Dienste des Roten Kreuzes. "Wir hatten einen Fall, wo sich ein Sohn beschwert hat, dass die Pflegerin slowakische Fernsehsender eingestellt hat. Das hat nicht einmal etwas gekostet! Ich denke, jeder sollte Respekt vor dem anderen haben und sich in den anderen hineinfühlen. Dann funktioniert das auch."

So wie bei Lenka B., 23, die sich um den bettlägerigen Helmut K., 84, kümmert. Sie nennt ihn liebevoll "Opa". Jene Pflegerin, die sie nach zwei Wochen ablöst, ist ihre eigene Mutter. Ihre Familie und jene von Helmut K. haben einander über die Jahre gut kennengelernt. "Wir haben zu Anlässen wie Geburtstagen schon Lenkas Vater und Bruder zu Überraschungsbesuchen eingeladen und ihre Familie in der Slowakei besucht", sagt Helmuts Tochter Christine K. "Für die beiden ist mein Vater viel mehr als ein Patient." Im vergangenen Jahr nominierte sie Mutter und Tochter für den Preis "Pflegerin mit Herz", den die beiden auch gewannen. "Ich wollte, dass anerkannt wird, was sie leisten. Denn das Besondere an den beiden ist ihr Herz."

Kommentare

Wer nach 45 Arbeitsjahren nicht reich geworden ist, wählt zwischen einer wahrscheinl. alles andere als guten (minimal geförderten) Pflege zu Hause od. einer wahrscheinl. alles andere als guten (voll geförderten) Pflege im Heim; aber die Plätze sind rar und die Zustände haarsträubend. - Auf den Schultern dieser jetzt alten Menschen wurde die Republik aufgebaut. Sie verdienen mehr als das!!!

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